Proteste in der arabischen Welt:Aktivisten fordern Anonymität für Facebook-Revolutionäre

Facebook hilft Demonstranten dabei, sich zu organisieren, doch auch die Geheimdienste verfolgen die Pläne der Revolutionäre dort ganz genau. Nun fordern Aktivisten Anonymität.

Johannes Kuhn

Noch streiten die Internet-Gelehrten über die Frage, wie stark Facebook die Revolutionen im arabischen Raum begünstigt hat, da beginnt eine Debatte über die dunkle Seite des sozialen Netzwerks: Erleichtert es Facebook autoritären Staaten, Regimegegner zu identifizieren und zu bestrafen?

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Jugendlicher Aktivist in Marokko surft im Internet: Risikofaktor Klarnamenpflicht?

(Foto: AFP)

Dieser Meinung ist zumindest die Aktivistenorganisation Access, die sich für Freiheit im und durch das Internet einsetzt. "Facebook, beende die Freundschaft mit Diktatoren" ruft sie das Unternehmen in einer Online-Petition auf, die nach Access-Angaben seit Anfang der Woche schon "mehrere zehntausend Unterschriften" gefunden hat.

Konkret erhebt Access folgende Forderungen:

- Eine Möglichkeit für Nutzer in autoritären Staaten, anonym oder zumindest unter Pseudonym bei Facebook zu agieren.

- Den flächendeckenden Einsatz der Verschlüsselung über den URL-Vorsatz https. Eine solche sichere Verbindung ist zwar bereits jetzt möglich, wird allerdings nicht als Standardzugang angeboten oder Nutzern nahegelegt.

- Einen "Concierge-Service" für Demokratie-Aktivisten, über den diese beispielsweise bei Sperrungen des Accounts aufgrund falscher Hinweise schnell wieder freigeschaltet werden.

- Mehr Widerstand gegen mögliche Weitergabe von Daten an Ermittlungsbehörden und größere Transparenz für den Fall, dass Nutzerdaten herausgegeben werden. Anders als beispielsweise Twitter informiert Facebook seine Nutzer nicht, wenn es seine Daten aufgrund eines Gerichtsbeschlusses an Ermittlungsbehörden weitergeben muss.

"Facebook ist ein großartiges Werkzeug zur Vernetzung", sagt Access-Direktor Brett Solomon, "aber es wurde nicht für politischen Aktivismus entworfen. Das Unternehmen sollte nun aber der Tatsache Rechnung tragen, dass es dafür genutzt wird und diese Rolle akzeptieren."

Obwohl das Unternehmen von Jungmilliardär Mark Zuckerberg immer wieder in Zusammenhang mit der Organisation der Proteste in der arabischen Welt genannt wird, will es offenbar einer Politisierung der Plattform vorbeugen. "Natürlich hat Technik eine wichtige Rolle dabei gespielt", gab Kommunikationschef Ellio Schrage nach der Revolution in Ägypten zu Protokoll, "aber wir glauben, dass Tapferkeit und unbändiger Wille der Demonstranten entscheidend waren."

Dass das Portal die Proteste im Hintergrund durchaus indirekt unterstützte, zeigt ein Bericht auf der Internetseite des US-Magazins Atlantic Monthly. Demzufolge verhinderte ein Team von Facebook-Sicherheitsexperten, dass der tunesische Geheimdienst die Passwörter der 300.000 Nutzer im Land auslesen konnte, um deren Accounts auszuspionieren, zu manipulieren oder zu löschen.

Muss Facebook Farbe bekennen?

Auf der anderen Seite gibt es Berichte, wonach repressive Regime Informationen über Facebook-Aktivisten verwenden, um eine Verurteilung wegen Verrats zu erwirken. Bekanntestes Beispiel ist der ägyptische Google-Mitarbeiter Wael Ghonim, der während der Demonstrationen aufgrund seiner Administratorenrolle bei einer Facebook-Gruppe verhaftet wurde.

Ghonim hatte zuvor bereits mit Facebook Ärger bekommen. Eine erste Protestgruppe hatte das Unternehmen gelöscht, da Ghonim diese unter falschem Namen erstellt hatte. Das ist nach den Facebook-Geschäftsbedingungen verboten. "Facebook basiert seit jeher auf einer Klarnamen-Kultur", betont ein Sprecher, "Das führt zu mehr Verantwortungsbewusstsein und einem sicheren und vertrauenswürdigeren Umfeld für unsere Nutzer."

Der Realität trage dies nicht Rechnung, entgegnet der Aktivist Solomon: "Ein Pseudonym würde es Nutzern in autoritären Staaten ermöglichen, Kampagnen zu organisieren, ohne ihre Identitäten preiszugeben."

Der Wunsch nach Anonymität führt zurück in die Anfänge des Internets: Seitdem sich in den ersten Usenet-Foren die Nutzung eines Pseudonyms etablierte, bauten Communitys meist auf virtuelle Identitäten auf. Diese Trennung von Realität und Netz sorgte für die Etablierung einer intensiven Diskurskultur, aber auch zu ungezügelten verbalen Scharmützeln.

Facebook gelang es, die reale Identität in den Mittelpunkt des Online-Daseins zu stellen und auch jenseits des eigenen Portals zu etablieren. Über Dienste wie Facebook Connect können Nutzer längst unter ihrem Namen bei vielen anderen Seiten kommentieren. Weil das Unternehmen mit 600 Millionen Nutzern eine große Marktmacht besitzt, führt bei Kampagnen jeglicher Art derzeit kaum ein Weg an der Plattform vorbei.

Facebook in der Google-Falle

Ob sich Facebook auf eine Ausnahmeregelung für Aktivisten in gefährlicher Mission einlässt, bleibt jedoch äußerst fraglich. Nicht nur müsste sich das Unternehmen damit politisch positionieren und Länderregierungen als repressiv oder frei einstufen, es würde zudem riskieren, dort auf absehbare Zeit komplett blockiert zu werden.

Dennoch dürfte der Druck auf Facebook wachsen, sich zu positionieren. Ähnlich wie Google stellt die Zuckerberg-Firma längst nicht mehr nur eine Internet-Dienstleistung, sondern eine Web-Infrastruktur zur Verfügung. Der Suchgigant musste Anfang 2010 Farbe bekennen, als er den Rückzug aus China bekanntgab.

Auf den aktuellen Vorstoß hat Facebook bislang offiziell nicht reagiert. Access rechnet indes mit mehr als hunderttausend Unterzeichnern der Petition. Zu den Unterstützern der Organisation gehört auch ein alter Zuckerberg-Bekannter: Facebook-Mitgründer Chris Hughes fungiert als ehrenamtlicher Berater der Aktivisten.

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