Proteste gegen "Google Street View":Wehrhafte Bürger

Wenn das eigene Haus weltweit im Internet zu sehen ist: In England protestierten jetzt Dorfbewohner gegen "Google Street View" - mit einer ungewöhnlichen Maßnahme.

An fast jeder Straßenecke in England gibt es eine Überwachungskamera, die ihre Bilder an die Polizei schickt. Daran haben sich die Briten gewöhnt. Aber dass das eigene Haus weltweit im Internet betrachtet werden kann - diese Vorstellung treibt die Bewohner des südenglischen Dorfes Broughton auf die Barrikaden. Mit einer Menschenkette blockierten sie ein Kamera-Auto, das Aufnahmen für das Projekt "Google Street View" machen sollte.

Proteste gegen "Google Street View": Kameras auf dem Dachgepäckträger der "Street View Cars" nehmen Fotos in einer 360-Grad-Rundumsicht auf.

Kameras auf dem Dachgepäckträger der "Street View Cars" nehmen Fotos in einer 360-Grad-Rundumsicht auf.

(Foto: Foto: AP)

"Ich war gerade oben, als ich sah, wie das Kamera-Auto die Straße hinunterfuhr", sagte Paul Jacobs der Londoner Times. "Meine sofortige Reaktion war Verärgerung: Wie kann es jemand wagen, ohne meine Zustimmung mein Haus zu fotografieren?" Schnell holte Jacobs seine Nachbarn zusammen. Alle stellten sich auf der Straße dem "Street View Car" entgegen und zwangen das Auto zur Umkehr. Die Polizei notierte später, es habe einen "Streit zwischen einer Menschenmenge und einem Auftragnehmer von Google Street View" gegeben.

"Sie hatten das Gefühl, dass seine Anwesenheit ein Eindringen in ihre Privatsphäre war", erklärte die Polizeibehörde für das Themse-Tal. "Als die Polizei eintraf, war das Auto schon verschwunden." Die acht Kameras auf dem Dachgepäckträger der "Street View Cars" nehmen Fotos in einer 360-Grad-Rundumsicht auf und versehen diese mit Geodaten, also den genauen Längen- und Breitengraden. Die Fotos haben einen Datenumfang von mehreren Terabytes (tausende von Gigabytes). Diese Bilder werden dann zu einem riesigen Städtepuzzle zusammengefügt.

Die dabei verwendete, von Google selbst entwickelte Anwendung sorgt dafür, dass Gesichter und Autokennzeichen "verpixelt", also unkenntlich gemacht werden. Zoomt man sich in den Google Maps in Städte mit einer Street-View-Ansicht, erscheint über dem Zoom-Balken eine Schaltfläche. Zieht man diese auf eine Straße, kann man sich dort in der Foto-Ansicht bewegen.

Street View endet am Eingang zum Rotlichtbezirk

Seit dem Start im Mai 2007 in den USA sind zahlreiche Orte unter anderem in Großbritannien, Frankreich, Italien, Spanien hinzugekommen. In Deutschland sind auch schon Aufnahmen in vielen Städten erstellt worden. Bislang aber gibt es die Street View noch für keine deutsche Stadt. Die Farten der "Street View Cars" lösten auch in Deutschland Kritik aus.

Bedrohung durch Bilder

Bundesweit bekannt wurde dabei die 5.000-Seelen-Gemeinde Molfsee bei Kiel. "Da hört für mich der Spaß auf", kritisierte der CDU-Kommunalpolitiker Reinhold Harwart. Wenn diese Aufnahmen erst einmal weltweit verfügbar seien, könne jeder Kriminelle "mit dem Laptop auf den Knien auskundschaften, wo er seinen nächsten Bruch macht".

Kontroversen gab es auch in anderen Ländern. Auf Antrag werden Bilder von bestimmten Häusern entfernt. In den USA waren das etwa Frauenhäuser. Wer in London von Whitehall Gardens in die Downing Street mit dem Amtssitz des Premierministers einbiegen will, sieht nur eine schwarze Fläche und den Vermerk "Dieses Bild ist nicht mehr verfügbar".

Bedrohung durch Bilder

Und in Amsterdam endet die Street View am Eingang zum Rotlichtbezirk. Verbraucherschützer in Italien haben Google gebeten, die Kamera-Autos mit einem optischen und akustischen Signal zu versehen, damit die Aufnahmen nicht unbemerkt bleiben könnten.

"Die Menschen sind sensibel, wenn es um ihre Umgebung, um ihr Haus geht", sagt Simon Davies von der Londoner Organisation Privacy International. "Von der detaillierten Digitalisierung dieser Bilder fühlen sich viele Leute bedroht." In Großbritannien habe es bisher einige hundert Forderungen nach Entfernung von Bildern ihrer Häuser gegeben, erklärt Google-Sprecher Peter Barron.

Die in Molfsee laut gewordene Angst vor Einbrechern ist auch die Sorge, die die Bewohner von Broughton umtreibt. Eine Polizeisprecherin sagte, es gebe keinen Hinweis, dass es wegen Google Street View zu einer Zunahme von Eigentumsdelikten komme. "Aber wir werden den Einwohner versichern, dass wir ein wachsames Auge darauf haben werden." Und Überwachung wird in Großbritannien groß geschrieben.

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