Propaganda:Coole Zeiten in der Hölle - Der Propaganda-Krieg im Netz

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Im Netz ist der IS eine Supermacht. Illustration: Bene Rohlmann (Foto: N/A)

Das vielleicht wichtigste Schlachtfeld liegt nicht in Syrien oder im Irak, sondern online. Dort ist der IS eine Supermacht, die USA eine Guerillatruppe - die dringend zündende Ideen braucht.

Von Georg Mascolo und Nicolas Richter

Seit zwei Jahren kämpft im Irak und in Syrien eine internationale Koalition gegen die Terroristen des sogenannten Islamischen Staats, sie schießt auf deren Fahrzeuge, Stützpunkte, Munitionslager. Nur gegen die gefährlichste Waffe der Extremisten haben die Verbündeten unter Führung der USA kein Mittel gefunden. Dabei ist diese Waffe nicht einmal aus Stahl, sogar ohne Gestalt: Es ist die globale, im Internet verbreitete Propaganda des IS, wonach Dschihad glücklich macht, wonach Gott jene belohnt, die für ihn töten.

Diese Botschaft hat sich verselbständigt, hat Zehntausende junge Kämpfer gelockt und Terroristen auf der ganzen Welt angestiftet, und der Westen steht weiter ratlos vor dieser Frage: Wie entschärft man eine Idee?

Vor einer Woche hat Omar Mateen, ein Amerikaner afghanischer Abstammung, in Orlando 49 Menschen erschossen. Der US-Regierung zufolge hat er vom IS nie einen Befehl erhalten, aber dessen Propaganda "in sich aufgenommen". Einen Tag später ermordete Larossi Abballa, ein Franzose marokkanischer Herkunft, bei Paris einen Polizisten und dessen Lebensgefährtin - vor den Augen des dreijährigen Sohnes. "Das Internet hat mich programmiert", sagte der Täter einmal über die IS-Propaganda. "Es war so bewegend."

"Der Krieg der Geschichten ist jetzt wichtiger"

Der Irak und Syrien bilden eben nur eines von zwei Schlachtfeldern: Das andere ist ein virtuelles, das Schlachtfeld der Gedanken, und vielleicht ist es - global gesehen - sogar wichtiger. Nie zuvor war es so einfach, eine Ideologie der Gewalt zu verbreiten, selbst unter Menschen, mit denen die Terroristen nie auch nur ein Wort gewechselt haben. "Der Krieg der Geschichten ist jetzt wichtiger als der Krieg mit Schiffen, Napalm und Messern", sagte einmal der in den USA geborene Extremist Omar Hammami.

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Fest steht: 49 Menschen wurden erschossen, 53 verletzt. Doch die Polizei hat bisher nur sehr lückenhaft rekonstruiert, was sich in dem Gay-Club "Pulse" abgespielt hat. Versuch einer Rekonstruktion in Grafiken.

Auf diesem neuen Schlachtfeld ist der IS schneller und geschickter als seine Gegner. Der Bundesnachrichtendienst (BND) schreibt, Öffentlichkeitsarbeit habe für den IS "den gleichen Stellenwert wie die Gewalttaten selbst" und sei "viel facettenreicher und professioneller als noch die 'Altherren'-Videoansprachen von al-Qaida". Der britische Geheimdienst GCHQ nennt soziale Netzwerke "das Kontrollzentrum von Terroristen". Jared Cohen, der Chef von Google Ideas, sagt es so: "Der IS ist die erste Terrorgruppe, die ein physisches und ein digitales Territorium beherrscht."

Der IS hat diese beiden Territorien zeitgleich erobert, und auf beiden traf er damals auf keinerlei Gegenwehr. Bevor er im Juni 2014 die irakische Stadt Mossul stürmt, droht er im Internet tagelang mit Tod und Verwüstung. Die irakische Regierung ist überzeugt, dass ihre Soldaten deswegen in Panik geraten sind. Der IS erobert die Stadt dann kampflos, weil die Regierungstruppen davongelaufen sind.

Von 2014 an richtet der IS seine Terrorbotschaften an die ganze Welt. Kämpfer aus Großbritannien und Australien kündigen den Sieg des "Kalifats" an und fordern Muslime im Westen auf mitzukämpfen. "Die Kur für Depression heißt Dschihad", behaupten sie und lassen weder Familie noch Beruf als Ausrede gelten. "Du kannst hier sein in diesen goldenen Zeiten", heißt es in dem Video, "oder an der Seitenlinie stehen." Wer jetzt nicht kämpfe, der werde sich eines Tages dafür verantworten müssen.

Doch der IS wirbt nicht nur mit Pflicht und Kampf. In kurzen Videoclips namens "Mujatweets" sieht man junge Kämpfer - sie sprechen Deutsch, Englisch, Französisch - zum Beispiel auf einem nahöstlichen Markt stehen, die Kamera schwenkt auf prallvolle Säcke mit Nüssen und Gewürzen, auf Eiscreme und saftiges Schawarma, eine arabische Döner-Variante. Hier wartet angeblich ein besseres Leben. Sogar von "Fünf-Sterne-Dschihad" ist die Rede, und Kämpfer zeigen sich in den Pools erbeuteter Villen.

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Für die Gegenoffensive ist damals in Washington der Diplomat Alberto Fernandez verantwortlich. Er leitet von 2012 bis 2015 eine winzige Einheit im Außenministerium, das "Center for Strategic Counterterrorism Communications", das Budget liegt bei fünf Millionen Dollar, für Washingtoner Verhältnisse lächerlich. US-Präsident Barack Obama hat die Abteilung erst wenige Jahre zuvor gegründet, zunächst um die Ideologie al-Qaidas einzudämmen. Er malt sich so etwas wie eine Wahlkampfzentrale aus, in der jede Äußerung des Gegners sofort ausgewertet und der öffentliche Widerspruch organisiert wird.

Druck auf Google und Facebook, Propaganda zu löschen

Doch 2014 fühlt sich Fernandez auf dem Schlachtfeld der Ideen weniger als General einer Weltmacht denn als Anführer einer Guerillatruppe im Gefecht mit einem riesigen Moloch. Er stellt fest, dass der Westen den Dschihadisten das Internet viel zu lange kampflos überlassen hat. Die libertär eingestellten Social-Media-Konzerne wollen nicht zensieren, ebenso wenig die US-Regierung, die gerade in Ländern wie Russland oder China für ein freies Internet wirbt.

Obama wiederum behauptet (und glaubt es offenbar selbst) seit dem Tod Osama bin Ladens 2011, dass er den Terror besiegt hat. Er verzichtet weitgehend auf seinen militärischen und politischen Einfluss im Irak und begünstigt so die Auferstehung des IS. Gleichzeitig lodert das Feuer in Syrien: Es ist ein Krieg, dessen Bilder über soziale Medien alle Welt erreichen, es empört und radikalisiert Muslime überall.

Fernandez will jene jungen Männer vom Dschihad abhalten, die "auf dem Zaun sitzen", die also zögern, ob sie losziehen oder nicht. "Die Angelsachsen oder die Nordeuropäer mögen das nicht verstehen, aber der Reiz des Dschihad ist emotional, es geht um Gefühle", sagt Fernandez. Er wählt also emotionale Botschaften, jenen Stoff, der sich heute viral im Netz verbreitet.

Das US-Außenministerium produziert den Film "Willkommen im IS-Land", der den Versprechen des IS Bilder aus der realen Hölle des IS entgegensetzt, gekreuzigte oder geköpfte "Ungläubige" etwa und einen sarkastischen Text: "Die Reise ist billig, denn du brauchst keine Rückfahrkarte." Der Film wird im Netz eine Million Mal gesehen. Er soll dem Trugbild widersprechen, dass Dschihad Spaß macht, cool oder bequem ist. Er soll daran erinnern, dass es eher sinnlose, leere Gewalt ist.

Aber der Film erntet auch Kritik. Der Komiker John Oliver nimmt ihn in seiner Sendung auseinander, und in der Regierung finden manche, mit den Gewaltbildern habe man sich vom Feind dessen Methoden aufzwingen lassen. Fernandez lernt daraus, dass Ministerien Risiken scheuen; wenig später schickt man ihn in den Ruhestand. "Der Staat fühlt sich nicht wohl mit Sarkasmus, Risiko, Religion, Gefühlen", sagt Fernandez. "Die Terroristen nutzen genau das aus."

Die US-Regierung zieht daraus den Schluss, dass sie die Gegenpropaganda zwar organisieren und bezahlen muss, aber lieber von der zweiten Reihe aus. Dem IS darf nicht nur die amerikanische Regierung entgegentreten (die in diesem Fall nicht sehr glaubwürdig ist), sondern Bürger, Experten, Denkfabriken, private Organisationen müssen es tun, verschiedene Leute mit verschiedenen Stimmen. Jene, die nüchtern aufklären und Material verbreiten, jene, die sich in Foren über den IS lustig machen, ihm böse und sarkastisch antworten. Aber auch jene, die sich auf Sympathisanten des IS einlassen, respektvoll und gewinnend sind: Der islamische Geistliche etwa, der selbst Extremist war, den Zorn junger Muslime versteht und doch versucht, ihnen Gewalt auszureden.

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Gleichzeitig bemühen sich Internetkonzerne wie Google, Facebook und Twitter, unter staatlichem Druck den IS zumindest teilweise von ihren Seiten zu verbannen. Oft nehmen sie Hinweise auf dubiose Inhalte von Polizei und Geheimdiensten entgegen. Eine britische Spezialeinheit etwa ließ 2013 insgesamt 17 541 "items" entfernen, zwei Jahre später waren es schon 55 556. So schnell im Silicon Valley aber gelöscht wird, so schnell stellen Terroristen und deren Anhänger neue Inhalte online. Zum Teil ist der IS auf kleinere Messaging-Dienste wie "Telegram" ausgewichen.

Google hofft darauf, dass seine Computer lernen und terroristische Inhalte künftig automatisch löschen können. Dann wäre das Material viel schneller aus dem Netz als bisher. Das Problem mit dem automatischen Prozess ist, dass das Internet auch wissenschaftliche und journalistische Inhalte verlinkt. Würde ein Algorithmus also prinzipiell jedes vom IS produzierte Bild löschen, so würden auch viele Analysen und Berichte über den IS verschwinden.

Die gute Nachricht lautet also, dass der IS das Schlachtfeld der Ideen nicht mehr alleine beherrscht. Er hat weniger Raum, ihm wird schneller und klüger widersprochen. Und die militärischen Niederlagen haben auch seiner PR geschadet; der Nimbus der Unbesiegbarkeit, der noch 2014 seine Propaganda durchdrang, ist dahin.

Die schlechte Nachricht aber lautet: So richtig effizient sind die Gegner des IS noch immer nicht. Erst im Januar hat die US-Regierung den nächsten Neustart versucht; das CSCC heißt jetzt "Global Engagement Center" und hat schon wieder einen neuen Chef bekommen. Im Februar hieß es, das Cyber Command des US-Militärs habe den Kampf aufgenommen: Verteidigungsminister Ashton Carter soll frustriert gewesen sein, weil Cyber Command sich um Iran, Russland, China kümmerte - aber nicht um den IS.

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Die zweite schlechte Nachricht: Die Ideen des IS haben sich verselbständigt. Es gibt so viel Material im Netz, und die Terroristen genießen so viel Aufmerksamkeit, dass sie gar nicht mehr viel tun müssen, um Sympathisanten zu erreichen. Wer für den IS töten will, muss nicht in den Irak oder nach Syrien reisen, e r kann auch in Orlando bleiben. "Der IS ist eine globale Marke geworden für Ablehnung, Verweigerung, für die Aussage: 'Ich gehöre nicht dazu, ich bin kein Teil dieser Gesellschaft'", sagt Fernandez. Der IS nutzt damit auch typisch westlichen Narzissmus; denn mit dem Etikett der Dschihadisten lässt sich selbst die lokale, persönliche Tat eines Verwirrten zu einem globalen, ideologischen Ereignis aufwerten.

Militärisch also mag der "Islamische Staat" im Nahen Osten auf dem Rückzug sein. Auf dem virtuellen Schlachtfeld aber ist er es noch lange nicht.

© SZ vom 18.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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