Süddeutsche Zeitung

Prominente Youtuber:Sie wollen doch nur spielen

Kein Mensch braucht das Fernsehen, um berühmt zu werden. Melina schneidet auf Youtube Grimassen, Sarazar spielt Computer. Auf der Straße werden sie von Fans bestürmt. Die Amateure übernehmen das Unterhaltungsgeschäft.

Von Hannah Beitzer und Jannis Brühl

Melina hat ein Problem mit der Fußgängerzone in ihrer neuen Heimat Köln. Die Einkaufsstraßen sind zu eng. Da ist es schwierig, Fans auszuweichen: "Wenn du einmal stehenbleibst, weil jemand ein Selfie mit dir machen will, ist es vorbei." Dann würden immer mehr Jugendliche neugierig und wollten Handyfotos von sich mit ihrem Idol.

Auch Sarazar ist auf vielen Selfies mit Leuten, die ihn auf der Straße erkennen. "Meine Zuschauer sind teilweise noch sehr jung", sagt er. Sarazar ist ihr Vorbild, sie wollen sich kleiden wie er, Spiele zocken wie er. 1000 Nachrichten bekommt er jeden Tag auf Facebook, dazu die Kommentare unter seinen Videos.

Die 19-Jährige Melina und der 30-jährige Valentin "Sarazar" Rahmel sind Youtuber, veröffentlichen also Videoclips im Internet. Bei ihnen suchen viele Teenager und junge Erwachsene das, was sie in Castingshows und Scripted-Reality-Sendungen im Fernsehen nicht finden: "authentische" Unterhaltung. Und mit diesen Fans ist viel Werbegeld zu verdienen.

Sarazar ist ein Youtuber der ersten Stunde

Fast 500 000 Abonnenten hat Melinas Kanal "lifewithmelina" auf Youtube. Ihre kurzen, schnell geschnittenen Filme sind harmlose, an Teenager gerichtete Improvisationscomedy: Sie setzt sich einen gigantischen Hasenkopf aus Plüsch auf und fragt mit falschem russischen Akzent Jungs auf der Straße nach ihrer Nummer. Mit anderen Youtubern schiebt sie sich einen Esslöffel Mehl in den Mund und singt nuschelnd Lieder.

Valentin Rahmel alias Sarazar hat sogar 1,5 Millionen Abonnenten. Er spielt in seinen Videos Online-Computerspiele, von Call of Duty über GTA bis Battlefield, und kommentiert das Geschehen auf dem Bildschirm. "Let's play" heißt das Genre auf Youtube.

Rahmels Fans sind nicht ganz so jung, teils bis 30 Jahre alt. Viele sind mit Rahmel älter geworden. Er ist seit 2010 auf Youtube, das war noch vor dem großen Hype der Youtuber, die manchen Werbemenschen inzwischen als die neuen Rockstars gelten. Online ist er aber schon viel länger. Seinen Spitznamen "Sarazar", unter dem er heute noch seine Videos veröffentlicht, hat er sich mit 13 Jahren für die ersten Online-Rollenspiele gegeben, deren Namen heute außerhalb der Community keiner mehr kennt. Das war noch vor World of Warcraft. So hat er auch seinen Kumpel und Geschäftspartner Erik Range kennengelernt, der als "Gronkh" stolze drei Millionen Abonnenten auf Youtube hat.

"Ein ganz normaler Hampelmann"

Die beiden stellten schließlich ein Spielemagazin online, wollten ihr Hobby zum Beruf zu machen. "Wir haben dann Partner gesucht, das hat auch irgendwann geklappt. Trotzdem wussten wir manchmal nicht, wie wir die nächste Rechnung bezahlen sollen." 2009 gründeten sie die Play Massive GmbH und experimentierten mit Videos. Schnell stießen sie auf Youtube, wo das auch mit wenig Technik möglich ist. "Wir wollten einfach mal die Spiele zocken und dabei erzählen, wie wir sie finden", sagt Rahmel. "In unseren kühnsten Träumen hätten wir nicht damit gerechnet, dass so viele das sehen wollen. Wir haben vielleicht mit 20 000 Zuschauern gerechnet."

Doch es wurden mehr. Erst langsam, dann immer schneller. Heute haben Gronkh und Sarazar Auftritte auf ProSieben, spielen in Live-Shows vor mehreren tausend Leuten auf, die jubelnd dabei zusehen, wie sie auf der Bühne herumblödeln und dabei zocken. "Das ist schon krass", sagt Rahmel. "Vor drei Jahren warst Du noch irgend so ein ganz normaler Hampelmann, der bei Youtube Videos macht, heute bist Du auf einer Bravo-Doppelseite. " Was das besondere an Gronkh und Sarazar ist? "Wir hatten auch Glück", sagt Rahmel, "waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Sicher gibt es irgendwo noch andere, die das eigentlich viel besser könnten."

Nun sitzt aber Rahmel und kein anderer in den Räumen des "Studio 71" in Berlin Mitte, einem Multichannel-Netzwerk, das zur ProSiebenSat.1 Gruppe gehört. Das Netzwerk will Fernsehen und den wachsenden Markt der Web-Videos zusammenbringen, auch die Videoplattform My Video gehört dazu. Was das TV-Unternehmen von Sarazar und Gronkh will? Nun, Rahmel mag tatsächlich "ein ganz normaler Hampelmann" sein, wie er da sitzt in Jeans und Pulli, mit halblangen Haaren und nettem Grinsen. Aber gerade das Normale, manchmal Chaotische, immer ein bisschen Improvisierte macht Youtube aus. Rahmel ist eloquent und stets bedacht darauf, nicht abgehoben zu wirken. Alles Dinge, die manchem Pro-Sieben-Sternchen fehlen.

Online-Ruhm hat seinen Preis

Mit einer vierjährigen Youtube-Karriere ist Rahmel schon alte Schule. Melina gehört zur nächsten Generation. Ihren Nachnamen will ihr Management geheim halten, kontrollieren, wer Zugang zu ihr hat. Auch wenn sie Videos in ihrer neuen Kölner WG dreht, in der sie mit Youtube-Kollegin Shirin lebt, ist Melina vorsichtig: "Wir müssen aufpassen, dass wir unsere Straße nicht filmen, oder mit der Kamera aus dem Fenster raus." Auch Online-Ruhm hat seinen Preis in der Offline-Welt.

Vor einem Jahr hat Melina in Minden ihren Realschulabschluss gemacht. Sie wusste, dass sie zum Fernsehen wollte: "Ich war schon immer die, die am meisten Faxen gemacht hat." Statt sich über Praktika oder Castings in der TV-Hierarchie hochzudienen, nahm sie die Abkürzung Youtube: Sie wurde bekannt, als der bereits bekannte Spaßvogel "Liont" sie in einem seiner Videos auftreten ließ: "Ich hatte 2000 Abonnenten, am nächsten Tag 10 000, nach einem Monat 100 000. Da habe ich erst gemerkt, wie viele Menschen das schauen."

Andere Mädchen in Melinas Alter geben online erfolgreich Schminktipps, werden mit sogenannten "Hauls" berühmt: Perfekt geschminkte Mädchen wie "Dagi Bee" zeigen, welche Schnäppchen sie bei, Shoppen gemacht haben und präsentieren die Produkte vor der Kamera. Hauls sind ein Fest des unkritischen Konsums. Sollte Sahra Wagenknecht Albträume haben, so könnten sie aussehen.

Melina hat eine andere Nische gefunden, sie ist so etwas wie die Anarchistin unter den Youtubern. Ihr Image ist eher das der durchgeknallten besten Freundin als das der Schönheitskönigin: "Meine besonderen Eigenschaften sind zum Beispiel Grimassen. Während andere immer darauf achten, gut auszusehen, mache ich gern ein Doppelkinn, einfach so."

Comedy-Videos lädt sie täglich um 14 Uhr auf Youtube hoch: "Da kommen viele von der Schule." Um 18 Uhr folgt ein Vlog, ein Videotagebuch - die entscheidende Zutat. Die Fans können sie online im Alltag begleiten: Melina schraubt ein Regal zusammen und beschwert sich über krumme Teile. Die Kamera ist dabei.

Melina kocht Nudeln und rührt als Soße Pesto mit Ketchup zusammen. Die Kamera ist dabei. Fans kommentieren unter den Videos, auf Twitter und Facebook, Melina reagiert. Die Interaktion hält die Follower bei der Stange.

Privatsphäre? Schwierig

Privatsphäre? "Ich habe wenig Grenzen. Nur wenn ich alte Freunde treffe oder meine Eltern mich besuchen, würde ich nicht filmen." Statt im Jugendzimmer in Minden sitzt sie nun in einem Loft in Kölns Innenstadt. Die Tür ist offen, zwei Scheinwerfer, drei Sofas, auf jedem hockt ein junger Youtuber mit seinem Macbook auf dem Schoß, Melina mit Mittelscheitel, im schwarzen Kapuzenpulli in der Mitte. Das ist die Zukunft der Unterhaltungsindustrie.

In diese Räume zieht gerade Tubeone ein, die Firma, die Melina und mehrere andere erfolgreiche Youtuber vermarktet. Hier wird zentral gedreht, trainiert, geplant. PR-Training bekommt Melina auch von Youtube - schließlich verdienen an der Werbung, die vor den Clips geschaltet wird, alle: Melina, Tubeone und Google, das Mutterunternehmen von Youtube. Dorthin sollen 45 Prozent der Einnahmen fließen. Wie viel Melina selbst pro Klick bekommt und wie viel davon sie an Tubeone abgeben muss, sagt sie nicht. Das ist das große Geheimnis der Youtuber. Klar ist jedoch: Die Konkurrenz wird härter, die Anzeigenpreise sinken, und nur eine Elite, zu der Sarazar und Melina gehören, kann von Youtube leben.

Tubeone konkurriert hart mit anderen Netzwerken wie zum Beispiel Mediakraft, die die neuen Sternchen vermarkten. Und nun kommen auch noch Mulitchannelnetzwerke dazu - wie eben "Studio 71", zu dem Sarazar und Gronkh gehören. Von Pro Sieben versprechen sie sich "mehr Unterstützung, größere Reichweite."

Product Placement ist wichtig

Trotzdem pochen Gronkh und Sarazar auf Unabhängigkeit, beim PR-Training kann man sich Valentin Rahmel schlecht vorstellen. "Wenn wir auf etwas keine Lust haben, dann zwingt uns auch keiner", sagt er. Er steht dem Hype um Youtube auch kritisch gegenüber. "Heute gibt es viele Youtuber, die fangen schon mit dem Ziel an, berühmt zu werden." Die seien in den Videos ganz anders als im echten Leben. "Ich habe viele Youtuber gesehen, teilweise auch sehr erfolgreiche, wo ich merke: Das ist sehr aufgesetzt." Namen will er keine nennen und sagt eilig: "Aber das soll jeder so machen, wie er mag."

Was wäre denn aufgesetzt? "Ich mache zum Beispiel nur Werbung für Unternehmen, die ich gut finde, die auch zu uns passen", sagt Rahmel. Alles andere findet er "persönlich schwer vertretbar". Und es wäre geschäftsschädigend: "Da bekommt man dann einmal Geld, aber der Ruf auf Youtube ist hin." Product Placement ist wichtig für das System der Youtuber. Etablierte Marken benutzen die Protagonisten, um an junge Kunden zu kommen, die sie mit dem Fernsehen, mit Anzeigen in Magazinen oder klassischer Online-Werbung nicht erreichen.

Melina testet in ihren Videos zum Beispiel eine Dating-App oder spielt vor, welche "10 Arten von Filmguckern" es gibt (von Schwätzern bis zu Ängstlichen) - erwähnt am Ende Netflix sowie Vodafone und weist auf die Unterstützung durch den Werbeträger hin, damit die Vorgaben der Landesmedienanstalten erfüllt sind. Denn die beobachten genau, wie transparent die Vermarktungs-Netzwerke in Videos auf Product Placement hinweisen - damit es nicht zu illegaler Schleichwerbung kommt. Tubeone verweist darauf, dass alle betroffenen Videos entsprechend deutlich gekennzeichnet würden. Melinas Einstellung zum Product Placement: "Wenn's ein geiler Mascara ist - warum nicht?"

Ums Geschäftliche kümmert sich Tubeone, Melina macht gerne mit. Die 19-Jährige bringt, kakaoschlürfend, das Prinzip der Disruption ganzer Branchen durch eine digitale Avantgarde, das Wirtschaftsprofessoren und CEOs beschäftigt, auf den Punkt: "Eine Fernsehproduktion hat für PR, Aufnahme, Schnitt und so verschiedene Abteilungen. Ich mache alles, was eine Fernsehproduktion macht, alleine." Billige Technik, Enthusiasmus und ein Gespür für das, was "authentisch" erscheint, ermöglichen die Revolution der Amateure. Und mittendrin eine junge Frau aus Minden, die gar nicht weiß, woher der ganze Ruhm plötzlich kommt.

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