Prognosedienst:Warum die USA das Wettportal Intrade verbieten

Das Internetportal Intrade lässt seine Nutzer auf den nächsten US-Präsidenten, die kommenden Oscar-Gewinner oder Aktienkurse wetten. Und die Vorhersagen des Dienstes sind erstaunlich präzise. Doch jetzt soll Schluss sein.

Von Benjamin Zeeb

Ende Februar werden in Los Angeles die Oscars verliehen. Wer eine goldene Statue mitnehmen darf, wissen vorher eigentlich nur die Mitglieder der Academy. Eigentlich. Mit einem Klick auf die Website des Vorhersage-Marktes Intrade, einer Art Wett-Portal im Netz, scheint die Zukunft jedoch ein Stück berechenbarer. Anhand der Summen, zu denen bei Intrade potenzielle Oscar-Gewinner gehandelt wurden, konnte man in den vergangenen Jahren mit nur wenigen Ausnahmen die Gewinner in den wichtigsten Kategorien schon vor der Verleihung ablesen.

Wie aber kann eine irische Wettbörse mit lediglich vier Mitarbeitern derart verlässlich prognostisch sein? Das Prinzip hinter Intrade ist relativ simpel: Sie ergeben sich aus dem Marktverhalten der Anleger. Anders als klassische Wettanbieter zeigt die Seite an Stelle von Quoten prozentuale Wahrscheinlichkeiten an. Mitglieder handeln die unterschiedlichen Eventualitäten wie Aktien - beispielsweise, dass Steven Spielbergs Lincoln den Oscar für den besten Film erhält.

Erstaunlich zuverlässig

Was gekauft wurde - und das ist ein weiterer Unterschied zu normalen Internetwetten - kann man jederzeit wieder verkaufen, bis an einem vorgegebenen Enddatum der Wert jedes Vertrages entweder auf zehn Dollar (wenn das Ereignis eintrifft) oder null Dollar (wenn es nicht eintrifft) festgesetzt wird.

Interessant ist das Konzept vor allem, weil es sich nicht auf Preisverleihungen beschränkt. Die Seite bietet Wetten auf die unterschiedlichsten Ereignisse des Weltgeschehens an, bei Wahlen oder bei der Einschätzung internationaler Konflikte: Intrade hat sich in der Vergangenheit immer wieder als erstaunlich zuverlässiger Indikator erwiesen.

Damit soll nun Schluss sein, zumindest in den USA. Die infolge der Bankenkrise verschärften Finanzmarkt-Regularien zwangen im Dezember vergangenen Jahres die Betreiber der Seite alle Konten ihrer amerikanischen Nutzer aufzulösen. Bei Intrade kann man neben gesellschaftlichen Großereignissen auch auf Börsenkurse wetten - der einzige Kritikpunkt der Behörden war das aber wohl nicht.

Viele Journalisten und Blogger bedauern den Schritt. Sie erkannten in dem Unternehmen, das mit den USA seinen wichtigsten Markt aufgibt, eine Art moderne Kassandra. Außerdem verstoße die erzwungene Schließung gegen die Meinungsfreiheit. Intrades Ausschluss sei eine Schande war im Boston Globe zu lesen, und das Forbes Magazine bedauerte, dass der Vorhersage-Markt damit nun an Aussagekraft verliere.

Gegründet wurde Intrade 1999, der Firmensitz ist Dublin, wo die Regulierung von Online-Wetten großzügig gehandhabt wird. In Zukunft will man sich, so Carl Wolfenden, der Verantwortliche für die Abfassung nationaler Verträge, auf den europäischen Markt konzentrieren. Hier gebe es weniger Probleme.

Wetten mit bitterem Nachgeschmack

Unabhängig von den rechtlichen Fragen - einige der "Märkte", die Intrade anbietet, hinterlassen einen bitteren Beigeschmack: Eine Wette auf die Möglichkeit, dass Israel oder die USA bis Ablauf des Jahres einen offenen Militärschlag gegen Syrien ausführen, kostet derzeit 2,31 Dollar, was einer Wahrscheinlichkeit von 23,1 Prozent entspricht. Wer das Papier zu diesem Preis kauft, kann sich also im Falle eines Angriffs über 7,69 Dollar Gewinn freuen.

Auch wenn Skepsis angebracht ist: Intrade weckt den alten Traum vom Blick in die magische Kristallkugel: Von der New York Times bis zum Handelsblatt tauchte die Seite im vergangenen Jahr immer wieder auf, wenn es etwa darum ging, Barack Obamas Chancen auf eine Wiederwahl zu bestimmen. Und die Vorhersagen bewahrheiteten sich. Wieder einmal.

Für die US-Wahlen 2004 stimmten die Prognosen sogar für jeden einzelnen Bundesstaat, 2012 lag man nur in Florida daneben. 2008 betrug die Abweichung eine einzige Wahlmann-Stimme. Wie genau die Prognosen die Lage diesseits des Atlantiks einschätzen können, bleibt abzuwarten. Zocken lässt sich jedenfalls auch auf die Eventualität, dass ein europäisches Land bis Ende des Jahres aus dem Euro austritt. Die Wahrscheinlichkeit angeblich: elf Prozent.

Verständliche Formel

Natürlich hat die Weisheit der Märkte ihre Grenzen. Als es um die Frage ging, ob der US-Supreme Court Obamas Gesundheitsreform bestehen lassen würde, stand die Wahrscheinlichkeit dafür noch Tage vor der Entscheidung bei gerade 20 Prozent. Die Erörterungen des Vorsitzenden Richters John G. Roberts, der schließlich die Zweifel an der Legalität des Gesetzes zerstreute, erwiesen sich als zu komplex für die Berechnungen der Hobby-Börsianer. Wann immer es aber darum geht, eine Masse an Informationen auf eine verständliche Formel zu reduzieren, ist dieser Prognosenmarkt schwer zu schlagen.

Dennoch betont Wolfenden: "Wir haben es bei allen Märkten immer noch mit Wahrscheinlichkeiten zu tun und eine Wahrscheinlichkeit von 80 Prozent ist eben nicht dasselbe wie 100 Prozent." Intrades Zukunft sieht er optimistisch: "Irgendwo", so Wolfenden, "ist immer Wahl."

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