Süddeutsche Zeitung

Privatsphäre:Datenschützer prüfen, ob Facebook seine Nutzer abhört

  • Seit Jahren hält sich das Gerücht, dass Facebook heimlich über das Handy-Mikrofon Gespräche mitschneidet.
  • Je nach deren Inhalt sollen dann, so der Verdacht, passende Werbeanzeigen in der Facebook-App ausgespielt werden.
  • Hamburger Datenschützer wollen die Abhör-Vorwürfe nun prüfen.

Von Marvin Strathmann

Der Kollege berichtet beim gemeinsamen Mittagessen Seltsames: Obwohl er nie im Internet nach Sofas gesucht habe, zeigte Facebook ihm passende Werbeanzeigen an. Hört das soziale Netzwerk vielleicht über seine Smartphone-App Gespräche ab? Und zeigt dann passende personalisierte Werbeanzeigen an? Nicht nur der Kollege hat den Eindruck, dass Facebook mithört. Immer wieder berichten Nutzer, dass sie plötzlich die passende Werbeanzeige sehen, nachdem sie über ein bestimmtes Thema gesprochen haben.

In Hamburg, wo Facebook seinen Deutschland-Sitz hat, werden die Abhör-Vorwürfe nun geprüft. Der Datenschutzbeauftragte der Hansestadt verschaffe sich bis Ende des Jahres einen Überblick und entscheide dann, wie er weiter vorgehen werde, bestätigte seine Behörde der SZ. Belastbare Ergebnisse gebe es noch nicht.

Das Spionage-Gerücht hält sich seit Jahren. Die Story wurde 2013 unter anderem von Verschwörungsportalen wie dem amerikanischen "Infowars" verbreitet, auf dem man auch Quatschtheorien über den 11. September und Barack Obamas Geburtsort nachlesen kann. Aber nur weil jemand paranoid ist, ist das kein Grund, dass er nicht trotzdem verfolgt wird. Facebook sammelt schließlich allerhand Daten über seine Nutzer, vom Wohnort bis zum Mailanbieter.

Facebook steht unter Beobachtung

Bisher sind keine handfesten Beweise aufgetaucht, die die Abhör-Theorie stützen, etwa Software-Analysen oder Experimente von Wissenschaftlern. Würde Facebook wirklich dauerhaft das Mikrofon nutzen und Gespräche aufzeichnen, dann würde das Spuren hinterlassen. Der Akku des Smartphones müsste beispielsweise schneller leer werden, wenn das Mikrofon immer mithört. Außerdem müsste das Unternehmen irgendwie an die Daten gelangen, also die Audio-Inhalte vom Smartphone an die eigenen Server schicken. Unbemerkt. Anschließend müsste Facebook die Audio-Daten zuverlässig erfassen und auswerten, etwa indem es verschiedene Personen erkennt, Wörter korrekt zuordnet und den Kontext versteht. Das wäre keine leichte Aufgabe, dutzende Mitarbeiter müssten daran beteiligt sein.

Erst vergangene Woche dementierte Rob Goldmann, der bei Facebook für Werbung verantwortlich ist, das Gerücht erneut: "Wir verwenden das Mikrofon nicht für Anzeigen und haben es nie getan. Das ist einfach nicht wahr."

Neues Feature verunsicherte Nutzer

Genährt wurde das Gerücht durch Medienberichte - und durch Facebook selbst. Im Mai 2014 befassten sich nicht nur Verschwörungsseiten mit dem Thema, schlagartig suchten sehr viele Menschen im Internet nach "Facebook listens" (Facebook hört zu). Das zeigen Daten über Suchanfragen auf Google. Der Auslöser: Das Unternehmen hatte eine neue Funktion angekündigt, um automatisch Songs, Filme und Fernsehsendungen zu erkennen, die im Hintergrund laufen. Willigt der Nutzer ein, schaltet Facebook das Mikrofon für 15 Sekunden an, wenn er ein Status-Update verfasst. Das Soziale Netzwerk erkennt dann beispielsweise ein Lied und schon steht zum Beispiel "Lukas hört Despacito" über dem Facebook-Eintrag.

Viele Bürger sehen den Konzern in Sachen Datenschutz so kritisch, dass die neue Funktion eine heftige Gegenbewegung auslöste. Mehr als 600 000 Menschen unterschrieben eine Online-Petition, um das neue Feature zu verhindern. Später sprach das Unternehmen von "Missverständnissen": Niemand müsse die Funktion nutzen, Gespräche würden nicht aufgezeichnet, das Mikrofon sei nicht dauernd an. Bis heute ist das Feature in Deutschland nicht verfügbar.

Professorin fühlte sich falsch verstanden

Die nächste Verunsicherung erfolgte im Mai 2016, ausgelöst vom amerikanischen Nachrichtensender News Channel 8. Der sprach mit Kelli Burns, Professorin für Soziale Medien aus Florida. Für einen Test erlaubte sie Facebook Zugriff auf das Handy-Mikrofon und sprach darüber, wie sehr ihr eine Safari in Afrika mit einem Jeep gefallen würde. Später ploppte in ihrem Newsfeed ein Eintrag von einem Freund über eine Safari auf. Dazu noch eine Autowerbung, also höchst verdächtig. War das der Beweis für Facebooks großen Lauschangriff? Manche Webseiten titelten: "US-Professorin warnt: Facebook-App kann Nutzer abhören".

Im Gespräch mit dem britischem Sender BBC relativierte Burns den Vorfall und stellte klar: "Ich habe niemals gesagt, dass Facebook dich hören kann." Die Geschichte werde völlig übertrieben dargestellt. Aber sie zeige auch, dass sich sehr viele Menschen sich um ihre Privatsphäre Sorgen machen. Und der Safari-Post? Der sei wohl eher Zufall, weil er von einem Freund mit sehr vielen Bekannten kam. Daher würde er ganz oben im Newsfeed auftauchen. Doch als das Dementi kam, war die Geschichte von der Safari-Abhöraktion schon in der Welt.

Der Konzern hat ein Image-Problem

Das Unternehmen sah sich genötigt, eine Stellungnahme herausgeben: "Facebook verwendet das Mikrofon nicht für Werbung oder Posts im Newsfeed". Weiter hieß es, Werbung werde anhand der Informationen im Profil und der Interessen der Nutzer angezeigt, nicht anhand ihrer Gespräche.

Was bleibt von all diesen Gerüchten und Berichten? Für akustische Spionage gegen Facebook-Nutzer fehlen die Beweise. Doch der Fall verdeutlicht das Imageproblem des sozialen Netzwerks: Viele Nutzer würden ihm offensichtlich zutrauen, zu eigenen Vorteil Gesetze zu brechen.

Wer möchte, kann der Facebook-App verbieten das Mikrofon zu nutzen. Dafür wählen Android-Nutzer ab Version 6 in den Einstellungen "Apps" und tippen anschließend auf die Facebook-App. Dort können die Berechtigungen geändert werden. In neueren Versionen geht das in den Einstellungen zusätzlich unter "Apps & Benachrichtigungen", "App-Berechtigungen". Apple-Nutzer wählen in den Einstellungen "Datenschutz" und können dort die Berechtigungen für das Mikrofon verwalten.

Andere Dienste hören mit

Tatsächlich sind es andere Unternehmen, die über das Smartphone-Mikro mithören, weil sie einen digitalen Assistenten bereitstellen: Siri von Apple, Cortana von Microsoft, Alexa von Amazon oder der Assistent von Google. Wenn der Nutzer es erlaubt, hören Geräte mit installierten Assistenten dauerhaft die Umgebung ab und warten auf ihr Stichwort, zum Beispiel "Hey Siri" oder "OK Google". Sagt der Nutzer das Stichwort, startet der digitale Assistent. Obwohl die Systeme andauernd zuhören müssen, um ihr Stichwort zu erkennen, speichern sie nicht die ganze Zeit über alle Gespräche, die das Mikrofon erfasst. Die Aufnahme beginnt erst, wenn der Nutzer das Stichwort sagt.

Wer beispielsweise Googles Assistenten nutzt, kann seine Google-Aktivitäten einsehen und alle Aufnahmen online anhören. In dem Menü können sie auch gelöscht werden. Ähnliche Funktionen existieren für Alexa und Cortana. Siri-Nutzer können den Sprach-Verlauf nicht einsehen, aber Apple verspricht immerhin, die Daten nur anonymisiert an die eigenen Server zu schicken.

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