Preisdifferenzierung im Internet:Tricksen und täuschen mit System

Automobile Manufacture At Hyundai Motor Co. Plant

Nicht nur Autovermieter tricksen im Internet.

(Foto: Bloomberg)

Gerade wurden Autovermieter dabei erwischt, wie sie bei Online-Buchungen verschiedene Preise berechnen. Doch auch andere Branchen verfolgen raffinierte Strategien im Internet. Wie dort getrickst wird - und wie man sich dagegen wehrt.

Von Jens Flottau, Michael Kuntz und Helmut Martin-Jung

Große Autovermieter wurden von der EU-Kommission beim Abzocken überführt. Ein deutscher Kunde sollte für ein Fahrzeug in Großbritannien doppelt so viel bezahlen, wie einem Briten berechnet worden wäre. Wenn der Wohnsitz über den Preis entscheidet, ist das für die EU-Kommission ein klarer Verstoß gegen ihre Antidiskriminierungs-Richtlinie. Die verbietet es, die Höhe von Preisen aufgrund der Staatsangehörigkeit oder des Wohnsitzes von Verbrauchern festzulegen.

Was bei einigen führenden Autovermietern gängige Praxis ist oder zumindest war, scheint im Internet ziemlich verbreitet zu sein: In ihrem Bestreben, den im jeweiligen Zeitpunkt für sie günstigsten Preis zu erzielen, entwickeln Autovermieter, Hotelanbieter, Fluggesellschaften und andere eine beträchtliche Kreativität zulasten von Verbrauchern. Das geschieht mit System: Die Preisdifferenzierung im Internet gilt als die Königsdisziplin für moderne Marketing-Manager. Man kann es auch anders formulieren: Tricksen und täuschen sind an der Tagesordnung.

Wie reagieren die Autovermieter?

Zum Tricksen und täuschen kann auch gehören, erst einmal nichts zu sagen. Das praktiziert derzeit Europcar, der mit einem Marktanteil von knapp einem Viertel größte Autovermieter in Europa. Zu dem Vorwurf der EU-Kommission verweigert er eine Stellungnahme. Hertz will nun seine Computersysteme umstellen. Dafür benötige man vier bis sechs Wochen.

Avis will erst noch einmal mit dem Absender der schriftlichen Ermahnung sprechen. Man warte auf einen Termin bei EU-Generaldirektor Jonathan Faull. Sixt sagt, man habe ein automatisches Rerouting nach Identifizierung der IP-Adresse nie betrieben. Die Stellungnahmen zeigen, dass es offenbar ebenso kompliziert ist, den Autovermietern auf ihre Schliche zu kommen, wie die Preisdifferenzierung im Netz generell.

Gibt es im Internet Preisklarheit?

Den günstigsten Preis im Internet zu finden, scheint einfach zu sein. Diverse Vergleichsportale etwa für Mietwagen, Hotels, Flüge oder auch Pauschalreisen suggerieren den totalen Durchblick. In der Praxis gibt es den eher nicht. Hotels entziehen sich der Vergleichbarkeit, indem sie viele Zimmerkategorien bilden oder Zusatzleistungen bündeln. Ob das Zimmer im Hochhaus oben liegt, Garten- oder Meerblick, Frühstück plus Internet plus Parkplatz als Business-Paket, das sorgt für Verwirrung.

Die ist durchaus gewollt, wie Mobilfunkfirmen und Banken vormachen. Sie locken mit befristeten Angeboten und komplizierten Preissystemen. Statt Preisklarheit gibt es im Internet häufig genau das Gegenteil. Verbraucher, die nicht ein präzises, ihren Erwartungen entsprechendes Produkt mit anderen gleichartigen vergleichen, sind leicht in die Irre zu führen. Erst recht, wenn sie für eine Auslandsreise etwas suchen und sich auf ungewohntem Terrain bewegen. Das gilt nicht nur beim Automieten, sondern beim Kauf von Flugtickets.

Wie oft gibt es neue Preise?

Komplexe Yield-Management-Systeme aktualisieren bei Airlines täglich Tausende Preise automatisch, die Mitarbeiter der Erlössteuerung greifen nur selten selbst ein. Zahlreiche Faktoren beeinflussen den Preis, darunter der Standort, die Vorausbuchungsfrist und die Reisedauer. Soll das Ticket umbuchbar sein, ist es automatisch teurer, denn die Fluggesellschaft riskiert, einen leeren Sitz durch die Gegend zu fliegen, wenn sich der Passagier entscheidet, die Reise noch nicht anzutreten.

Wie man sich wehrt

Und sie muss mehr Sitze für Kunden vorhalten, denen sie Flexibilität garantiert. Untersuchungen zeigten, dass Flüge von großen Drehkreuzen aus tendenziell teurer sind, denn die Marktführer dort haben meist mit weniger Konkurrenz zu tun. Airlines halten auch ganz bewusst Sitze für Märkte zurück, in denen bessere Preise zu erreichen sind. Läuft gerade New York-Frankfurt-New York besser als Frankfurt-New York-Frankfurt, so wird der Flug eher in den USA gefüllt als in Deutschland.

Sind differenzierte Preise gut?

Das kommt darauf an. Wer in einem Land mit weniger Kaufkraft lebt, wird es schon in Ordnung finden, wenn er etwas günstiger bekommt als "die reichen Deutschen". Die fühlen sich rasch diskriminiert, wenn sie für ein Hotel in Griechenland mehr bezahlen sollen, als von einem Griechen verlangt wird.

Für eine positiv zu sehende Preisdifferenzierung gibt es ein Beispiel: Verlangt ein Arzt von einem armen Patienten einen zu hohen Preis, kann der sich die Behandlung nicht leisten und stirbt unter Umständen. Das kann der Arzt, auch wirtschaftlich betrachtet, nicht wollen. Die Höhe eines Preises an der Leistungsfähigkeit des Kunden festzumachen, bedeutet also auch, dass Menschen Produkte erhalten, die sie sich sonst nicht leisten könnten.

Was wissen die Anbieter?

Je besser Unternehmen ihre Kunden kennen, desto größer werden ihre Chancen, Geschäfte mit ihnen zu machen. Server protokollieren zum Beispiel die IP-Adresse. Oft kann man daraus schließen, aus welchem Land, in vielen Fällen sogar aus welcher Stadt und welchem Stadtteil eine Anfrage kommt. Außerdem werden die am Computer eingestellte Sprache, das Betriebssystem (Windows, MacOS, Linux), die Bildschirmauflösung und der verwendete Browser (Internet Explorer, Firefox, Chrome) erfasst.

Damit sie Besucher wiedererkennen können, platzieren die Server auch kleine Textdateien auf deren Computern, die Cookies. Auch das Flash-Format, das manchmal für blinkende Werbeanzeigen und meist für solche mit Bewegtbildern verwendet wird, tut Vergleichbares. Besucht ein Kunde dann eine Seite öfter, erkennt der Server das. Wenn unterschiedliche Seiten dasselbe Werbenetzwerk nutzen, was häufig vorkommt, werden die Informationen untereinander ausgetauscht.

Wie man sich wehrt

Anbieter, die ihre Preise dynamisch anpassen, nutzen alle Daten, die ihnen helfen können zu beurteilen, wie viel Interesse ein Kunde tatsächlich zeigt. Wer das verhindern will, muss dafür sorgen, dass der Anbieter möglichst wenig über ihn weiß. Dazu darf man sich bei einer Seite keinesfalls anmelden. Ein wichtiger Schritt ist ferner, den Browser so einzustellen, dass die Cookies gelöscht werden, sobald man den Browser schließt.

Da die Anbieter noch andere Methoden zur Wiedererkennung nutzen, kann es sinnvoll sein, für Recherche und Buchung zwei verschiedene Computer von verschiedenen IP-Adressen aus zu nutzen, zum Beispiel den im Büro und den zu Hause. Es gibt auch die Möglichkeit, über Anonymisierungsdienste seine Identität so gut wie vollständig zu verschleiern.

Dies ist aber ziemlich unkomfortabel.

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