Politik auf Facebook:Der nächste Informationskrieg

Lesezeit: 6 min

Mehr Information heißt auch: mehr Desinformation. Allerdings: Propaganda - das Wort muss neu gedacht werden. Im allgemeinen Verständnis geht sie von staatlichen Akteuren oder Medien aus, die von Staaten gelenkt werden. "Heutzutage kann jeder zum Propagandisten werden", sagt die Kommunikationswissenschaftlerin Lena Frischlich von der Uni Münster. "Wobei man auch unbewusst dazu werden kann." Sie erzählt von ihrer Mutter, die verunsichert nachfragte, was es auf sich habe mit der vergifteten CD mit Koranversen. Diese erfundene Geschichte hatte sich massenhaft über Whatsapp verbreitet.

Der Fall ist typisch für die Entwicklung, die Soziologin Zeynep Tufekci beschreibt: Bürger nutzen die neuen Kommunikationswege für ihre eigene Politik, dazu brauchen sie weder den Ortsverein einer Partei noch die Stadtteil-Initiative: "Sie teilen persönliche Geschichten und Erfahrungsberichte, die ihr gemeinsames Narrativ stützen. Darin vermischt sich oft die Politik des rassistischen Ressentiments mit falschen Behauptungen und Fakten, die von jenen mächtigen Institutionen ignoriert werden, die diese Menschen hassen."

Facebooks eigene Analyse beschreibt den quasimilitärischen Charakter dieser Versuche. In einem Bericht erklärte das Netzwerk vergangene Woche: Neben allen positiven Entwicklungen biete Facebook auch "bösartigen Akteuren" die Möglichkeit, ein weltweites Publikum mit "Information Operations" zu erreichen. Der militärische Begriff steht für gezielte Versuche, "den Informationsraum zu beherrschen". Sie können über extra angelegte Fake-Accounts laufen, auch automatisiert. Sie verbreiten bestimmte politische Botschaften en masse weiter, um andere Positionen untergehen zu lassen. Facebook selbst spricht von "falschen Verstärkern". Auch während des US-Wahlkampfes hat es dem Unternehmen zufolge solche Operationen gegeben.

Aber wenn denn der Informationskrieg ausbricht, dann ist er auch ein Informations-Bürgerkrieg.

Das kann dazu führen, dass Figuren wie der Ex-Big-Brother-Bewohner Jürgen Milski, der politischen Einflussnahme lange unverdächtig, mit einem Facebook-Rant über mutmaßlich ausländische Dealer am Kölner Rheinufer plötzlich von rechts gefeiert und von links verhöhnt wird.

Auch von Kollektiven kann Propaganda blitzschnell im System verbreitet werden. Sie sprechen sich in geschlossenen Facebook-Gruppen oder auf Boards wie 4Chan ab, und schlagen los. Auslöser kann sein, dass radikale Influencer einzelne politische Gegner öffentlich angehen und Fans der Polemiker mit Beleidigungen gegen den Account der "Zielperson" nachtreten. "Silencing" nennt sich die Strategie, Menschen wegen ihrer politischen Positionen zum digitalen Schweigen zu bringen. Verstärkt werden kann das durch immer intelligenter agierende Bots, die entsprechende Texte per Link weiterverbreiten oder gar in die Beleidigungsorgien einstimmen, etwa mit rassistischen Memes.

Jeder wird zum Aufmerksamkeits-Hacker

Personen und Kleingruppen können also leichter großen Einfluss in Debatten ausüben - wenn sie das neue Spiel verstanden haben. Autor Clay Shirky analysiert nüchtern: "Die Parteien kontrollieren keine essentielle Ressource mehr." Digitale Kommunikation bedeutet: null Vertriebskosten, null Transaktionkosten. Das gilt auch für die Verbreitung politischer Informationen. Es gibt Hebel, um Debatten zu beeinflussen, die es vor der Social-Ära nicht gab. So wie die zahlenmäßig kleine Alt-Right-Bewegung vor der US-Wahl vom Forum 4Chan aus eine unabhängige, auf das Netz zugeschnittene Wahlkampagne für Trump lostrat (ihr Einfluss ist allerdings umstritten). Der linke Teil Amerikas organisiert in geschlossenen Online-Gruppen gerade den Widerstand gegen Trump, seine Hashtags lauten #smallacts oder #resist. An solchen Ideen orientiert sich die SPD, wenn sie unter dem Schlagwort "Schulzzug" versucht, Euphorie für Martin Schulz zu wecken. Seit das Umfragehoch der Partei gebremst ist, wird die Formulierung fast nur noch ironisch von Gegnern des Kandidaten verwendet. Ein weiteres Hashtag ist gekapert worden.

Danah Boyd hat dazu die These vom "Hacken" der Aufmerksamkeitsökonomie entwickelt: Politische Manipulation wird demokratisiert, Akteure suchen von allen Seiten Möglichkeiten, das System aus traditionellen und sozialen Medien kurzzeitig zu kapern (Hacken definiert Boyd als: "mit technischen und sozialen Fähigkeiten die Grenzen von Systemen austesten"). Wenn politische Werbung technisch genau wie kommerzielle virale Werbung funktionieren kann, dann kann jeder mit der richtigen Taktik im richtigen Augenblick die Aufmerksamkeit im Netz auf seine Themen ziehen.

Dazu nutzen die neuen politischen Akteure (die alles sein können von Teenagern im Keller ihrer Eltern bis zu Geheimagenten) Techniken, die jugendliche Trolle schon lange kennen: Memes, die nur die eigene Gruppe versteht, Brigading, Silencing oder Doxxing. Eigentlich fehlt nur noch das erste politische Swatting, bei dem einem Gegner ein Spezialeinsatzkommando der Polizei auf den Hals gehetzt wird.

Willkommen in der neuen Demokratie.

Dieser Beitrag ist Teil der großen Datenrecherche der SZ, in der wir die politische Macht auf Facebook analysiert haben. Lesen Sie:

  • Von AfD bis Linkspartei - so politisch ist Facebook

    Sieben Parteien, 5000 Nutzer, eine Million Likes: Eine große SZ-Datenrecherche hat die politische Landschaft auf Facebook vermessen - drei zentrale Thesen aus dem Datensatz.

  • Sahra Wagenknecht Frauke Petry Was links und rechts verbindet - und trennt

    Feindbilder, Gutmenschen und Jan Böhmermann: Das hat die SZ-Datenrecherche über linke und rechte Vorlieben, die wichtigsten Köpfe und die Macht der Satire herausgefunden.

  • Der Facebook-Faktor

    2017 findet Wahlkampf auch auf Facebook statt. Und die Betonung liegt auf "Kampf". Wie dort Politik gemacht wird und das soziale Netzwerk die Bundestagswahl beeinflusst.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema