Süddeutsche Zeitung

Pirat Patrick Breyer:Endgegner des Überwachungsstaates

Patrick Breyer ist Fraktionsvorsitzender der Piraten in Schleswig-Holstein. Seine Partei wird gerade bedeutungslos, doch Breyers Mission ist noch nicht beendet. 

Von Marvin Strathmann, Kiel

­­Patrick Breyer ist viel zu spät dran. Der Pirat will Besuchern einer SPD-Veranstaltung Flugblätter seiner Partei mitgeben. Darauf gedruckt sind zehn Punkte gegen die Sozialdemokraten, zum Beispiel, dass sie das Handelsabkommen Ceta unterstützen. Doch das Publikum sitzt schon drin, nur fünf Zettel kann Breyer an eine Handvoll Zuspätgekommener verteilen. Für diese fünf Zettel ist er fast 100 Kilometer gefahren, von Kiel nach Schenefeld bei Hamburg. "Wenn nur einer eine kritische Frage stellt, dann hat es sich gelohnt", sagt er leise. Es ist das Ende eines langen Wahlkampftags.

Patrick Breyer ist der Fraktionsvorsitzende der Piraten in Schleswig-Holstein und einer der Gründungsmitglieder der Bundespartei. Der 40-Jährige macht aber nicht nur Landespolitik. Er will auch den Überwachungsstaat bekämpfen und eigentlich das gesamte politische System ändern. Deshalb klagt der Jurist Breyer. Und er klagt sehr oft. Er hat eine beeindruckend lange Verfahrens- und Beschwerdeliste vorzuweisen.

Am nächsten Sonntag wird sich seine Partei wohl aus dem Landtag verabschieden müssen. Die Umfrageinstitute zeigen nicht mal mehr einen Balken in Orange an, die Piraten verschwinden im Gemisch der grauen Sonstigen. Breyer will sich zwar nicht geschlagen geben, verweist auf ungenaue Prognosen vor der US-Wahl und Brexit, aber überzeugt von seinen eigenen Worten wirkt er nicht.

Von den Piraten wird in der deutschen Politik wohl nicht viel übrig bleiben. Breyer dürfte einer der wenigen sein, der nicht nur im Parlament etwas erreicht hat. Seine Arbeit wird Datenschutz und Transparenz in Deutschland wohl langfristig prägen.

Klagen, Klagen, Klagen

Er hat erreicht, dass Behörden nicht so einfach an PIN und Passwörter für Handys herankommen, hat erfolgreich Verfassungsbeschwerde gegen den Abgleich von Kfz-Kennzeichen unterstützt, verklagt die EU-Kommission, weil er bestimmte Gerichtsdokumente einsehen möchte, verklagt die Bundesrepublik Deutschland, weil die Webseiten von Ministerien IP-Adressen der Nutzer speichern. Er hat Verfassungsbeschwerde gegen den Datenaustausch von Sicherheitsbehörden mit den USA eingereicht und zieht für anonyme Prepaidkarten vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Viele seiner Klagen gehen über Jahre, enden meist vor den höchsten deutschen oder europäischen Gerichten. Manchmal gewinnt Breyer auf ganzer Linie, oft teilweise, manchmal lehnen Richter die Beschwerden ab. Breyer klagt immer weiter.

Seinen größten juristischen Erfolg errang er 2010. Damals entschieden die Richter am Bundesverfassungsgericht, dass die Vorratsdatenspeicherung (VDS) nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Die VDS ist für Datenschützer so etwas wie der Endgegner für Computerspieler: Es wird aufgezeichnet, wer mit wem wann und wo kommuniziert. Zwar wird nicht gespeichert, worüber kommuniziert wird. Aber allein mit den Metadaten können Behörden Menschen umfangreich durchleuchten und intime Geheimnisse erfahren.

Zehntausende haben gegen die erste Version der VDS protestiert, auf den Demonstrationen "Freiheit statt Angst", organisiert vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung (AK Vorrat). Breyer hatte dabei eine zentrale Rolle: Er engagierte sich im Arbeitskreis, hielt Reden auf Demonstrationen und schrieb an der Verfassungsbeschwerde mit. Es war nur ein Erfolg auf Zeit: Ende 2015 hat die Bundesregierung eine neue Version der VDS verabschiedet. Natürlich hat Breyer mit anderen Aktivisten eine Verfassungsbeschwerde eingelegt. Wieder muss das höchste Gericht des Landes entscheiden.

Fleißigster Abgeordneter im Parlament

Schon in seiner mehr als 400 Seiten langen Doktorarbeit über die Vorratsdatenspeicherung kam Breyer zu dem Schluss, sie sei nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Seit 2004 darf er den Dr. jur. vor seinen Namen setzen, betreut wurde seine Arbeit vom Frankfurter Professor Spiros Simitis, der 1970 das erste Datenschutzgesetz der Welt verfasste; für das Bundesland Hessen.

Breyer sagt, er habe Jura studiert, weil ihn Ungerechtigkeiten stören: Schon in der Familie habe er Konflikte lösen wollen. Der Job zog ihn weg aus Hessen, er landete im Norden. Breyer wurde Richter am Amtsgericht Meldorf in Schleswig-Holstein.

Über die Menschen aus Meldorf und Umgebung hat er bis in den Mai 2012 gerichtet. Dann wurden die Piraten mit 8,2 Prozent in das Landesparlament von Schleswig-Holstein gewählt, Breyer wurde Vorsitzender der Fraktion, gab den Posten ein Jahr später planmäßig wieder ab, wurde 2016 erneut zum Vorsitzenden gewählt. Sollten die Piraten es bei dieser Wahl nicht mehr ins Parlament schaffen, dann verschwindet der zumindest formal fleißigste Abgeordnete aus dem Landtag: 550 Initiativen hat er in den letzten fünf Jahren eingebracht.

Auch der Jurist und Datenschützer Breyer macht Fehler. Er hat Akten vom Innenministerium über Gefahrengebiete in Schleswig-Holstein auf seiner Webseite veröffentlicht, obwohl dort Namen und E-Mail-Adressen von Beamten zu lesen waren. Den Hinweis "Nur für den Dienstgebrauch" hatte Breyer auf einigen Dokumenten übersehen. Er musste die Daten löschen und um Entschuldigung bitten. Eine Strafanzeige von der Gewerkschaft der Polizei gab es trotzdem, sie wurde eingestellt.

Die sechs Piraten-Abgeordneten in Kiel haben wenig Macht. Deshalb braucht Breyer die Öffentlichkeit. Um Druck aufzubauen, wie er selbst sagt. Um zu nerven, sagen seine Gegner.

Aufmerksamkeit verschafft er sich nicht nur mit Anträgen im Landtag und Beschwerden vor dem Verfassungsgericht, sondern auch mit ungewöhnlichen Aktionen. So haben die Piraten Schreibmaschinen ausgepackt, als Laptops wegen Tipplärm im Landtag verboten werden sollten. Ein "Affentheater", sagte der Landtagspräsident.

Ein anderes Mal hat Breyer im Landtag einen Strauß aus Stoff herausgeholt und wollte ihn SPD-Fraktionschef Ralf Stegner übergeben. Der nahm den Vogelstrauß-Preis "für außerordentliche Leistungen bei der Verschleppung wichtiger Reformen" allerdings nicht an, Breyer wurde vom Landtagspräsidenten zur Ordnung gerufen. "Kasperletheater", befand FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki. Der ist so ziemlich das Gegenteil von Breyer - und für den Piraten ein Symbol für das, wogegen er kämpft.

"Kubicki steht genau für das System, das wir verändern wollen", sagt Breyer. Der FDP-Politiker sei nie im Landtag, dauernd in Berlin, ein Polit-Dinosaurier, der regelrecht hysterisch auf Transparenz reagiere. Breyer ist kein Freund von Kubicki und Kubicki kein Freund von Breyer: "Ich bin froh, diese Stimme im Landtag nicht mehr hören zu müssen", sagte Kubicki im Februar.

Breyer denkt über Fragen, die er noch nicht gehört hat, länger nach. Zehn Sekunden, manchmal 15. Das ist nicht talkshow-tauglich. Dort müssen die Antworten sofort kommen, am besten noch bevor der Moderator sie gestellt hat. Gern gesehen in solchen Shows ist dagegen Wolfgang Kubicki. Er ist schlagfertig und streitbar.

Bereits zwei Mal hat Breyer die 72-prozentige Gehaltszulage an das Bundesland zurückgezahlt, die ihm in seiner Funktion zusteht - in diesem Jahr mehr als 40.000 Euro. Noch so eine Aktion. Er nennt das "finanzielle Bürgernähe". Solcher Populismus bringt ihm Aufmerksamkeit der Medien auch über die Grenzen des Bundeslandes hinaus ein.

Der Stoff-Strauß sitzt prominent auf Breyers Schreibtisch in den Kieler Fraktionsräumen. Ansonsten ist sein Büro eher karg eingerichtet: Tisch und Stuhl für Besucher, eine Pinnwand mit einigen Zeitungsartikeln und Bildern, zwei Regale mit wenigen Aktenordnern. "Piraten arbeiten meist digital", sagt Breyer. Im Kopierraum der Fraktion hängt trotzdem die Aufforderung, nicht so viel Papier zu verschwenden.

Der Privatmensch Breyer schützt seine persönlichen Daten

Breyer redet gerne und ausführlich über seine Projekte, meist ruhig wie ein Klassenlehrer, der seine Schüler unter Kontrolle hat. Er redet über Erfolge der Piraten in Schleswig-Holstein und über die Nachteile des politischen Systems. Über Urteile des Europäischen Gerichtshofs, Transparenzanträge im Landtag, Fraktionszwang in Deutschland. Er blüht auf, wenn es gegen Bevormundung durch den Staat geht: Dann redet er etwas schneller, und der Aktivist lässt sich erahnen, der vor Tausenden Demonstranten auftritt.

Sobald es um private Details geht, wird Breyer einsilbig. Als er in den Landtag eingezogen ist - der Plenarsaal steht in einem hellen Kasten aus Glas -, wollte er nicht einmal sagen, wo er vorher als Richter gearbeitet hat.

Dass er schon früh kleine Computerprogramme auf dem Commodore 64 programmiert hat, mehr Privates erfährt man kaum. Das ist für ihn kein Widerspruch: Der Abgeordnete Breyer bemüht sich um Transparenz in der Politik, der Privatmensch Breyer schützt seine persönlichen Daten.

Das Navi spricht Französisch

Zu Breyers finanzieller Bürgernähe gehört, dass er auf Dienstwagen und Fahrer verzichtet. Damit spare er dem Land etwa 50.000 Euro, sagt er. Stattdessen nutzt er sein eigenes Auto, einen Kleinwagen von Toyota. Gerade im Wahlkampf ist er oft in Schleswig-Holstein unterwegs, sein Navi bringt ihn mit Anweisungen auf Französisch zum Ziel. Er findet die Stimme angenehmer als die Deutsche und sagt, er trainiere so die Fremdsprache.

Da er selbst fährt, kann er währenddessen nicht arbeiten. Andere Politiker bearbeiten auf dem Rücksitz Dokumente, bereiten Reden vor oder planen Termine, während der Chauffeur den Dienstwagen lenkt. Breyer kann nur telefonieren, mit einem alten Klapphandy und einem Kopfhörer mit Mikrofon. Ein Smartphone besitzt er nicht, er findet Apple und Google hätten zu viel Macht über ihre Betriebssysteme iOS und Android.

In Schenefeld, vor der SPD-Veranstaltung, geht langsam die Sonne unter, Breyer hat noch fast alle Flugblätter in der Hand, aber kein politikinteressierter Bürger kommt mehr. Der Pirat klemmt die übrigen Flugblätter unter Scheibenwischer von Autos und wirft sie in Briefkästen. Dann setzt er sich hinter das Lenkrad seines Autos und fährt zurück nach Kiel. Um 6 Uhr am nächsten Morgen wird der Wecker klingeln.

Einen Wechsel zu anderen Parteien schließt Breyer aus. Um zu klagen oder Beschwerden einzureichen, muss er nicht in einem Landtag sitzen. Sein nächstes Projekt: Er will verhindern, dass die Post Ausweise einscannt.

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