Phänomen FarmVille:Bauernhof für junges Gemüse

Das Online-Spiel FarmVille macht selbst Stadtkinder zu Landbauern. Doch der digitalen Welt mangelt es an Mühen - und Romantik.

Max Scharnigg

Aber im Winter ist dem Gärtner traditionell fad. Das Einzige, was er da erledigen kann, sind läppische Beschäftigungsmaßnahmen: das Werkzeug reinigen und ölen. Den Rhabarber mulchen. Aufpassen, dass die alten Bienenkörbe nicht von den Winterstürmen umgeworfen werden.

Mehr ist nicht und diese Jahreszeit dem passionierten Privatbauern folgerichtig schlimmer als Schnecken, Hagel und Wühlmaus zusammen. Das galt zumindest seit dem späten Pleistozän und bis zum Winter 2008/09. Im gerade abgeschlossenen Winter war alles wundersam anders, da wuchsen Erdbeeren und Artischocken, Auberginen und Weizen, und sie waren mitten im Dezember erntereif - FarmVille sei Dank.

Seit es dieses Spiel in der weltweiten Netzgemeinschaft Facebook gibt, hat der Gärtner keine Winterpause mehr. Er hat keine Schwielen mehr und keine schmutzigen Hosen, streng genommen hat er auch keinen Garten mehr. Stattdessen bietet ihm das sehr populäre Netzspiel 12x12 pixelige Parzellen, über die er per Mausklick eine kleine Figur kommandieren kann.

Dieser virtuelle Ersatz-Gärtner ist insofern sehr authentisch, als dass er sich mit dem typisch sorgenvollen Blick und jener original grantigen Miene ausstatten lässt, die jeder kennt, der schon mal durch eine echte Schrebergartenkolonie gelaufen ist.

Wunsch nach baldiger Ernte

Mehr als 80 Millionen solcher Spielfiguren werden derzeit von mehr als 80 Millionen Spielern durch die FarmVille-Welt gelenkt, sie graben unentwegt Land um, machen es urbar und säen, ihre Lenker an den Tastaturen schauen derweil auf die Uhr. Erdbeeren, die bei FarmVille zu den einfachsten Übungen gehören, brauchen vier Stunden von der Aussaat bis zur Erntereife. Weizen und Kürbisse dauern zwei Tage, Kirschbäume noch länger.

Auch Anbaulaien ahnen: Das deckt sich nicht ganz mit den natürlichen Wachstumszeiten. Aber das ist egal, für ein Computerspiel sind zwei Tage Kürbisgeburt schon beinahe Echtzeit. Passionierte FarmVille-Spieler werden jedenfalls schon so ausreichend hibbelig, weil sich das Zeug auf ihren Bildschirmen derart langsam bewegt. Sie feuern im Büro und in ihren iPhones die Süßkartoffeln und Wassermelonen an und wünschen sich wie jeder echte Gärtner nichts sehnlicher als baldige und reiche Ernte.

Diese wird online nicht nur von einem sehr wohligen Geräusch untermalt, sondern zahlt sich auch in barer Münze aus. Der FarmVille-Gärtner ist nämlich von der ersten Stunde an ein stark gefragter Agrarökonom und Viktualienhändler.

Von kleinen Plagen verschont

Seine ganze Ernte wird sofort verkauft - an wen ist unklar - und die Kasse klingelt. Vom verdienten Geld kauft er weitere Samen, ersteht später Vieh und Gebüsch und noch später den schnöden Mammon, in Form von Landhäusern und Farmanwesen. So hat auch dieses Spiel letztlich Macht und Landnahme zum Ziel, aber es geht dabei den friedfertigen Weg via Erdbeeren und Spaten.

Zwar gibt es auch gelegentlich Ungemach in Gestalt eines traurigen Schafs oder alten Gauls, die unversehens über die Gemarkung traben und mit dem Bau eines Stalls die Finanzen belasten, aber von den kleinen Plagen der Gärtnerei ist man weitgehend verschont.

Der digitale Farmboden ist so fruchtbar, dass alles ohne Wässern und ohne Unkraut gedeiht, Dreifelderwirtschaft und günstige Pflanznachbarschaften kann man ganz außer Acht lassen, Baumwolle wächst in haushaltsüblichen Mengen gleich neben Narzissen, und mit dem Einsatz von Düngemitteln ungeklärter Herkunft ist man auch nicht zimperlich.

Kaufsucht im Online-Markt

Dieses Ideal-Gärtnern ohne erdige Fingernägel und verkümmerte Setzlinge ist natürlich viel mehrheitsfähiger als das echte Buddeln.

Denn im Grunde sind es doch wohl nicht so sehr die fehlende Landlust als vielmehr diese kleinen analogen Plagen, die einen Großteil der Menschheit heute von der eigenen landwirtschaftlichen Initative abhalten. Plus natürlich das massenhaft selbst-diagnostizierte Fehlen eines grünen Daumens.

FarmVille aber braucht keine grünen Daumen und keine Erdsackschlepperei, es hat im Gegensatz zu realen Ballungsräumen für alle Parteien genug Gartenanteil, und nur, wenn man es wirklich lange versäumt, seine Ernte per Mausklick zu besorgen, wird sie unbrauchbar.

Sorge um das junge Gemüse

So wenig das alles mit echtem Anbau zu tun hat, unser evolutionär angereichertes Agricola-Gen stimuliert sich dabei doch. Ist das Feld bestellt, empfindet der Spieler die annähernd gleiche Genugtuung wie im Märzen der Bauer.

Im Online-Markt überfällt ihn die gleiche unbändige Kaufsucht wie bei Samen Schmitz am Eck. Und die Sorge um die jungen Gemüse im Web ist so echt empfunden, dass anstehende Urlaube und lange Wochenenden die fleißigen FarmVille-Bauern in wirkliche Bedrängnis bringen: Wer soll dann rechtzeitig ernten und neu umgraben?

Pädagogische Qualitäten

Für diesen Fall können die virtuellen Nachbarn und Facebook-Freunde um Aushilfe gebeten werden, sozialöklogische Solidarität wird also auch noch geschult. Dieses Spiel hat damit unbestreitbar pädagogische Qualitäten, ganzen Generationen von Stadtkindern jeden Alters werden damit vergnüglich die ungefähren Zusammenhänge von Samen, Erde und Essen untergejubelt und dazu etliche Pflanzennamen und deren primäre Erkennungsmerkmale (wobei der Weizen in dem Spiel eher wie Schilfrohr aussieht).

Was FarmVille wirklich fehlt, sind die romantischen Kleinigkeiten. Zum Beispiel frische Luft, das morgendliche Tauglitzern auf Zuccini-Blättern, der Geruch von regenfeuchter Erde, das Maulen der Maulwürfe etc. Aber daran wird gearbeitet. Bis es so weit ist, kann der Gärtner ganz gut die Winterpause damit überbrücken - solange er dabei die alten Bienenkörbe nicht ganz vergisst.

Lesen Sie hierzu Berichte in der Süddeutschen Zeitung.

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