Personalisierte Medizin:Das Erbgut wird zum Datenträger

Krankenakten im Internet, Erbdgutanalyse per Mausklick: Auch unsere DNS verwandelt sich im Netz zur Information, die sich vermarkten lässt. Bald werden wir über genetischen Datenschutz reden.

Andrian Kreye

Das menschliche Genom enthält nach jüngsten Erkenntnissen 6,3294 Milliarden Nukleotide. Das sind viele Information über einen Menschen. Und auch wenn der Großteil dieser Informationen nur aus Ursuppe und dem unverständlichem Biokauderwelsch der Natur besteht, so kann die Wissenschaft einen beträchtlichen Teil heute schon entschlüsseln.

DNS Erbgut

DNS Erbgut Symbolbild DNS, passt zu 23andme, DNS-Analyse, Google Heath, Internet und Gesundheit.

(Foto: iStock)

Es versteht sich also von selbst, dass eine solche Menge an Informationen in einem Wirtschaftssystem, das darauf ausgerichtet ist, Informationen aller Art zu Geld zu machen, auch an unserem Erbgut interessiert ist.

Der Handel mit medizinischen Daten ist nichts Neues. Jede Krankenakte enthält Informationen, die sich zu Geld machen lassen. Weil die Gesundheitsindustrie, also Pharma, Ärzteschaft, Krankenhäuser, Pflegedienste und ihre Umfelder, als wachstumsträchtigste Industrie der Zukunft gilt, sind solche Datensätze schon jetzt viel wert.

Gesundheitswesen in der Wolke

Kein Wunder also, dass sich der weitsichtige Google-Konzern schon früh um dieses Geschäft bemühte. Google Health heißt die Plattform, die seit zwei Jahren das Gesundheitswesen in die ominöse digitale Wolke des Cloud Computing verlegt. Das hat viele praktische Vorteile. Erkrankt oder verunglückt man beispielsweise außer Reichweite des Hausarztes, kann jeder Arzt weltweit auf die lebenswichtigen Daten zugreifen.

Google Health ist eine Investition in die Zukunft. Man muss sicherlich die Frage klären, ob das Arztgeheimnis denn schon verletzt ist, wenn nicht ein Mensch, sondern ein Algorithmus Einblick in die Krankenakte bekommt, der einem dann entsprechende Pharmawerbung zukommen lässt. Das ist nicht unbedingt nur finsterer Kommerz. Wer akut an einer Krankheit leidet, wird Pharmawerbung nicht nur als aufdringliches Angebot, sondern auch als willkommene Information empfinden.

Der wahre Zukunftsmarkt wird jedoch nicht in der Heilung, sondern in der Vorbeugung von Krankheiten und in der Selbstoptimierung liegen. Da aber kann das Erbgut eine wichtige Rolle spielen. Wer seine Schwächen und genetischen Risiken kennt, der kann Gefahren vermeiden und vorbeugende Maßnahmen einleiten. Das ist auch das wirksamste Verkaufsargument für die ersten erschwinglichen Gentests, die es in den USA schon für ein paar hundert Dollar im Supermarkt zu kaufen gibt.

Wo Genanalyse auf Werbung trifft

Eine der erfolgreichsten Firmen ist 23andMe in Kalifornien. Für rund 400 Dollar kann man dort einige Eckdaten seines Genoms analysieren lassen. Das ist keine wirklich umfassende Genomanalyse, doch man bekommt für diesen günstigen Preis einige Hinweise auf die eigene Herkunft und erbliche Risiken. Viel Geld ist mit diesem Service noch nicht zu verdienen.

Der künftige Verdienst steht jedoch in den Nutzerbedingungen der Firma. Demnach kann 23andMe persönliche Daten - und damit sind neben den Kontodaten ausdrücklich die genetischen und phänotypischen Informationen gemeint - für eigene Forschungszwecke nutzen, oder auch um auf Dienste oder Produkte hinzuweisen, die dem Kunden dienlich sein könnten.

Mitbegründerin der Firma ist übrigens Anne Wojcicki, Ehefrau des Google-Mitbegründers Sergei Brin. Zu den wichtigsten Investoren der Firma gehören Google sowie die Investmentfirma New Enterprise Associates , die sich auf Informatik und Gesundheitswesen spezialisiert hat.

Die Zukunft liegt in der personalisierten Medizin

Eine solche genetisch feinjustierte Werbung wird vor allem dann eine Rolle spielen, wenn nicht nur die genetische Analyse, sondern auch die personalisierte Medizin weiter ausgereift sind. Denn in den Augen der Pharmakologie verhalten sich die handelsüblichen Medikamente unserer Zeit im Vergleich zu den personalisierten Präparaten der Zukunft wie die Schrotflinte zum Scharfschützengewehr. Für die Werbeformen von Google gilt dieser Vergleich ja eh schon heute.

Das Erbgut als Datenträger für die Werbung zu etablieren, wird ein Schritt sein, der Debatten auslöst, die weit über den Ärger um Datenschutz bei Facebook oder Google Streetview hinausgehen. Genetische Daten sind die intimsten Informationen, die es über einen Menschen geben kann.

Eine ethische Dimension

Das liegt vor allem am deterministischen Kern dieser Informationen. Man kann sich gegen vieles wehren, an seinem Erbgut kann man bisher noch nicht viel verändern. Und weil die Manipulation des Erbgutes bisher noch mit den meisten traditionellen religiösen und humanistischen Weltbildern in Konflikt kommt, ist auch ihrer Analyse mit ethischen Zweifeln belegt.

Genetischer Datenschutz wird zusätzlich zur politischen Ebene noch moralische, ethische und philosophische Dimensionen bekommen. Die Klärung dieser grundlegenden Fragen wird nicht nur unser Bild vom Menschen berühren. Sie wird vor allem hinter den technischen und wissenschaftlichen Fortschritten hinterher hinken.

Lesen Sie den Themenschwerpunkt "Das Ich als Ware" in der SZ-Wochenendausgabe vom 5./6. Juni 2010 und weitere Artikel zum Thema in der Süddeutschen Zeitung.

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