PC-Games:"Computerspiele sind angewandte Wissenschaft"

Machen Computerspiele dumm und gewalttätig? Der amerikanische Linguist James Paul Gee widerspricht und erklärt, was Kinder an der Konsole alles lernen können.

Mirjam Hauck

James Paul Gee ist Linguistik-Professor an der Arizona State University. Er gehört zu den zentralen Verfechtern der lerntheoretischen Bedeutung zeitgenössischer Medien. Der Titel eines seiner bekanntesten Bücher lautet: "What Video Games Have to Teach Us About Learning and Literacy". Gee spricht auf der Tagung "Clash of Realities" - dem Gipfeltreffen internationaler Spieleforscher, die vom 5. bis 7. März an der Fachhochschule Köln stattfindet.

James Paul Gee

James Paul Gee.

(Foto: Foto: oH)

sueddeutsche.de: In Deutschland tobt derzeit eine Debatte über die Auswirkungen von Computerspielen. Einige Wissenschaftler wie der Kriminologe Christian Pfeiffer vertreten die These, dass gewalttätige Spiele zu schlechten Zensuren führen, dass Daddeln doof macht. Stimmen Sie dem zu?

James Paul Gee: Computerspiele oder andere Technologien wie Fernsehen oder Bücher sind nie einfach nur die Ursache für irgendetwas. Es kommt immer darauf an, wie wir sie nutzen. Wenn junge Menschen in den Spielen Strategien entwickeln, diese reflektieren oder gemeinsam mit Freunden Probleme lösen und wenn sie sich deshalb für digitale Technologien interessieren, dann sind Computerspiele gut.

Und: Nicht alle Computerspiele sind gewalttätig. Es gibt Tausende von Spielen und die meisten sind nicht gewalttätig - wie das meistverkaufte Spiel aller Zeiten, die Sims.

In unserer globalisierten Welt brauchen Kinder die Fähigkeiten des 21. Jahrhunderts. Sie müssen mit modernen Technologien umgehen können. Nur so können sie später die komplexen Probleme unserer Gesellschaft lösen. Kinder müssen heutzutage lernen, wie man neue Ideen entwickelt. In der Schule lernen sie häufig nur, wie man richtig auswendig lernt. Das verdummt die Schüler.

sueddeutsche.de: Laut einer aktuellen Studie spielen vor allem Jungen aus sozial schwachen Familien oder mit Migrationshintergrund Computer. Sind Computerspiele ein Unterschichten-Phänomen?

Gee: Kinder aller Klassen und Schichten spielen am Computer. Ich habe mit Kindern aus reichen und armen Familien, mit Kindern aus Migranten- und Nicht-Migranten-Familien zusammengearbeitet und keine solchen Hinweise gefunden. In den USA spielen 90 Prozent der Kinder am Computer. Tatsache ist, dass viele Kinder, und das sind vor allem die bessergestellten, Computerspiele nutzen, um digitale Technologien zu verstehen. Sie gewinnen so Fähigkeiten, die sie für ihren weiteren Erfolg in Schule und Beruf nutzen können.

sueddeutsche.de: Sollte jedes Kind einen PC oder eine Spielekonsole besitzen?

Gee: Das ist, als ob man fragen würde, ob jedes Kind Stifte besitzen sollte - selbstverständlich. Computer sind eine neue Form der Lese- und Schreibfähigkeit, sie sind entscheidend in einer globalisierten Welt. Kinder müssen sich sowohl mit dem gedruckten Wort als auch mit der digitalen Welt vertraut machen können. Und das so früh wie möglich. Dann können sie sich gegenseitig unterstützen.

sueddeutsche.de: Machen Sie einen Unterschied zwischen guten und bösen Computerspielen, wie Lernspiele auf der einen und Ego-Shooter auf der anderen Seite?

Gee: Nein. Es hängt immer davon ab, wie und in welchem Kontext sie gespielt werden. Die Bibel ist voller Gewalt und es gibt genügend Menschen, für die sie das ultimativ Gute ist.

sueddeutsche.de: Bei Diskussionen um Computerspiele fällt häufig das Wort "Killerspiele". Sind sie verantwortlich für Amokläufe an Schulen?

Gee: Die Zahl der Menschen, die getötet wurden, weil jemand ein Fan eines Computerspiels war, sind sehr gering im Vergleich zu der Zahl an Menschen, die getötet wurden, weil jemand ein Buch gelesen hat - wie die Bibel oder den Koran. Gewalt kommt nicht daher, weil man spielt oder liest. Gewalt ist ein Produkt der Umgebung, sie stammt aus der Kultur, an der die Menschen teilhaben. Wenn sie gewalttätig ist, dann entsteht auch daraus wieder Gewalt.

sueddeutsche.de: Wie lange sollten Kinder am Computer spielen dürfen?

"Computerspiele sind angewandte Wissenschaft"

Gee: Zunächst einmal sollten Eltern immer wissen, was ihre Kinder tun. Sie müssen sie ermutigen, nachzudenken und Dinge zu reflektieren. Das Ziel sollte immer sein, neue Problemlösungsfähigkeiten zu erwerben, auch im Hinblick auf neue Technologien und technologische Fertigkeiten. Aber natürlich muss es Grenzen geben. Kinder sollten viele Aktivitäten ausüben können. Ich finde es lustig, dass ich nie gefragt werde, ob es eine zeitliche Grenze fürs Bücherlesen geben sollte. Bücher sind eine ältere Technologie, deshalb haben wir keine Angst mehr vor ihnen, obwohl wir das sollten - wenn man bedenkt, wie manche die Bibel oder den Koran interpretieren. Computerspiele bieten einen Raum, in dem man aktiv und interaktiv Probleme lösen kann. In diesem Sinne können sie viel Potential entfalten - genau wie Bücher.

sueddeutsche.de: Was können Kinder von Computerspielen lernen?

Gee:Mit guten Computerspielen macht Lernen Spaß. Wenn man sich gute Spiele wie "Rise of Nations", "Age of Mythology", "The Elder Scrolls IV: Oblivion" und "Tony Hawk's Underground" anschaut, kann man sich vorstellen, wie man Lernen in der Schule und am Arbeitsplatz besser machen kann. Diese schwierigen und zeitlich aufwändigen Spiele machen das Lernen zum Vergnügen. Sie bieten dem Spieler starke Identitäten. Er lernt neue Gebiete kennen, er kann die Welt sehen, wie sie ein Wissenschaftler sieht. Das Gameplay baut sich auf aus einem Kreis aus Hypothese, Versuch, Reaktion und der Reflexion über dieses Ergebnis und einem neuen Versuch, um ein besseres Ergebnis zu erzielen. Das ist typisch für die experimentelle Wissenschaft.

Computerspieler sind also nicht nur Konsumenten, sie sind auch Produzenten. Spiele verringern die Konsequenzen des Scheiterns. Macht man einen Fehler, kann man vom gespeicherten Level erneut starten. Das ermutigt Risiken einzugehen und neue Dinge auszuprobieren. Jeder kann sein eigenes Tempo und seine eigene Art zu spielen selbst bestimmen. Bei vielen Spielen gibt es oft mehrere Schwierigkeitsgrade und sie erlauben mehrere Lösungswege.

Aber bei guten Spielen geht das Lernen noch tiefer. Hier sind die Probleme gut geordnet, deshalb gibt es verschiedene Spielstufen. Das heißt, frühe Probleme führen zu Hypothesen, die wiederum bei späteren, schwierigeren Problemen aufgestellt werden. Gute Spiele bieten Herausforderungen, die der Spieler bewältigen muss, bis er darin eine Meisterschaft erreicht hat. Dann kommt eine ganz neue Art von Problemen auf den Spieler zu, dass heißt er muss seine bisherigen Strategien wieder überdenkenm, um ein neues Level zu erreichen. Dieser Kreis von Wissensvertiefung und Herausforderung ist die Basis jedes Wissenserwerbs - in jedem Bereich.

Spiele ermutigen den Spieler systematisch zu denken, nicht isoliert in Ereignissen, Tatsachen und Fähigkeiten. Spieler dürfen nicht linear denken, sie müssen ihre Wege und Ziele von Zeit zu Zeit überdenken.

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