Internet:Warum Open-Source-Software wichtig ist

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Viel muss zusammenpassen, damit die digitalisierte Produktion funktionieren kann. Die Industrie setzt dabei zunehmend auf offene Standards, die alle kostenfrei nutzen können. (Foto: Fred Rollison)
  • Bei Open Source denken viele noch immer an Hobby-Programmierer, die nachts an Software basteln. Doch das ist so falsch, wie es nur sein kann.
  • Open Source ist die erfolgreichste Software-Taktik der Gegenwart.
  • Denn nur mit offenen Standards können kleine Firmen wachsen und nur damit lässt sich die Dominanz weniger Konzerne verhindern.

Von Helmut Martin-Jung

Das Problem war knifflig, aber die beiden lösten es: Der Brite Andy Standford-Clark und der Amerikaner Arlen Nipper entwickelten Ende der Neunzigerjahre eine Möglichkeit, wie sich Sensordaten von Öl-Pipelines auch unter schwierigen Bedingungen zuverlässig übermitteln ließen. Dass die von ihnen ersonnene Methode namens Message Queue Telemetry Transport, kurz MQTT, einmal sehr wichtig werden würde, sogar eine weltweite Erfolgsgeschichte, das ahnten sie damals aber nicht. Doch die vernetzte Welt mit ihren Milliarden an Sensoren braucht genau eine solch stabile Übermittlungsmethode.

Es gibt aber auch noch einen zweiten, wichtigeren Grund für den Erfolg der Übertragungssoftware. Die beiden Firmen, die sie entwickelten, haben ihr Wissen nicht für sich behalten. Sie haben die Software der Welt zur freien Nutzung überlassen. Haben sie, wie das in der Fachsprache heißt, zu Open Source gemacht. Jeder kann die Original-Quellen einsehen und kostenlos nutzen. Das hat schließlich dazu geführt, dass sich MQTT als Standard etablieren konnte.

Open Source - da denken viele noch immer an Hobby-Programmierer, die des Nachts an Software basteln, die dann vielleicht funktioniert. Oder auch nicht. Doch das ist so falsch, wie es nur sein kann. Open Source, sagt Mike Milinkovich, Chef der Eclipse-Stiftung, ist "die erfolgreichste Software-Taktik der Gegenwart". Das ist nicht nur so, weil das wohl bekannteste Open-Source-Projekt Linux quasi zum Betriebssystem der Welt geworden ist: von Google über Facebook bis hin zu Auto-Entertainment-Systemen, smarten Fernsehern und der großen Mehrheit aller Smartphones. Sie alle laufen ja mit Linux.

Man steckt den Stecker ein und weiß, dass 230 Volt aus der Leitung kommen

Nein, die Sache reicht viel tiefer. Das Prinzip Open Source hat sich als Übereinkunft vieler Unternehmen etabliert, Basistechnologien, die ohnehin jeder braucht, gemeinsam zu schaffen. Die Gründe sind offensichtlich: Entscheidend ist für die Unternehmen nicht, dass sie solche Basistechnologie herstellen, sondern was sie auf deren Grundlage anstellen. Nur darüber können sie sich differenzieren. Technologien wie MQTT lassen sich mit elektrischem Strom vergleichen. Eine Firma wie Bosch unterscheidet sich nicht dadurch von anderen, dass sie eigenen Strom mit herstellerspezifischen Eigenheiten anbietet, sondern Dinge wie Werkzeuge oder Küchengeräte. Für alle Geräte, seien sie von Bosch oder einem anderen Hersteller, gilt aber: man steckt sie ein und weiß, dass 230 Volt aus der Leitung kommen.

Und heute, wo sich die Welt auf die immer stärker ausgeprägte Vernetzung zubewegt, werden solche Basistechnologien und die Kooperation zu ihrer Entwicklung wichtiger denn je. Viele Unternehmen fürchten, es könnte ihnen hier genauso ergehen wie es zum Beispiel bei Suchmaschinen oder sozialen Netzwerken passiert ist: Hier dominieren Google und Facebook klar den Markt und geben die Regeln vor. "Das Internet begann als Austausch unter Gleichen", sagt Volkmar Denner, Vorstandschef von Bosch, "heute dominieren die großen Plattformen." Beim Internet der Dinge, meist kurz IoT genannt, der Vernetzung nahezu aller Maschinen und Gegenstände, gebe es allerdings noch die Chance, eine solche Entwicklung zu verhindern - mit offenen Standards. Auf den ersten Blick etwas überraschend votiert auch Bernd Leukert, der Produktchef von SAP, immerhin die drittgrößte Software-Firma der Welt, für Offenheit. "Das Internet der Dinge muss auf offenen Plattformen basieren", fordert er, "so können auch kleinere Firmen schnell wachsen."

Tim Höttges, der Chef der deutschen Telekom, hat ebenfalls eine klare Meinung zu dem Thema: "Wir müssen global denken. Es darf keine Insellösungen geben." Nicht jeder müsse alles machen, "das wird in der IoT-Welt nicht funktionieren - nur mit Offenheit geht es." Dafür müsse man als Unternehmen eben auch mal ein bisschen Kontrolle abgeben.

Das fällt nicht jedem leicht, vor allem nicht, wenn es um Unternehmen geht, die es schon lange gibt und die somit ihre Denkweise ziemlich radikal verändern müssen.

Bei General Electric (GE) etwa, gegründet 1892, gibt man zu: "Kollaboration war für uns nicht leicht", sagt Europachef Mark Hutchinson, "aber anders geht es nicht mehr." Bei GE hätten viele die neue Art der Zusammenarbeit als "Schritt ins Ungewisse" empfunden. Aber auch GE sieht keine Alternative, selbst wenn das heißt, dass man auch mal mit dem unmittelbaren Wettbewerber zusammenarbeiten muss.

Bei BMW, auch ein Unternehmen aus der Old Economy auf gutem Weg in die neuen Zeiten, sieht man die Sache ganz genauso: "Die Automobil- und die Software-Industrie brauchen einander", sagt Elmar Frickenstein, der bei den Münchnern für das Zukunftsthema autonomes Fahren zuständig ist. Man habe deshalb auch Here, den Hersteller digitaler Karten, den Daimler, BMW und Audi von Nokia gekauft haben, für Kooperationen geöffnet. Denn: "Alle haben mehr davon, wenn viele Daten gesammelt werden", sagt Frickenstein. Auch bei BMW habe man überlegt: Können wir dies oder jenes teilen? Letztlich aber hätten die Vorteile überwogen. Deshalb wird der Autohersteller zum Beispiel auch die Plattform öffnen, an der er zusammen mit dem israelischen Bilderkennungsspezialisten Mobileye arbeitet. "So kommen wir schneller und sicherer ans Ziel", sagt Frickenstein.

"Sogar das Militär setzt jetzt quelloffene Software ein."

Firmen wie das US-Unternehmen Red Hat arbeiten schon länger mit offener Software - mittlerweile macht sie Milliarden-Umsätze. Santiago Madruga, bei Red Hat Chef der Bereiche ICT und Telekommunikation in der EMEA-Region, wundert sich nicht, dass mit dem Trend zur Vernetzung der Welt Open-Source-Software gefragt ist wie nie: "Wie hätte man denn die vielen Sensoren mit Software realisieren sollen, wenn man dafür man jeweils eine Lizenz gebraucht hätte?", fragt er. Aber Open Source hat seiner Einschätzung nach auch das Image der Frickel-Software endgültig abgestreift. "Firmen wie Nokia oder Cisco, die New Yorker Börse, Banken, sogar das Militär setzten jetzt alle Open-Source-Software ein", sagt er, "das war vor ein paar Jahren noch nicht so."

Madruga führt als Argument an, dass Open-Source-Software in der Regel sicherer sei als herstellerspezifische. Das leuchtet ein, denn den Quellcode, also das Programm, so wie Menschen es verstehen können, kennen bei herstellereigener Software nur die Mitarbeiter dieser Hersteller. Bei Open-Source-Programmen dagegen kann sich jeder, der etwas davon versteht, den Quellcode ansehen. Weil so mehr Kontrolle herrsche, sei diese Software deshalb sicherer, sagt Madruga.

Vor Fehlern ist man freilich auch hier nicht gefeit, vor allem dann nicht, wenn bei den Anwendern Nachlässigkeit, Unwissenheit oder Schlamperei hinzukommen. Zwei Drittel von Programmen, die Teile von Open-Source-Projekten enthalten, würden Sicherheitslücken aufweisen, meldete jüngst die Firma Black Duck. Das Unternehmen hat sich auf die Untersuchung von Open-Source-Programmen spezialisiert. Der Grund: Die Hersteller achten nicht genug darauf, die Teile ihrer Programme, die aus allgemein verfügbaren Quellen stammen, gegebenenfalls zu aktualisieren. Denn Open-Source-Programme werden zwar meist schnell verbessert, wenn Sicherheitsprobleme bekannt werden. Diese Verbesserungen müssen diejenigen dann aber auch einpflegen, die die Software verwenden.

Sogar gravierende Fehler, die seit mehreren Jahren behoben seien, gebe es noch in erstaunlich vielen Programmen, hat Black Duck festgestellt. Das Problem kommt freilich aber auch bei herstellereigener Software häufig vor. Nur lässt es sich dort meist nicht so leicht überprüfen.

© SZ vom 26.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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