Online-Videos:Die wunderbare YouTube-Welt

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Stop-Motion-Filme, Spaß-Synchronisierungen oder Katzenvideos: YouTubes schneller Aufstieg hat die Videowelt kräftig durcheinandergewirbelt. Die kuriosen Videos zeigen, warum beim Fernsehen der Zukunft alle mitmachen dürfen. Acht Genres, die ohne das Webvideo-Portal niemals bekannt geworden wären.

48 Stunden Videomaterial laden YouTube-Nutzer derzeit minütlich hoch - darunter sind nicht nur urheberrechtlich geschützte Musikclips und verwackelte Heimaufnahmen, sondern auch zahlreiche Videos, die mit ihrem Charme, Herzblut und Humor beeindrucken. Die Filme zeigen, weshalb YouTube lange schon das bessere Fernsehen ist - und warum das Portal die ganze Videowelt stärker verändert hat, als wir es auf den ersten Blick wahrnehmen. Zehn Genres, die ohne YouTube niemals populär geworden wären.

Katzenvideos

Alleine diese Videogalerie hätte schätzungsweise 2,5 Trilliarden Aufrufe, würden wir sie einzig mit Katzenvideos bestücken. Bilder von süßen Kätzchen sind bei Internet-Nutzern so sehr Konsens wie etwa die Erkenntnis, dass Wolfgang Schäuble ein miserabler Innenminister war: Jeder kann zustimmen.

Kätzchen spielen Klavier, essen Hunden ihr Futter weg oder schlafen einfach auf der Couch: Was immer die kleinen Haustiere anstellen, Zuschauer und Kommentare à la "Oh, wie süß" sind garantiert. Womöglich könnte man alle anderen YouTube-Videos löschen und nur noch Katzen zeigen - die meisten Nutzer wären trotzdem rundum glücklich.

Stop Motion

Gegenstände geraten plötzlich in Bewegung, Menschen vollführen gewagte Kunststücke: Die Stop-Motion-Technik, bei der Standbilder so aneinander geschnitten werden, dass eine flüssige Animation entsteht, hat mit Hilfe von YouTube eine Renaissance erlebt.

Die Auswahl an Videos ist so groß, dass sich der Zuschauer tagelang in der Stop-Motion-Welt aufhalten könnte. Von unfreiwillig stotternden Erstversuchen bis hin zu perfekten Mini-Epen ist dabei alles zu finden (Video: Ein Stop-Motion-Film des Street-Art-Künstlers Blu).

Wer allerdings nun glaubt, mit einem Stop-Motion-Video lässig zum YouTube-Star avancieren zu können, sei gewarnt. Oftmals dauert die Konzeption und Produktion eines solchen Videos einige Monate - Zeit, die dann doch so mancher Nutzer mit dem Konsum von Katzenvideos verbringt.

Nutzergenerierte Missgeschicke

Früher gab es Pleiten, Pech & Pannen, eine ARD-Fernsehsendung, bei der man für ein paar Pannenvideos die altbacken-bräsige Moderation von Schwiegermutterliebling Max Schautzer (Autor von: "Rock'n'Roll im Kopf, Walzer in den Beinen. Antworten auf den Jugendwahn") über sich ergehen lassen musste.

PP&P gibt es bereits seit 2003 nicht mehr und hätte heute sowieso keine Chance, bietet doch YouTube ein 24-Stunden-Missgeschicke-Programm. Ob Gabelstaplerfahrer, Sänger, Fußballer, Hobby-Gewichtheber (siehe Video): Sämtliche Berufs- und Gesellschaftsgruppen können nun dabei beobachtet werden, wie sie sich ungeschickt anstellen und so unfreiwillig im Mittelpunkt eines Malheurs stehen.

Besonders unangenehm kann es in den Nutzerkommentaren werden, wo so mancher Pannenvogel nicht nur lesen muss, wie blöde er denn sei, sondern auch gerne von Nachbarn und Bekannten erkannt wird ("Das ist doch Herr Müller, mein Lehrer im Gymnasium").

Der Mini-Entertainer

Im Fernsehen schimpfen wir über Wiederholungen, bei YouTube lieben wir sie - zumindest, wenn Menschen wie Tom Dickson damit zu tun haben: In zahllosen Werbespots für sein Unternehmen häckselt er vom iPad bis zur Chuck-Norris-Figur alles klein, was in seinen Mixer passt.

Dickson ist keine Ausnahme: Inzwischen gibt es längst jede Menge YouTube-Gesichter, die eigentlich in jedem Video das Gleiche machen - und dabei überraschenderweise nie langweilig werden.

Was hinter der ewigen Wiederkunft des Gleichen steckt, haben Netz-Philosophen und Internet-Berater noch nicht ausdiskutiert: Sind wir auf der Suche nach Halt in den Informationsfluten des World Wide Web? Freuen wir uns, wenn wir auch außerhalb von Facebook bekannte Gesichter entdecken? Oder sind die Tom Dicksons am Ende doch nichts anderes als die Kulenkampffs des neuen Jahrtausends?

Synchronisierung

In der YouTube-Welt sind viele Dinge anders als wir sie kennen: Da beschwert sich Adolf Hitler, dass er nicht mehr Xbox spielen darf und Jack Bauer aus der TV-Serie 24 redet plötzlich Schwäbisch. Videoschnitt, Untertitel und Nachsynchronisation haben es schon länger ermöglicht, Filmklassiker, historische Ausschnitte oder Privatvideos so zu verändern, dass sie zu einer ganz eigenen Kunstform werden - die Verbreitung über YouTube sorgt inzwischen dafür, dass solche Remix-Videos schnell Kult werden.

Selbst die New York Times veröffentlicht auf ihrer Website Anleitungen, wie Nutzer bekannten Film-Produktionen ihre eigene Note geben können.

Die Filmindustrie ist in einigen Fällen wenig begeistert und sperrt die Spaßproduktionen - die natürlich sehr schnell wieder an anderer Stelle auftauchen. Manchmal allerdings führen die Videos der Synchronisations- und Untertitel-Künstler dazu, dass bislang unbekannte Talente eine größere Bühne bekommen: Dominik Kuhn, der Szenen der Serie 24 ins Schwäbische übersetzte, durfte inzwischen auch für den SWR und Sat 1 Spaß-Synchronisationen produzieren. Agugge!

Wörtliche Musikvideos

Wir alle haben uns schon öfter gefragt, weshalb Musikvideos so selten zum Text eines Songs passen. Die Antwort kann YouTube zwar nicht geben, aber eine ganze Reihe Hobby-Videokünstler dreht den Spieß um: Sie verändern die Texte bekannter Lieder so, dass sie zum Video passen.

Da fragt Meat Loaf in Anything for Love, weshalb seine Fingernägel so lang sind, singt Lionel Richie in Hello von seinen großen Hosen, trällert Bonnie Tyler in Total Eclipse Of The Heart, wie sie nun versucht, Eva Peron zu imitieren.

Die wörtlichen Videoübersetzungen haben allerdings nicht dazu geführt, dass die Handlung der Musikvideos besser wurde.

Der ganz besondere Hochzeitstanz

Wer seinem Hochzeitsvideo bei YouTube zum Erfolg verhelfen möchte, muss nicht unbedingt das Brautpaar in die Torte fallen lassen. Ein besonderer Hochzeitstanz genügt, um Kommentare wie "was für eine coole Hochzeit" hervorzurufen.

Hochzeitstänze bei YouTube folgen einer einfachen Logik: Sie beginnen wie ein Standardtanz und werden dann schnell zu einem perfekt choreographierten Gruppen-Auftritt. Was als lustiger Trend in den USA begann, ist dort längst eine Bürde für so manches Brautpaar und seine Gäste: Eine Hochzeitsgesellschaft, die heute etwas auf sich hält, muss schon mindestens Michael Jacksons Thriller nachtanzen oder zumindest zu einem aktuellen Hip-Hop-Hit Breakdance betreiben.

Es ist in den USA sicherlich nur eine Frage der Zeit, bis sich neben dem Hochzeitsplaner der Hochzeitstanzplaner als anerkannter Beruf etabliert.

Im YouTube-Zeitalter genügte Keenan Cahill eine Webcam, um berühmt zu werden: Weil er die Songs von Katy Perry oder 50 Cent mit seinen Lippen täuschend echt synchronisiert, wurden erst die Internet-Nutzer, dann die Stars selber auf ihn aufmerksam.

Heute ist Cahill, der unter einer seltenen Erbkrankheit leidet und deshalb nur 1,26 groß ist, ein gerngesehener Gast in Talkshows und auf Promi-Partys - und damit Vorbild für die nächste Generation von YouTube-Talenten.

Weil allerdings "YouTube-Star" in den Poesiealben der Gegenwart einen ähnlich hohen Stellenwert wie Berufswünsche à la "Supermodel", "Profi-Fußballer" oder "Dieter Bohlen" hat, ist der Weg nach oben schwierig: Geradezu inflationär steigt der Anteil an Webcam-Videos mit Bauchrednern, Breakdancern, Zauberkünstlern, Amateur-Sängern und Chatroulette-Kostümfetischisten.

Sie wollen Photoshop lernen oder das Pokerspiel? Niemand hat Ihnen beigebracht, wie man sich rasiert oder ein Sandwich schmiert? Kein Problem, auf YouTube findet sich die Lösung.

Video-Tutorien haben eine lange Tradition, sind sie doch ohne großen Aufwand zu produzieren. Vor allem im Make-up-Bereich scheint es zahlreiche Menschen dort draußen zu geben, die mit ihrem Fachwissen längst über das Schmink-Thema promovieren könnten. Oder vielleicht einfach nur die Webcam mit einem Spiegel verwechseln.

Wer nun selbst der Welt da draußen sein Wissen zeigen möchte, aber keine Ahnung hat, wie er das anstellen soll, dem kann geholfen werden: Längst gibt es Video-Tutorials darüber, wie man ein Video-Tutorial produziert.

Rick Astley kennt jeder, der gemeine Freunde hat: Beim Trick des "Rickrolling" schicken Nutzer einander unter Vorspiegelung falscher Tatsachen per Link auf das Musikvideo von Astleys Song Never Gonna Give You Up.

Der erste Running Gag, den YouTube hervorbrachte, funktioniert bereits seit Jahren - so gut, dass sogar das Weiße Haus jüngst einen Twitter-Nutzer "rickrollte". Schuld daran ist unsere Neugier und das Wesen des Web, das deren Befriedigung gleich nach dem nächsten Klick verspricht.

Für Rick Astley hingegen lohnt sich der Spaß: Wie wird man sonst von einem B-Promi der achtziger Jahre zu einer Internet-Kultfigur? Womöglich werden wir noch in Jahrzehnten E-Mails mit Botschaften wie "Hey, guck mal, Julian Assange kann mit 80 noch Limbo tanzen" bekommen - um dann bei Never Gonna Give You Up zu landen, einmal mehr gerickrollt.

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