Online-Spiele und Internet-Pornografie:Besonders belastend: Cybersexsucht

Lesezeit: 6 min

Besonders belastend für Ehe und Partnerschaft ist aus naheliegenden Gründen die Cybersexsucht, die vermutlich neben dem Online-Spielen einen beträchtlichen Teil der Internetabhängigkeit ausmacht. Repräsentative Zahlen gibt es bislang nicht, weil Menschen am Telefon eher nicht so gerne Auskunft darüber geben, wie häufig sie masturbieren, während sie pornografische Videos betrachten. Doch zeigen die Fallgeschichten, von denen etwa Psychotherapeuten berichten, ein typisches Suchtverhalten: die ständige Steigerung des Konsums, die Suche nach immer stärkeren Reizen, die Beschädigung der realen Sexualität. "Hinzu kommt, dass der Konsum pornografischer Inhalte neben dem Online-Spielen am besten voraussagt, ob sich später ein allgemein zwanghafter Internetgebrauch entwickeln wird", sagt die Psychologin Christiane Eichenberg von der Universität Köln.

Je nachdem, wie man Internetabhängigkeit nun exakt definiert, die Grenzwerte setzt und welches Land man betrachtet, schätzen Forscher, dass zwischen einem und 14 Prozent der Bevölkerung betroffen sind. Die vermutlich beste und aktuellste Arbeit für Deutschland, die sogenannte Pinta-Studie (Prävalenz der Internetabhängigkeit), eines Teams um den Lübecker Psychiater Hans-Jürgen Rumpf, kam 2011 nach einer repräsentativen Befragung von 15 000 Menschen zwischen 14 und 64 Jahren auf eine Prävalenz von mindestens einem Prozent, das wären immerhin 560 000 Menschen in Deutschland.

Männer sind überrepräsentiert

"Wobei sich das Problem in den nächsten Jahren noch verschärfen dürfte", warnt Bert te Wildt, denn digitale Medien durchdringen immer mehr die Lebenswelt. Derzeit ist Internetabhängigkeit noch vor allem ein Problem der Jugendlichen und jungen Erwachsenen, wobei Männer in den meisten Studien überrepräsentiert sind. Laut Pinta-Studie sind bereits 2,4 Prozent der 14- bis 24-Jährigen abhängig und 13,6 Prozent "problematische Internetnutzer".

Einige Punkte bleiben offen. So ist unbestritten, dass die meisten - in manchen Studien sogar alle - untersuchten Internetabhängigen unter weiteren psychischen Problemen leiden, meist unter Angststörungen, Soziophobie, Depressionen, ADHS, womöglich auch unter dem Asperger-Syndrom, einem hochfunktionellen Autismus, der aber dennoch meist mit großen sozialen Kontaktstörungen einhergeht. Könnte es nicht sein, wenden deshalb Skeptiker ein, dass Internetabhängigkeit nur ein Symptom dieser tiefer liegenden Störungen ist, sodass wir uns auf deren Behandlung konzentrieren sollten, statt neue Krankheiten zu erfinden?

Te Wildt gibt zu, dass die Kausalität unzureichend geklärt ist: Führt primär die psychische Störung in die Internetabhängigkeit? Oder ist es so, dass beim endlosen Surfen und Klicken sich diese Symptome erst herausbilden und verstärken? Wahrscheinlich stimmt beides, so genau wisse man das nicht, sagt te Wildt und warnt dennoch vor einer Bagatellisierung des Problems: "Jeder Heroin-Abhängige ist in ähnlicher Weise komorbid." Eine Abhängigkeit bleibe eine Abhängigkeit, selbst wenn sie Ursachen hat.

Weiter zu erforschen ist aber auch, was genau am Internet süchtig macht. Vermutlich liegen jene Alarmisten falsch, die bereits im Einschalten eines Computers den ersten suchtgefährdenden Akt sehen. Normale Offline-Computerspiele, sagt te Wildt, führen nach dem Stand der Wissenschaft wohl nicht in eine Abhängigkeit. Suchtgefährdend seien hingegen jene Online-Computerspiele, bei denen die Nutzer im Netz mit anderen Spielern interagieren, also reale soziale Verpflichtungen eingehen. Es sind Spiele, die "prinzipiell unendlich sind", weil sie so groß sind und ständig erweitert werden, dass niemand jemals die Grenzen dieser virtuellen Welt erreichen wird.

Gefährlich seien auch jene Spiele, die so anspruchsvoll sind, dass man sie extrem lange - "quasi als Beruf" - betreiben muss, um Erfolge zu haben. Und für besonders bedenklich hält es te Wildt, wenn man in Spielen Geld verdienen kann. So werden in manchen Online-Welten Avatar-Attribute zu Preisen zwischen 500 bis 1000 Euro gehandelt. In anderen Spielen entscheidet ein Zufallsgenerator, ähnlich wie in einem Glücksspiel, ob der Nutzer reales Geld gewinnt. Das sei höchst gefährlich, meint te Wildt: Nichts präge Verhalten mehr, als die Hoffnung auf eine Belohnung, von der man nicht sicher ist, ob man sie bekommt.

Längst überfällig sei es deshalb, fordert der Fachverband Medienabhängigkeit, dass die Prüfer der USK - der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle - bei der Altersempfehlung für Computerspiele nicht nur auf Sex und Gewalt achten, sondern auch auf das Suchtpotenzial. World of Warcraft wäre dann vermutlich nicht mehr ab 12 Jahren empfohlen, sondern erst ab 16 oder gar 18 Jahren. Man sei mit der USK im Gespräch, heißt es, doch ob solche Umstellungen auf freiwilliger Ebene realistisch sind, ist eine andere Frage. Müsste die Computerspielindustrie auf die jungen Nutzer verzichten, würden ihr Milliarden an Umsätzen entgehen. Könnte sein, dass sich hier eine Aufgabe für den Gesetzgeber stellt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema