Online-Musikfernsehen Tape.tv:MTV aus der Wolke

Tape.tv Conrad Fritzsch

Tape.tv-Chef Conrad Fritzsch

(Foto: Tape.tv)

Wie lässt sich mit Musikvideos im Netz Geld verdienen? Die Berliner Firma tape.tv will es wissen - unter dem Motto: Deine Musik findet dich. Ein Besuch.

Von Benjamin Romberg, Berlin

Einmal wird Conrad Fritzsch unruhig. Der Akku seines MacBooks, über das er die Musikvideos auf dem riesigen Fernseher abspielt, ist leer. Der Bildschirm wird schwarz. Die Musik ist aus. Und das geht gar nicht.

Denn wenn Fritzsch nicht gerade unterwegs ist, sitzt er in Berlin, in der ehemaligen Botschaft Australiens aus DDR-Zeiten, an einem langen weißen Tisch und schaut Musikvideos. Der 44-Jährige ist Chef von tape.tv, einem der größten deutschen Anbieter für Musikfernsehen im Netz. Er selbst beschreibt das so: "Wir sind so ein altes cooles MTV im digitalen Zeitalter."

Die Betonung liegt auf: alt. Vielleicht erinnern sich nicht mehr allzu viele daran, aber auf MTV liefen früher mal Musikvideos. Heute sind dort fast nur noch Dokusoaps zu sehen - zumindest für jene, die zahlen, der Sender ist in Deutschland gar nicht mehr frei empfangbar.

Fritzsch wollte nicht nur Videos präsentieren, er wollte gründen. Der Ostberliner hatte eine Werbefirma, bevor er 2008 mit seiner Kollegin Stephanie Renner tape.tv gründete. Seitdem ist er auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage: Wie muss Musikfernsehen aussehen, das in die Zeit passt? Was ist die richtige Mischung zwischen altem MTV und einem modernen On-Demand-Dienst wie Youtube? Und vor allem: Wie lässt sich mit Musik im Netz Geld verdienen?

Die Musikindustrie ist seit Jahren im Umbruch. CD-Verkäufe gehen immer weiter zurück, 2013 brach der Absatz physischer Tonträger weltweit um zwölf Prozent ein. Der Musikmarkt in Europa ist im vergangenen Jahr nach Zahlen des Weltverbands der Musikbranche (Ifpi) dennoch leicht gewachsen - zum ersten Mal seit zwölf Jahren. Das liegt vor allem an Streamingdiensten wie Spotify, die Songs nicht zum Download anbieten, sondern zum Anhören direkt im Netz. Auch tape.tv zählt dazu.

In Deutschland sind die Umsätze aus bezahlten Abos und den Werbeeinnahmen der Anbieter 2013 nach Angaben des Bundesverbands Musikwirtschaft um 91 Prozent gestiegen, auf 68 Millionen Euro. Der Anteil am Gesamtumsatz ist mit nicht einmal fünf Prozent im internationalen Vergleich sehr klein. Das soll sich ändern: Schätzungen zufolge werden die Umsätze aus Streaming schon 2018 mehr als ein Drittel der Einnahmen der Musikindustrie hierzulande ausmachen.

Auch Conrad Fritzsch ist sicher, das digitale Geschäft werde irgendwann physische Tonträger komplett verdrängen. Er sieht aber noch ein großes Problem: "Wir brauchen ein Geschäftsmodell im Netz, was auch für die Musiker funktioniert." Youtube hat noch immer keine Einigung mit der Gema erzielt, wie die Künstler dafür entlohnt werden, dass die Videoplattform Werbeerlöse mit ihrer Arbeit erzielt. Deshalb sind viele Musikvideos in Deutschland gesperrt. Die Gema will als Verwertungsgesellschaft 0,375 Cent pro abgerufenem Video. Youtube lehnt das ab.

Abo-Modell soll mehr Geld bringen

1,5 Millionen Nutzer besuchen tape.tv im Schnitt pro Monat. Bis Ende des Jahres soll die Zahl auf 2,5 Millionen steigen. Bislang kommen alle Einnahmen aus Werbung. 2013 lag der Umsatz bei 15 Millionen Euro, im laufenden Jahr will tape.tv ein Drittel zulegen. Als zusätzliche Einnahmequelle ist zudem ein Abo-Modell geplant, das noch in diesem Jahr kommen soll.

Und was haben nun die Künstler davon? Am Anfang der Karriere seien die Einnahmen den Musikern noch nicht so wichtig, sagt Fritzsch. "Aber wenn du dir zwei Jahre lang die Finger blutig gespielt hast, willst du irgendwann mal Geld verdienen." Tape.tv hat einen Deal mit der Gema abgeschlossen, für Auftritte in einer Sendung erhalten die Künstler ebenfalls Geld. Fritzsch betont aber vor allem die Chance, die ihnen tape.tv biete: sich zu vermarkten.

Shows, die die Künstler selbst moderieren, Gigs, bei denen die Zuschauer sehen, wenn die Musiker aufgeregt sind - das sei heute gefragt, glaubt Fritzsch: der Künstler im Fokus, eingebunden in soziale Netzwerke. Die Musiker können das Video bei Facebook posten oder auf ihrer Homepage einbinden, und so Werbung für sich machen - und natürlich für tape.tv.

Spotify, der dominierende Anbieter auf dem Streaming-Markt, zahlt den Rechteinhabern zwischen 0,6 und 0,84 Cent, wenn ihr Song angeklickt wird. Für das schwedische Unternehmen ist das zu viel, Spotify macht Verluste. Für die Musiker ist es dagegen immer noch zu wenig, weshalb einige Künstler wie Thom Yorke von Radiohead zum Boykott aufrufen. Nur: Was ist die Alternative?

Illegale Downloads und stete Veränderungen

Dass immer noch Menschen illegale Gratis-Angebote im Internet nutzen, darüber will Fritzsch sich nicht beschweren. Er ist der Meinung: "Wir als Publisher müssen uns Lösungen ausdenken." Er hat sich Gedanken gemacht in den vergangenen Monaten, sein Team umgebaut, tape.tv neu ausgerichtet. "Strukturen sind wichtig, aber man muss auch bereit sein, sie zu killen", sagt er. 40 Mitarbeiter hat er nun, vor allem Technik-Experten, Anfang April soll eine App für das iPhone erscheinen.

Seine Idee: Im Prinzip ist alles da, Millionen von Liedern, zwischen denen die Internetnutzer wählen können - es fehle nur jemand, der den Menschen sage, was ihnen gefällt. "Es ist wie beim Fernsehen", sagt Fritzsch, "es gibt einen Einstiegspunkt, aber dann ist da nur noch diffuses Zappen, 'ne totale Wolke." Der Nutzer müsse immer Entscheidungen treffen. "Wenn er das aber nach jedem Song machen muss, ist das total anstrengend."

Das Motto von tape.tv: Deine Musik findet dich. "Wir bauen eine virtuelle Wolke aus Musik um dich rum", sagt Fritzsch. Konkret sieht das so aus: Wer auf die Seite kommt, sieht zunächst ein zufällig ausgewähltes Musikvideo. Nutzer können Künstlern folgen, Videos liken und teilen. Abhängig davon, werden neue Vorschläge präsentiert. Von dort bewegt sich der Nutzer durch eine Reihe von Empfehlungen anderer User und Tipps der Redaktion, die zum eigenen Geschmack passen könnten. Das sind nicht nur Musikvideos, tape.tv produziert auch eigene Inhalte, etwa Live-Konzerte oder Shows, in denen Künstler ihre Lieblingssongs vorstellen. Aktuell können Nutzer aus etwa 40 000 Videos auswählen, bis Ende des Jahres sollen es 100 000 sein.

Für einige Formate kooperiert tape.tv mit Medienhäusern wie ZDF, Spiegel oder Bild. Seine jungen Mitarbeiter könnten von dieser Zusammenarbeit lernen, sagt Fritzsch. Das solle allerdings nicht heißen, dass die Kollegen aus dem traditionellen Musikfernsehen kompetenter seien. Er habe viele Bewerbungen von Leuten bekommen, die zehn Jahre bei MTV gearbeitet hätten. Mit denen habe er nichts anfangen können, sagt Fritzsch, "die waren nicht integrierbar, weil die sich selbst nicht hinterfragt haben".

Vor dem Fenster in Fritzschs Büro stehen ein paar Preise, die seine Firma gesammelt hat. Darunter der Publikumspreis des Magazins Gründerszene für das Startup des Jahrzehnts in der Kategorie "Newcomer". Ganz neu ist tape.tv inzwischen nicht mehr, Fritzsch darf die Zeichen der Zeit nicht übersehen wie einst MTV. Er sagt, er finde das aufregend. Er sei in einer Stadt groß geworden, die sich ständig wandelt. "Ich bin Veränderungen gewöhnt", sagt Fritzsch, "und die waren immer positiv für mich".

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