Online-Computerspieler:Problembewusste Leute

Die Games Convention Online ist in vollem Gang. Der Medienwissenschaftler Sven Jöckel erklärt, warum Online-Spiele womöglich das Sozialverhalten fördern.

Johannes Boie

An diesem Wochenende findet in Leipzig die Games Convention Online statt. Insgesamt 74 Aussteller aus acht Ländern zeigen auf der Messe neue Trends und Entwicklungen bei Online-Computerspielen. Sven Jöckel, 32, Juniorprofessor für Digitale Medien an der Universität Erfurt, erklärt, warum gerade Online-Spiele immer populärer werden und warum sie womöglich sogar das Sozialverhalten fördern.

Online-Computerspieler: Der Erfurter Medienwissenschaftler Sven Jöckel hat sich mit der sozialen Kompetenz von Online-Computerspielern beschäftigt.

Der Erfurter Medienwissenschaftler Sven Jöckel hat sich mit der sozialen Kompetenz von Online-Computerspielern beschäftigt.

(Foto: Foto: oh)

SZ: Sogenannte Multiplayer-Spiele im Internet werden immer beliebter. Das Rollenspiel World of Warcraft zum Beispiel wird bereits von mehr als elf Millionen Menschen gespielt. Worin liegt der Reiz?

Jöckel: Bei diesen Spielen können mehrere Teilnehmer in einer gemeinsamen virtuellen Welt mit- und gegeneinander spielen. Das ist die Grundlage der Faszination. Außerdem zeichnen sich die Spiele durch eine langfristige Perspektive aus, Spiel und Spielfigur verändern sich. Deshalb kehren die Spieler immer wieder zurück und spielen oft sehr intensiv.

SZ: Was erlebt der Spieler dabei?

Jöckel: Das kommt ganz darauf an: Man kann gemeinschaftsorientiert vorgehen, das Spiel wie einen Chat als interaktives Gespräch betrachten. Man kann es aber auch als Rollenspiel oder als Wettbewerb verstehen, in dem jeder Teilnehmer versucht, der Beste zu sein. Das macht diese Spiele vielschichtig. Und auch daraus entsteht Faszination.

SZ: Sind der Erfolg und die gesellschaftliche Wirkung dieser Spiele mit anderen Entwicklungen, etwa dem Erfolg des Kinos in den dreißiger Jahren, vergleichbar?

Jöckel: Nein. Computerspiele sind als Jugendmedien entstanden und dann erwachsen geworden. Das Kino war stets in allen Altersklassen beliebt. Zunächst für die Arbeiterklasse erdacht, kam es schnell im Mainstream an. Online-Multiplayer-Spiele sind aber noch nicht so weit, trotz des großen Fortschritts in den vergangenen drei bis fünf Jahren. Immerhin sind sie mittlerweile ein kulturelles Phänomen. Sie werden in allen Altersklassen gespielt, immer öfter auch von Frauen. Was hingegen hinterher hinkt, ist der gesellschaftliche Diskurs.

SZ: Inwiefern? Was ärgert Sie an der Debatte über Computerspiele?

Jöckel: Sie ist beschränkt auf die Aspekte "Gewalt", "Sucht" und "Wirkung". Dabei gibt es viele andere Fragen, die auch spannend sind.

SZ: Zum Beispiel?

Jöckel: Man könnte zum Beispiel fragen: Was machen solche Spiele mit unserer Gesellschaft? Dazu haben wir gerade ein Forschungsprojekt gestartet. Eine erste Erkenntnis ist, dass in den virtuellen Gruppen der Spieler, den Clans und Gilden, ein sehr progressives, demokratisches Gesellschaftsbild herrscht. Das kann von einigen Spielern im realen Leben übernommen werden. Studien beweisen, dass die typischen Spieler sich nicht zurückziehen, sondern integriert und politisch interessiert sind. Das sind problembewusste, schlaue, junge Menschen, die gesellschaftliches Gehör finden möchten und sich sozial engagieren.

SZ: Aber kann das Herumsitzen am PC das Sozialverhalten schulen? Erlebt man zum Beispiel Online-Multiplayer-Spiele gemeinsam, obwohl jeder Spieler alleine vor dem Bildschirm sitzt?

Jöckel: Sozialwissenschaftler sprechen da von "sozialer Präsenz". Der Spieler fühlt sich nicht komplett isoliert, obwohl er alleine ist. Ein Beispiel dazu: Guckt man während der WM alleine Fußball, hat man nicht das Gefühl, alleine zu sein. Bei diesen Spielen ist das ähnlich, nur intensiver. Man bekommt auf seine Handlungen und Aktionen Feedback, man erlebt, wie andere darauf reagieren.

SZ: Können Spiele den realen sozialen Kontakt ersetzen?

Jöckel: Auf keinen Fall. Aber durchaus ergänzen. Problematisch wird es nur, wenn jemand ausschließlich vor dem Rechner sitzt. Das ist genauso, als wenn jemand seine Freizeit ausschließlich alleine im Wald verbringt.

SZ: Die virtuellen Spielewelten verändern sich auch dann, wenn der einzelne Spieler gerade nicht aktiv ist. Wie wirkt sich das auf den Spieler aus?

Jöckel: Das ist für ihn ein Stressfaktor. Deshalb spiele ich selber solche Spiele nicht. Die ständige Weiterentwicklung der Spielewelt auch ohne den Teilnehmer, erhöht den sozialen Druck. Der Spieler möchte deshalb zurück ins Spiel gehen. Aber diesen Druck gibt es auch in der Realität, die sich ja ebenfalls weiterentwickelt und fortbesteht, wenn der Spieler in der virtuellen Welt ist. Der soziale Druck in der Realität ist normalerweise viel stärker. Nur ein sehr kleiner Teil der Spieler empfindet das umgekehrt.

SZ: Die sind dann suchtgefährdet?

Jöckel: Ich vermute ja. Ich bin aber kein Freund des Suchtbegriffs, weil er nach einem medizinischen Befund klingt.

SZ: Welche Teile der klassischen Freizeit verdrängen Computerspiele?

Jöckel: Da ist noch einiges an Forschung notwendig. Und die Ergebnisse werden überraschend sein. Man wird feststellen, dass viele Menschen auf dem Papier 30 Stunden lange Tage haben. Es gibt extrem viele parallel laufende Beschäftigungen. Stellen Sie sich den World-of-Warcraft-Spieler vor, wie er neben dem Spielen Fußball guckt. Das funktioniert auch deshalb, weil diese Spiele meist nicht sehr actionorientiert sind und daher weniger Aufmerksamkeit verlangen.

SZ: Multiplayer-Online-Spiele sind alle zentral auf Servern installiert. Damit hat der Hersteller die Macht über Millionen virtueller Leben.

Jöckel: Ja. Wir sprechen von anarchistischen Diktaturen, um die Ordnungsprinzipien in den virtuellen Welten zu beschreiben. Einerseits entstehen Regeln in diesen Spielen von unten, durch die Spieler: Es gibt keine zentrale, regelnde Instanz. Doch außerhalb des Spiels gibt es den Anbieter. Der Vertrag, den der Spieler mit ihm schließt, ist ein Knebelvertrag. Letzten Endes gehört das digitale Leben des Spielers dem Spielanbieter. Er kann es jederzeit willkürlich beenden. Das ist ein Problem. Bislang haben die Anbieter diese Macht aber nur selten für moralisch fragwürdige, radikale Eingriffe in das Spielgeschehen missbraucht. Deshalb ist das Problem bislang noch nicht im Fokus der Spieler.

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