Süddeutsche Zeitung

Oneplus 6:Kostet halb so viel wie ein iPhone, kann fast dasselbe

  • Für 520 Euro gibt es derzeit kein besseres Smartphone als das Oneplus 6.
  • Es kann in den meisten Punkten mit aktuellen Spitzengeräten mithalten, die teils das Doppelte kosten.
  • Bei der Kamera merkt man den Preis: iPhone X und Google Pixel 2 schießen schönere Fotos.

Von Simon Hurtz

Zwei Dinge kann Oneplus wirklich gut. Das erste: Werbung in eigener Sache machen. 2014 präsentierte ein damals völlig unbekanntes Start-up aus China sein erstes Smartphone. Wer den selbsternannten "Flaggschiff-Killer" bestellen wollte, brauchte eine persönliche Einladung, Das ungewöhnliche Invite-System und das aggressive Marketing erzeugten einen Hype, mehr als anderthalb Millionen Menschen kauften das Oneplus One.

Zweitens, und genauso entscheidend für den Erfolg: Die Hardware kann meist mit dem selbstbewussten Werbeversprechen mithalten. Oneplus baut Smartphones, die kaum schlechter sind als aktuelle Spitzengeräte, aber teils nur die Hälfte kosten. Das galt vor vier Jahren beim Oneplus One und daran hat sich bis heute nichts geändert. Für 520 Euro bekommt man im Mai 2018 kein besseres Smartphone als das Oneplus 6.

Display

Was hat dieser blinde Fleck im Display zu suchen? Das fragten sich viele, als Apple im vergangenen Jahr das iPhone X vorstellte. Im sonst randlosen Bildschirm befindet sich oben eine kleine, schwarze Einbuchtung. Apple benötigt den sogenannten Notch, um Technik wie Frontkamera und Sensoren für seine 3-D-Gesichtserkennung unterzubringen.

Anfangs machten sich etliche Konkurrenten darüber lustig. Der Spott war von kurzer Dauer: 2018 erscheint kaum noch ein Android-Smartphone ohne Notch. Viele Hersteller kopieren einfach das Apple-Design, auch wenn sie gar nicht wirklich auf den zusätzlichen Platz angewiesen sind. Hauptsache, das Smartphone ähnelt auf den ersten Blick einem iPhone.

Die Kerbe beim Oneplus 6 ist dagegen kein Selbstzweck. Sie beherbergt Kamera, Telefon-Lautsprecher, Bewegungs- und Umgebungslichtsensoren sowie eine LED-Leuchte für Benachrichtigungen. Wer sich partout nicht mit der Optik anfreunden will, kann die Display-Bereiche links und rechts daneben schwarz schalten. Dann tauchen dort nur noch Benachrichtigungen auf, und es sieht so aus, als habe das Gerät einen normalen Bildschirm mit Rand.

Der Rest des Displays ist solide. Der 6,3-Zoll-Bildschirm mit Oled-Technologie strahlt nicht ganz so hell wie Samsung-Geräte, lässt sich aber auch bei direkter Sonneneinstrahlung problemlos ablesen. Die Farben wirken natürlich und verändern sich im Gegensatz zum Google Pixel 2 XL auch bei schrägen Blinkwinkeln nicht. Hobby-Fotografen, die Wert auf Farbtreue legen, können in den Einstellungen zwischen verschiedenen Kalibrierungen wählen und etwa einen sRGB-Modus aktivieren.

Gehäuse und Verarbeitung

Neben dem Notch folgt Oneplus einem weiteren Smartphone-Trend: Glas. Die Vorgänger-Modelle steckten in einem Unibody-Gehäuse aus Aluminium, diesmal kommt Gorilla-Glas zum Einsatz. Das mag fünffach gehärtet sein - am Ende bleibt es Glas, und das kann splittern. Dementsprechend empfiehlt sich eine Hülle, die obendrein die Rückseite vor Fingerabdrücken schützt. Insbesondere die schwarze Hochglanz-Variante ist für Abdrücke anfällig, der Name "Mirror Black" beschreibt die spiegelnde Oberfläche treffend. "Midnight Black" (mattschwarz) und "Silk White" (perlweiß) sollten etwas resistenter gegen fettige Finger sein.

Praktisch ist der Schieberegler an der Seite, mit der sich das Smartphone schnell in den Vibrations-Modus oder komplett stummschalten lässt. Oneplus verbaut diesen Slider seit Jahren, leider haben ihn bislang wenige andere Hersteller kopiert. Wer zwei Sim-Karten benötigt, etwa um Privates und Berufliches zu trennen, kann sie im Oneplus 6 parallel nutzen. Für Wassersportler und Badewannenleser eignet sich das Smartphone dagegen nicht. Es ist nicht wasserdicht, sondern nur wasserabweisend. Das bedeutet: Regen und Spritzwasser sind okay, Tauchgänge sind zu vermeiden.

Der Fingerabdrucksensor befindet sich auf der Rückseite. Im Vergleich zum Vorgänger ist er etwas geschrumpft und funktioniert nicht mehr ganz so zuverlässig. Was im Test dagegen half: denselben Finger doppelt registrieren, anschließend traten weniger Fehlversuche auf. Noch komfortabler ist es, sich per Gesichtserkennung zu authentifizieren. Oneplus nutzt dafür die Frontkamera, die das Gerät in Sekundenbruchteilen entsperrt. Das Verfahren ist allerdings weniger sicher als die Face-ID-Technologie von Apple, da keine 3D-Infrarot-Aufnahmen erstellt werden.

Akkulaufzeit

Wie lange ein Smartphone durchhält, hängt stark von der individuellen Nutzung ab. Genaue Zeitangaben erübrigen sich, auch Messwerte helfen nur eingeschränkt, da im Alltag viele Faktoren die Laufzeit beeinflussen. Der 3300-Milliampere-Akku des Oneplus 6 reicht auf jeden Fall, um durch den Tag zu kommen, ohne zwischendurch nach einer Steckdose suchen zu müssen.

Der Wechsel von Metall zu Glas hätte es ermöglicht, das Oneplus 6 drahtlos laden zu lassen. Der Hersteller hat jedoch auf Wireless-Charging verzichtet, Nutzer müssen also zum Kabel greifen. Oneplus setzt weiter auf eine proprietäre Technologie, die bis vor kurzem als Dash Charge bekannt war und wegen Markenrechts-Streitigkeiten jetzt Fast Charge heißt.

Unabhängig vom Namen lädt das Smartphone tatsächlich sehr schnell, eine halbe Stunde füllt den Akku um mehr als die Hälfte. Viele andere Hersteller setzen auf die sogenannte Power-Delivery-Ladetechnik, die sich zum Standard für USB-C-Ladegeräte entwickeln könnte. Das Oneplus 6 ist damit nicht kompatibel. PD-Adapter funktionieren zwar, aber nur langsam. Um das Smartphone schnell zu laden, müssen Nutzer zum mitgelieferten Ladegerät samt Kabel greifen.

Leistung

Für die Geschwindigkeit eines Smartphones gilt das Gleiche wie für die Akkulaufzeit: Benchmarks, die maximale Grafik- und Prozessorleistung messen, führen oft in die Irre. Entscheidender als Laborwerte ist das Zusammenspiel aus Hardware und Betriebssystem, oft bremst die Software die Rechenpower aus.

Beim Oneplus 6 stimmt beides. Dank Snapdragon 845, dem neuesten und schnellsten Qualcomm-Prozessor, hängt das Smartphone die Konkurrenz auf dem Papier ab. Auch in der Praxis treten keine Geschwindigkeitseinbußen auf. Apps starten schnell, das Scrollen wirkt immer flüssig, der Touchscreen reagiert ohne Verzögerung.

Software

Die angenehme Bedienung liegt zu einem großen Teil am Betriebssystem. Wie alle Hersteller nimmt Oneplus Android als Grundlage und optimiert es für die eigenen Geräte. Im Gegensatz zu fast allen Herstellern sind die Optimierungen aber keine Verschlimmbesserungen. Während Samsung, Huawei oder Xiaomi teils stark eingreifen, orientiert sich Oxygen OS, wie Oneplus seine Android-Adaption nennt, eng an der Google-Vorlage. Oneplus verzichtet auf größere Design-Änderungen und bietet lediglich einige sinnvolle Zusatzoptionen an.

Nutzer können etwa die Navigations-Buttons am unteren Bildschirmrand mit eigenen Funktionen belegen, sodass doppeltes Tippen oder langes Drücken bestimmte Aktionen auslöst. Das Handy lässt sich mit Gesten steuern, die Benachrichtigungs-Symbole in der Navigationsleiste können angepasst werden, und der Lesemodus überzieht das Display mit einem monochromen Sepia-Schleier, sodass die Optik einem E-Book-Reader ähnelt. Der Rest ist ein fast unverändertes Android 8.1, und das ist auch gut so.

In den ersten Monaten nach dem Markstart ist die Oneplus-Software meist vorbildlich, danach bleiben jedoch Fragen offen. Anders als Apple oder Google gibt das Unternehmen keine Update-Garantie. Nutzer können also nicht sicher sein, wie lange Sicherheits- und Funktions-Updates erscheinen. Das Beispiel des Oneplus 2 zeigt, dass auf den Hersteller nicht immer Verlass ist: Das Handy verkaufte sich schlechter als erwartet und wurde bereits nach einem Jahr nicht mehr auf Android 7.0 aktualisiert. Die anderen Smartphones des Unternehmens erhielten neue Android-Versionen schneller als die meisten Geräte der Konkurrenz, mit Google kann Oneplus aber nicht mithalten.

Kamera

Der größte Kritikpunkt am Oneplus 5T war die Kamera - nicht schlecht, aber auch nicht ganz auf dem Niveau damaliger Spitzengeräte. Das Oneplus 6 holt im Vergleich deutlich auf. Wenn Bildqualität das entscheidende Kriterium ist, gibt es aber nach wie vor bessere Alternativen.

Auf der Rückseite verbaut Oneplus eine Doppelkamera mit einem 16- und einem 20-Megapixel Sensor. Beide Objektive haben die gleiche Brennweite, statt optisch muss also digital gezoomt werden. Dafür ermöglichen die zwei Kameras Aufnahmen mit Bokeh-Effekt. Insbesondere Portrait-Fotos profitieren von der Tiefenschärfe. Selfies mit weichgezeichnetem Hintergrund sind aktuell noch nicht möglich. Oneplus will die Funktion für die Frontkamera mit einem Software-Update nachliefern.

Bei guten Lichtverhältnissen schießt das Oneplus 6 tolle Fotos: scharf, mit natürlichen Farben und wenig Rauschen. Der HDR-Modus liefert nicht ganz so überzeugende Ergebnisse wie etwa das Google Pixel 2. Wenn es dämmrig oder dunkel wird, bekommt das Oneplus 6 Probleme. Die Kamera ist zwar lichtstärker als die des Vorgängers, manchmal fokussiert der Sensor aber nicht richtig, die Farben wirken künstlich übersättigt oder das Auslösen dauert spürbar länger als üblich.

Pro

  • gutes Display
  • solide Akkulaufzeit
  • schneller Prozessor
  • nahezu unverändertes Android 8.1
  • mutmaßlich schnelle Software-Updates
  • Preis-Leistungs-Verhältnis

Contra

  • keine Spitzen-Kamera
  • nicht wasserdicht
  • kein drahtloses Laden

Fazit

Das Oneplus 6 hat kein echtes Alleinstellungsmerkmal. Es ist ein rundum solides Smartphone ohne größere Schwächen. Entscheidend ist der Preis: Apple, Samsung und Google verlangen für ihre aktuellen Spitzengeräte um die 1000 Euro, das Huawei P20 Pro ist nur wenig günstiger. Das Oneplus 6 kostet rund die Hälfte und kann in fast allen Belangen mithalten.

Wer auf iOS schwört oder Wert auf Statussymbole legt, greift zum iPhone. Wer größten Wert auf gute Fotos legt, wird mit dem Google Pixel 2 glücklich. Alle anderen sollten sich das Oneplus 6 zumindest ansehen.

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