Offf-Konferenz zur Zukunft des Internets:Ausprobieren, testen, auf die Schnauze fliegen

Wie lassen sich im Netz Geschichten erzählen? Und wie können Menschen die wachsenden Informationsberge begreifen? Auf die Offf-Konferenz in Barcelona kommen Journalisten und Werber, Hipster, Nerds und Geeks. Sie wollen herausfinden, wie das Internet bald aussehen könnte.

Von Johannes Boie, Barcelona

Sanft tanzt der Rauch über den Bildschirm. Wie von einer unsichtbaren Hand geführt, bewegt er sich im Takt der Musik, synchron und doch eigen. Er wechselt andauernd seine Farbe, quer durch den Regenbogen changierend, je nachdem, welches Instrument gerade die Melodie dominiert. "Das ist Synästhesie", sagt Esteban Diácono aus Buenos Aires, "Töne sehen, Farben riechen."

Zwei Tage vorher reihen sich ein paar Hundert Menschen in Barcelona zu einer langen Schlange. Über ihnen die spanische Sonne, vor ihnen ein Haus, das aussieht wie ein sehr großer Briefkasten, darin wird für drei Tage eine Konferenz stattfinden, Titel: Offf. Man kann die Hipster und Nerds und Geeks vom Dach des Briefkastens bequem beobachten.

Dabei stellt man fest, dass im Schnitt von jeweils zehn Wartenden vier Frauen sind und sieben bunte Ray-Ban-Brillen tragen. Von den sechs Männern haben vier Vollbärte. Wenige sind älter als 30. Viele tragen eine Casio-Uhr im Stil der Achtziger, Erinnerung an eine Zeit, als "digital" bedeutete, dass auf einer Uhr Digitalziffern statt Zeiger zu sehen waren. Hipster, Nerds, Designer. Sie werden mit ihren Ideen die Welt gestalten. Sie arbeiten als Designer, als Journalisten, Illustratoren oder Werber, sie kommen aus New York, Buenos Aires, aus Abu Dhabi, Moskau und Augsburg.

Wie kann man große Geschichten im Netz erzählen?

Jeden Tag stellen sie sich viele Fragen: Was sieht gut aus? Wie verändert sich das Leben, wenn ein Gerät, das früher Telefon hieß, heute Videos zeigt und Bilder aufnimmt? Wie verdient man Geld, wenn Produkte virtuell und kopierbar sind? Können Figuren, die am Computer entstanden sind, realistischer sein als Fotos von echten Menschen? Was ist funktional?

Kann man journalistische Geschichten aus 3-D-Modellen am Computer bauen und dann mit ihnen erzählen? Und wie können die Menschen, die ständig wachsenden Informationsberge begreifen? Wie kann man Geschichten im Netz erzählen, die so groß sind, dass sie nicht in eine Zeitungsausgabe passen, deren Leser aber weniger Zeit haben, als sie für eine einzige Zeitungsseite benötigen würden?

Auf der Offf-Konferenz treffen sich diese Menschen, um Antworten auf ihre Fragen zu finden, indem sie ihre Ideen und ihre Arbeit miteinander teilen. "Offf", das stand ursprünglich für "Online Flash Film Festival", vor zwölf Jahren war das. Damals war die Animationstechnik Flash das große neue Ding, ein großer Wahnsinn. Heute wird die Flash-Technik kaum noch verwendet, Apple hat sie gar von allen iPads und iPhones geworfen. Ein paar Jahre später nur, auch ein Wahnsinn.

Auf dieser Konferenz darf man auch irren

Klar ist also, dass man sich auf dieser Konferenz auch irren darf. Nein, irren soll, irren muss! "Play ist a powerful state of mind", sagt Designsuperstar Jessica Walsh, 26 Jahre alt und Partnerin der New Yorker Design-Agentur Sagmeister & Walsh, während sie in ihrer Präsentation zeigt, wie sie von Farbe überschüttet wird, wie sie ihr iPhone zerhämmert, wie sie Hunderte Bleistifte in einen Styroporkörper steckt, um eine Art überdimensionalen Igel zu bauen.

Walsh formuliert die Technik, mit der die meisten Besucher der Konferenz arbeiten: spielen. "Risiken einzugehen ist ein großer Teil unserer Arbeit", sagt sie. Ausprobieren, testen, auf die Schnauze fliegen, immer wieder. Das führt manchmal zu Spaß, oft zu nichts und oft genug zu großem Erfolg. Sagmeister & Walsh arbeitet für BMW, den Softwarehersteller Adobe, die New York Times und Levi's.

Für den Jeanshersteller hat die Agentur ein Prinzip der digitalen Welt zurück übersetzt: Eine animierte Werbeanzeige rotierte in vielen einzelnen Scheiben über den Dächern von Soho, New York, sodass nur alle zehn Sekunden der Schriftzug der Anzeige und das Logo der Marke zu sehen waren (bis ein Vogel in die Mechanik flog).

Ein interaktiver Werbeclip - so könnte auch Journalismus funktionieren

Viel öfter aber wird auf der Offf-Konferenz in die Zukunft übersetzt. Da ist zum Beispiel die Agentur North Kingdom, die Kurzfilme produziert. Früher waren das kurze Filmchen, heute auch, aber der Zuschauer kann den Inhalt verändern, denn sie sind interaktiv. Das führt zu technischen Problemen, wie dem, dass die Musik auch bei veränderter Handlung nicht abbrechen darf, aber vor allem ist es eine intellektuelle Herausforderung. Interaktives Geschichtenerzählen, das ist etwas Neues, und man muss herausfinden, wie es geht.

Die Spannung in den Clips steigt innerhalb weniger Sekunden, während auf dem Bildschirm eine wunderschöne Frau durch einen Park spaziert und, klick, offenbart, was sie für Kleider trägt, die der Zuschauer, klick, direkt erwerben kann. Modewerbung, inhaltlich trivial, aber die Technik würde genau so auch für ein journalistisches Video funktionieren. Dass der Spannungsbogen hoch bleibt, ist kein Wunder, er ist, ebenso wie die interaktiven Elemente, vielfach getestet worden. Das Storyboard des Filmchens, in dem die Mausklicks der Zuschauer antizipiert werden, gehört zu den interessantesten Ideen, die auf der Offf präsentiert werden.

Der Journalismus braucht Hilfe von außen

In solchen Momenten schmilzt unter der spanischen Sonne in Barcelona alles zusammen: Grafikdesigner werden Videofilmer, Zeitungen werden Websites, Textformen verdichten sich, Medienformen sowieso. Konvergenz eben - der Prozess, der ganze Branchen schüttelt, verdichtet sich hier in den Ideen einzelner Designer, ein einziges Durcheinander, wie in den grellen Illustrationen des Künstlerduos Brosmind, das auf der Konferenz ihre Arbeit präsentiert.

Synästhesie, auf die sich der Argentinier Diácono beruft, ist so gesehen auch das Gegenstück des menschlichen Hirns zur medialen Konvergenz. Der tanzende, bunte Rauch steht für beides: den Wandel der Welt hin in ein volldigitales Zeitalter und die Fähigkeit des menschlichen Hirns, sich darauf einzulassen. Menschen rund um die Welt haben das Video insgesamt zehn Millionen Mal angeschaut haben und Diácono, der frei arbeitet, einen Karriereschub beschert.

Wie überhaupt die besten Ideen für die größten Karrieren sorgten, auch im Fall von Fi, einer Agentur die 1999 in einer Garage auf dem schwedischen Land gegründet wurde. Heute hat sie Büros in New York, London, Stockholm und San Francisco. Auf der Offf-Konferenz sprechen ihre Mitarbeiter über den Relaunch der Webseite von USA Today, einer der größten Nachrichtenseiten der Welt, die nach ihrer Überarbeitung zu einem Maßstab für Websites auf der ganzen Welt wurde.

Überhaupt zeigt sich, wie sehr der Journalismus die Hilfe von außen benötigt. Die von Santiago Ortiz zum Beispiel, der sich als Entwickler große Datensätze so gestaltet, dass möglichst viele Informationen mit möglichst wenigen Blicken begreifen kann. Da sind Netze, große Diagramme, bunte Flächen, verschiedene Schriftarten zu sehen.

Die Entdecker von heute, das sind wir

Es reicht allerdings schon ein einziger Blick, und man hat die Gewissheit, dass hier einer vielversprechende Möglichkeiten gefunden hat, um den Daten-Overkill der Gegenwart zu ordnen. Und wie so viele hat Ortiz nebenbei ein neues Geschäftsmodell entdeckt. Er entwickelt auch mal Projekte nur für sich und ohne Auftrag. Auf der Konferenz zeigt er zum Beispiel Daten von Twitternutzern, er hat die Verbindungen zwischen ihnen als ein Netzwerk dargestellt. Wenn solche Projekte gelingen, stehen neue Kunden bei ihm Schlange.

So eine Arbeit legt zum Abschluss der Konferenz auch die niederländische Agentur From Form vor. Ein wunderbarer Kurzfilm ist das, bis hin zum Farbton künstlich vergilbten Papiers liebevoll produziert. Da zeigt ein alter Entdecker in seinem viktorianischen Forscherzimmer Trophäen von Reisen rund um die Welt. Und in all seinen Entdeckungen finden sich die Logos der Redner der Offf-Konferenz wieder: ein Logo im Federhalter, auf den Messingschildchen der Schubladen, im Briefsiegel. Das war mehr als eine schöne Arbeitsprobe. Das war ein Statement. Die Entdecker von heute, das sind wir, die Leute mit den bunten Ray Bans und den Casio-Uhren.

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