Süddeutsche Zeitung

NSA arbeitet an Super-Computer:Der kurze Frühling des Internets

Mit einem Quantencomputer, der jeden nur erdenklichen Verschlüsselungscode knacken kann, entwickelt die NSA eine Superwaffe. Das erste Opfer dieser Nachricht ist jedoch nicht die Privatsphäre der Nutzer. Es ist der bisher unerschütterliche Optimismus des digitalen Zeitalters.

Ein Kommentar von Andrian Kreye

Man sollte sich in diesen Tagen dringend mit einem Menschen unterhalten, der etwas von Kryptografie versteht, also vom Verschlüsseln von Daten und Botschaften. Man wird sich dann schnell dabei ertappen, dass man mit glasigem Blick nickt, weil man das Gefühl hat, einer Schulfunksendung zu lauschen, bei der man die ersten 64 Folgen verpasst hat. Was einen fesseln wird, ist die Leidenschaft, mit der solche Menschen sprechen.

Und in der Regel kommen sie bald schon auf den Punkt zurück, der alle angeht. Kryptografie ist längst viel mehr als ein technisches Verfahren für Menschen mit Industrie- oder sonstigen Geheimnissen. Sie schützt ein Menschenrecht, das es noch nicht lange gibt: die digitale Menschenwürde. Denn es geht im NSA-Skandal ja noch gar nicht um Folgen der Überwachung, sondern ums Prinzip.

Jetzt aber weiß man dank Edward Snowden, dass die National Security Agency einen Quantencomputer entwickelt, der jeden nur erdenklichen Verschlüsselungscode knacken kann. Geheimagenten haben einen herben Humor. Das Quantencomputerprojekt trägt den Namen "Penetrating Hard Targets", zu Deutsch "in harte Ziele eindringen". Das ist eine Redewendung aus der Schusswaffenkunde.

Es handelt sich also um eine Superwaffe. Würde der Computer ans Netz gehen, wäre das ein ähnlich historischer Akt, wie die Entschlüsselung der Codes der deutschen Enigma-Maschine durch die Engländer, die den Zweiten Weltkrieg mit entschied. Es wäre das vorläufige Ende aller Geheimnisse. Doch alleine das Bekanntwerden dieses Projekts hat schon historische Bedeutung. In der Nachricht steckt die Gewissheit, dass die Geheimdienste einen technologischen Allmachtsanspruch haben, den sie konsequent und erfolgreich umsetzen.

Die sozialen Experimente begannen

Das erste Opfer dieser Nachricht ist noch gar nicht jene digitale Menschenwürde, die sich aus der grenzenlosen Freiheit der Netzwerke und der Privatsphäre der Nutzer zusammensetzt. Es ist der bisher unerschütterliche Optimismus des digitalen Zeitalters. Der war eine wichtige Triebfeder. Denn die Fortschritte des digitalen Zeitalters fielen in die gleiche Zeit wie die Rückschritte der Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges, in denen sich in Europa und den USA Wohlstand, Bürgerrechte und Zukunftsaussichten rückläufig entwickelten.

Es ist kein Zufall, dass sich einige der klügsten Köpfe in den letzten Jahrzehnten in der Informatik wiederfanden. Und dass zu ihnen einige kluge Menschen gehörten, die während der Ära der Bürgerrechte die Gesellschaft zum Besseren wandeln wollten. Es war gegen Ende der Achtzigerjahre, als die Informatiker vom Media Lab des MIT ein Credo postulierten, das aus den Rechenmaschinen eine Lebenswelt machen sollte. In Zukunft, so hieß es damals, wird es nicht mehr so wichtig sein, wie schnell ein Computer ist, sondern mit wie vielen anderen Computern er vernetzt ist. Das technische Wettrüsten fand damals ein Ende. Die sozialen Experimente begannen.

Es war nur ein kurzer digitaler Frühling. Die klugen Optimisten werden jetzt zu scharfen Kritikern: Jaron Lanier, Evgeny Morozov oder Sascha Lobo prägten Geschichte und Rezeption des Internets. Der allumfassende Zugriff der Geheimdienste auf die neue Lebenswelt zeigte ihnen, dass Freiheit in diesen Netzen nicht möglich ist.

Das Wettrüsten hat nun wieder begonnen. Es ist nicht mehr die Frage, wer sich möglichst weitläufig vernetzt. Die neuen Herausforderungen sind es, immer schneller auf immer mehr Daten zuzugreifen. Die NSA steht mit ihrem "Penetrating Hard Targets"-Projekt in Konkurrenz mit den besten Instituten der Welt. Letztlich wollen beide das Gleiche: Die Welt verstehen. Nur die Motive sind anders. Was den einen ein Rätsel, ist den anderen das "harte Ziel". Das soll bald schon ungeschützt sein.

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Quelle:
SZ vom 04.01.2014/mri
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