Süddeutsche Zeitung

NRW-Justizministerium sperrt wdr.de:Der Vorwurf der Zensur

Das nordrhein-westfälische Justizministerium kappt einem Teil der Mitarbeiter den Zugang zu WDR-Webseiten - und gerät damit in den Verdacht, unliebsame Kritik unterbinden zu wollen.

Johannes Kuhn

Es geht hoch her im Kommentarbereich des WDR. "Günstig abzugeben. Auslaufmodell 2009, Marke Justizministerin. Akzeptanz der Untergebenen abgelaufen" schreibt ein Internetkommentator. Ein anderer fragt entsetzt: "Sind wir hier in China??"

Wut und Unverständnis schlagen der nordrhein-westfälischen Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) entgegen. Dieses Mal geht es nicht um ihren Umgang mit der Flucht zweier Schwerverbrecher, der sie in den Augen der Opposition untragbar gemacht hat. Dieses Mal hat die Ministerin Teile ihrer eigenen Belegschaft verärgert.

Etwa 35.000 Mitarbeiter beschäftigt die Justiz in NRW. Die Mehrheit von ihnen kann auf ihren Dienstcomputern nur über einen Umweg ins Internet gelangen: So genannte "Tunnels" aus dem behördeneigenen Intranet führen auf Seiten wie Wikipedia oder die Telefonauskunft. Und bis vor kurzem auch auf die Internetpräsenz des WDR.

"Dienstfremde Beschäftigungen"

Seit einigen Tagen ist dieser Link verschwunden. In einer internen Mitteilung heißt es, dass "dem Justizministerium Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass während der Dienstzeit in mehr als nur unerheblichem Umfang dienstfremder Beschäftigung nachgegangen worden ist". Übersetzt: Statt zu arbeiten hätte ein Teil der Justizbeschäftigten lieber WDR-Videos konsumiert. Darauf habe es "ernstzunehmende Hinweise aus der Mitarbeiterschaft" gegeben, sagt ein Sprecher des Justizministeriums. Nach Angaben von Theo Holzmann, IT-Dezernent bei der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf, verbucht der WDR in seinem Haus beispielsweise mehr als 50 Prozent der Zugriffe.

Deshalb wäre eine solche Maßnahme eigentlich kaum der Rede wert: Der Arbeitgeber kann seinen Mitarbeitern den Zugriff auf bestimmte Seiten verbieten, wenn sie für Privatzwecke besucht werden und dies vertraglich nicht explizit gestattet ist. Doch der Zeitpunkt macht stutzig: Die Justizministerin steht politisch unter Druck, Regierung und Opposition streiten sich, ob die Politikerin der Öffentlichkeit wichtige Informationen zur Flucht der beiden Schwerverbrecher Peter Paul Michalski und Michael Heckhoff aus der JVA Aachen vorenthalten und die Sicherheitsmängel in der Haftanstalt ignoriert habe.

Gerade in der Debatte über den Zustand des Justizwesens hatten sich seither im Internet immer wieder anonyme Kommentatoren zu Wort gemeldet, die augenscheinlich selbst im nordrhein-westfälischen Justizwesen beschäftigt sind und die Ministerin ob der schlechten Arbeitsbedingungen kritisierten. Unter anderem geschah dies auf den Seiten des WDR.

Handelt es sich bei der Sperre also um eine Zensur- oder Abstrafaktion, um die Kritik an der Ministerin verstummen zu lassen? Das Justizministerium in Düsseldorf versucht, den Vorwurf zu entkräften: Einen Zusammenhang mit der aktuellen Kritik gäbe es nicht, "die Sache war seit Monaten geplant", heißt es. Der Ausbruch der beiden Häftlinge fand erst Ende November statt.

"Draht zur arbeitenden Bevölkerung verloren"

Doch das schlechte Timing hat der Ministerin nun einen weiteren Imageschaden beschert: "Hier wird ganz klar Zensur geübt", meldete sich Manfred Evers, oberster Personalrat beim Oberlandesgericht Düsseldorf in der Frankfurter Rundschau als Erster zu Wort, "die Kollegen sind sauer über eine Ministerin, die für Personalnot und Tausende Überstunden verantwortlich ist". Dass Evers für die Linke im Ratinger Stadtrat sitzt und im Mai 2010 eine Richtungswahl in NRW ansteht, macht die Gemengelage nicht gerade übersichtlicher.

Die Sperre dürfte auch innerhalb der NRW-Justiz für Spannungen sorgen, denn es verdeutlicht den Zwei-Klassen-Internetzugang dort. So können Richter und Staatsanwälte wdr.de weiterhin aufrufen - sie sind für Recherchezwecke direkt an das World Wide Web angeschlossen. Es sind deshalb vor allem Mitarbeiter aus dem mittleren Dienst, die auf den Zugang aus dem Intranet angewiesen seien - und damit nun bei wdr.de außen vor sind.

"Das Ministerium täte gut daran, sich zu überlegen, ob man nicht den Draht zur arbeitenden Bevölkerung verloren hat", sagt deshalb Wolfgang Meyer, NRW-Vorsitzender der Deutschen Justiz-Gewerkschaft, "Frau Müller-Piepenkötter sollte sich hinter ihre Leute stellen, das Gespräch mit der Basis suchen. Denn so ein Vertrauensverlust lässt sich kaum reparieren."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.144454
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
sueddeutsche.de/joku/holz
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.