Süddeutsche Zeitung

"No Man's Sky"-Tagebuch:"No Man's Sky" Tag 4: Intergalaktische Schnitzeljagd ohne Gewinner

Vorläufiges Ende der Reise: An ihrem vierten Arbeitstag als Weltall-Entdecker im Spiel "No Man's Sky" finden unsere Autoren auf fernen Planeten die Grenzen ihrer Geduld.

Unendliche Weiten, beinahe wörtlich. 18 Trillionen Planeten mit eigener Atmosphäre, Tieren, Pflanzen, Mineralien. Auch nur einen kleinen Teil des computergenerierten Universums von "No Man's Sky" - einem neuen Spiel für Playstation 4 und PC - zu sehen, ist eine Lebensaufgabe. Anstelle eines Spieletests reisen SZ-Autoren durchs Weltall - und protokollieren ihre Erfahrungen im Tagebuch.

Tag 4:

Matthias Kistler: Am zweiten Tag meiner Erkundungstour durch die Euklid-Galaxie sehe ich etwas klarer. Bisher habe ich daheim vor meinem etwas zu kleinen 32-Zoll-Fernseher aus Bequemlichkeit auf meine Brille verzichtet. Aber im Universum von "No Man's Sky" komme ich damit nicht weit. Die Schrift auf dem Bildschirm ist einfach zu klein. Das erklärt vielleicht auch, warum ich bisher noch keiner einzigen Entdeckung einen Namen geben konnte. Gut, dann setze ich eben die Brille auf die Nase und sehe weiter.

Es lohnt sich. Jetzt erfahre ich, dass das Hochladen von Neuentdeckungen in die globale Datenbank Geld in Form der spielinternen Währung "Unit" einbringt. Eigentlich schade, dass man hier auf so einen schnöden Begriff zurückgreift, obwohl die sonst für viele Dinge im Spiel vergebenen, generischen Namen wesentlich einfallsreicher anmuten: "Enuohekousum", "Atavonde" und "Arskyviu Nuparkuw" heißen die Planeten, auf denen ich dieses Mal zu landen beabsichtige. Der dahinterliegende Benennungsalgorithmus erzeugt also brauchbare Standardnamen statt irgendwelcher Zufallszeichenketten.

Weshalb sollte ich hier noch selbst kreative Arbeit investieren? Dafür habe ich viel zu viel Spaß daran, mir zu überlegen, wie man diese Konstrukte wohl aussprechen könnte (Romanisch? Slawisch? Finnisch?). Außerdem werde ich meine selbstbenannten Planeten wohl eh nie wieder zu Gesicht bekommen, dafür ist die Galaxis einfach zu groß. Der Weg durch den Sternennebel, den mir Atlas auferlegt, scheint eine Einbahnstraße zu sein.

Matthias Huber: Ich habe mein Raumschiff satt. "Rasamama" - was auch immer das heißen mag - hat mich auf knapp 20 Planeten abgesetzt. Wenn ich noch einmal eine Warnmeldung bekomme, dass mein Frachtraum gefühlte vier Minuten nach der Landung schon wieder voll ist, bewerfe ich unschuldige Singvögel mit meinem Playstation-Controller. Angeblich soll man ja auf diesen Planeten ganz einfach und oft abgestürzte und besitzerlose Raumschiffe finden, die man nur noch reparieren muss. Aber irgendetwas mache ich wohl falsch. Obwohl ich regelmäßig an jeder Funkstation brav scanne, hat mich noch keiner dieser Wegweiser zu einer Absturzstelle gebracht.

Dann eben anders: Ich lege mich im Hangar der nächsten Raumstation auf die Lauer. Jeder Außerirdische, der hier landet, wird von mir darauf angesprochen, ob er mir nicht sein Schifflein verkaufen will. Beim vierten Versuch bin ich zufrieden: Etwas bessere Bewaffnung und Antriebssysteme, etwas mehr Star-Wars-Optik von außen, und vor allem vier zusätzliche Plätze im Frachtraum! Für fast 400 000 Units wohl ein Schnäppchen. Dass es mich dann drei Anläufe braucht, um zu verstehen, wie ich meine Ladung vom alten in das neue Schiff bekomme: Geschenkt. Jetzt sollen die Weltraumpiraten nur kommen! Nächste Station: Hevskinir-Lil Rebbe.

M.K.: Dieser Atlas ist ein ganz seltsames Wesen. Was ist er/sie/es denn nun eigentlich? Bisher ist es gleich nach meiner Bruchlandung in Form einer roten Kugel erschienen, nun fordert es von mir ein, mich auf einen Mond zu begeben, auf dem es mir in Gestalt eines kristallförmigen Monolithen etwas mitzuteilen gedenkt. Das ist der nächste Wegweiser für die intergalaktische Schnitzeljagd. Etwas Orientierung schadet in dieser verwirrend großen Galaxis aber ohnehin nicht. Ich mache mich also auf, meinen Hyperantrieb mit neuer Energie zu versorgen, und steuere den nächsten Planeten an.

Der "nächste" Planet. Das klingt harmlos. Was No Man's Sky aber sehr überzeugend darstellt, ist die Größe des Raumes, in dem man sich bewegt. Auf Planeten muss man zu Fuß schon mal ein paar Minuten Zeit investieren, um von A nach B zu gelangen. Im Weltraum bewegt sich mein Raumschiff gefühlt erst einmal nur mit Standgas voran, weshalb das spielinterne Navigationssystem regelmäßig drei bis fünf reale Stunden anzeigt, wenn ich von einem Planeten zum nächsten reisen möchte. Zum Glück gibt es den Boost, den ich durch Halten der Kreis-Taste aktivieren kann. Das verkürzt die Wartezeit auf ein paar Minuten. Noch schneller geht es mit dem Impulsantrieb, mit dem man die Strecke auf nur wenige Sekunden komprimiert.

Ich bin zwar kein Experte, aber dass wir es hier wohl mit Geschwindigkeiten irgendwo um die Lichtgeschwindigkeit herum zu tun haben, dürfte klar sein. Nebenwirkungen dieser physikalischen Extremsituation halten sich zum Glück in Grenzen. Ist es doch viel schöner, farbenprächtig durch den interplanetaren Nebel zu cruisen und Warp Sieben zu aktivieren, ohne sich über solch nebensächliche Details Gedanken machen zu müssen.

Etwas finden, das sich zu erzählen lohnt

Daniel Wüllner: Die nächste Stufe auf meiner interstellaren Reise ist genommen. Atlas hat zu mir gesprochen. Trotzdem fühle ich mich immer noch leer. Der rote Riesenflummi hat mir einen Atlas-Stein und die Bauanleitung für meinen ersten Atlas-Pass gegeben. Damit kann ich noch mehr Kisten und Türen auf abgelegenen Planeten öffnen. Sonst gibt es nur einen weiteren weitentfernten Wegpunkt auf meiner Sternenkarte. Zehn der Atlas-Steine soll man auf die Reise zum Mittelpunkt der Galaxie mitnehmen, das wissen andere Spieler, die bereits dort waren. Doch bislang konnte mir noch niemand sagen, warum ich da denn hinfliegen sollte. Warum ich überhaupt irgendetwas in No Man's Sky machen sollte.

Doch gerade als ich die Station verlasse, entdeckt mein Scanner eine Anomalie. Endlich ein Lebenszeichen von No Man's Sky? Ich setze Kurs und docke erneut an ein riesiges fliegendes Objekt an. Dort treffe ich auf Nada und Polo, zwei Außerirdische, die meine Sprache sprechen. Für einen Moment fühle ich mich zuhause. Sie geben mir neue Infos, erzählen von einem schwarzen Loch. Der Entdeckergeist kehrt zurück. Was Matthew McConaughey kann, kann ich auch. Auf zum Schwarzen Loch!

M.K.: Auf Enuohekousum angekommen, baue ich zunächst Heridium ab. Die Ressource scheint ziemlich selten zu sein und wird für gefühlt jeden zweiten Gegenstand benötigt, den man zusammenbasteln will. Da muss ich also zugreifen, wenn es schon direkt vor mir aus der Landschaft ragt. Ich ziele mit meinem Abbaustrahl darauf, schieße ein Loch in das turmartige Gebilde und staune, weil dieser nicht instabil wird. Gut, dann weite ich das Loch aus und schneide den Brocken in der Mitte durch. Jetzt schwebt der obere Teil in der Luft als ginge ihn die Schwerkraft nichts an. Zum Teufel mit der Physik! Wer braucht die schon?

Auf den Boden der Tatsachen werde ich aber zurückgeholt, als ich den Planeten wieder verlasse und mir mein Schiff mitteilt, dass ich gerade gescannt würde. Einen Augenblick später tauchen fünf Piratenschiffe auf, deren Piloten mir offensichtlich mein Heridium neiden. Noch bevor ich überhaupt erkenne, aus welcher Richtung die Feinde anfliegen, stehe ich schon unter starkem Beschuss. Es ist zwar schon eine Zeit lang her, dass ich mich in Weltraumschlachten geübt habe, aber die paar Angreifer werde ich doch wohl noch klein kriegen. Das denke ich zumindest kurz. 20 Sekunden später dreht sich mein Raumschiff im Kreis, fällt auf Enuohekousum und ein schwarzer Bildschirm mit irgendeinem schlauen Spruch erscheint, den ich nur dank meiner Brille lesen kann. Fünf gegen einen: Nicht fair!

D.W.: Fünf Sternensysteme weiter und da ist es endlich: das schwarze Loch. Ja, schlotz mich rein, das habe ich mir redlich verdient. Die Spannung steigt ein bisschen. Mein kleines Raumschiff nützt die Krümmung im Universum und ich werde belohnt - mit einem weiteren langweiligen Sternensystem. Ich habe zwar eine kleine Abkürzung zur Mitte des Weltalls, aber was ist mit dem Leben und dem ganzen Res?. Wo ist mein roter Teppich und wo ist mein "Danke, Daniel! Hast du toll gemacht"? Hier ist nichts davon. Betrübt steuere ich den nächstbesten Planeten an, der meine Stimmung förmlich widerspiegelt.

Futtsu Nefahr ist ein lebloser Planet ohne Flora und Fauna. Ohne Sinn. Ich stelle mich an die Klippe, blicke über die kahle Landschaft und verfalle in philosophische Fragen, mein Controller hat längst abgeschaltet: Warum drifte ich durchs Weltall? Warum gibt mir No Man's Sky keinen Anreiz weiterzumachen, außer ein paar läppische Absätze in außerirdischem Gebrabbel? Warum spiele ich dieses Spiel überhaupt, mal abgesehen von diesem Tagebuch? Bevor diese Fragen nicht zufriedenstellend geklärt sind, bewege ich mich keinen Schritt weiter. Meine Reise endet hier auf Futtsu Nefahr.

M.H.: No Man's Sky ist ein besonderes Biest. Die Aufgaben, die das Spiel für seine Weltraumentdecker bereit hält, sind bestenfalls Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Ja, ich brauche Treibstoff, aber doch eigentlich auch nur dafür, um auf dem nächsten Planeten wieder Treibstoff sammeln zu können. Um dann irgendwann mal im Zentrum der Galaxie anzukommen, wo mich vielleicht irgendwas wirklich interessantes erwartet. Oder doch nur eine weitere Atlas-Texteinblendung samt sphärischer Musik, die leider nur so klingt als wäre sie von einem Goblin für einen italienischen Horrorfilm komponiert worden.

Die Belohnungen dazwischen - skurrile, interessante, schöne, denkwürdige, idyllische oder gar spannende Entdeckungen auf den computergenerierten Planeten - sind rar und befriedigen nur selten. Ja, irgendetwas gibt es immer zu sehen. Aber von den 18 Trillionen Varianten, die der Computer errechnet hat, sind eben nur die wenigsten sonderlich interessant. Bis man etwas gefunden hat, das sich zu erzählen lohnt, vergehen auch mal mehrere Stunden. Also mache ich das einzig Vernünftige: Ich schalte die Konsole aus und sehe mich auf Reddit bei /r/nomansskythegame um, was andere so entdeckt haben. Und bekomme dann doch irgendwie wieder Lust, selbst etwas zu finden, das sich zu erzählen lohnt.

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