No Man's Sky:Das größte Computerspiel der Welt ist eine Zumutung

No Man's Sky

18 000 000 000 000 000 000 - So viele unterschiedliche Planeten gibt es im Videospiel "No Man's Sky".

(Foto: pr)

18 Trillionen Planeten, eine nahezu unendliche Spielwelt: "No Man's Sky" überfordert seine Spieler. Wer sich darauf einlässt, wird mit einer faszinierenden Erfahrung belohnt.

Von Michael Moorstedt

Es gibt einen Gott. Selbstverständlich trägt er einen Rauschebart und grob gemusterte Karohemden, er ist mächtig stolz auf seine Kreation. Sein Name ist Sean. Er ist der Schöpfer von über 18 Trillionen Planeten, ein jeder von ihnen einzigartig, kein Lebewesen, kein Gestrüpp, keine Felsformation gleicht der anderen.

Sean Murray ist Gründer und Chef des britischen Videospiel-Entwicklungsstudios Hello Games, seine Schöpfung heißt "No Man's Sky" und ist mit Sicherheit der am meisten erwartete Videospiel-Titel der vergangenen Jahre. Größer, gewaltiger, unvorstellbarer war noch kein Spiel zuvor.

Elon Musk hält die ganze Welt für eine Computersimulation

Im Silicon Valley, in den Köpfen von Visionären wie Elon Musk oder Ray Kurzweil, kursiert seit einiger Zeit ein Gedankenkonstrukt, das viel zu abgefahren ist, als dass man es Theorie nennen könnte. Im Prinzip besagt es, dass unsere Welt, nein, das gesamte Universum, überhaupt nicht real ist. Sondern nur Teil einer Computersimulation einer unvorstellbar weit entwickelten Zivilisation.

Das Argument geht so: Betrachtet man die exponentielle Entwicklung von Videospielen in den vergangenen 40 Jahren - vom pixeligen "Pong" hin zu fotorealistischen Computerwelten, in denen Millionen Menschen zur gleichen Zeit aktiv sein können - und rechnet die bereits jetzt schon beinahe lebensechte virtuelle Realität mit ein, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis ein Medium entwickelt werden wird, das von der Realität nicht mehr zu unterscheiden ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir tatsächlich in der "base reality", also der realen Realität, leben, beträgt nach Ansicht von Elon Musk lediglich eins zu einer Milliarde.

Hinter No Man's Sky steckt komplexe Mathematik

Man kann von diesem Gedanken halten, was man will, jedenfalls ist "No Man's Sky" bis dato mit Sicherheit die am weitesten fortgeschrittene Annäherung an ein komplett simuliertes Universum. Wenn man im Spiel zum Himmel blickt, funkeln die Sterne. Ganz so wie in der vermeintlich echten Welt. Nur, dass man hier jeden einzelnen von ihnen besuchen kann. Möglich wird die unvorstellbare Größe durch eine Technik namens Procedural Generation. Das bedeutet, dass die Umwelt nicht von menschlichen Designern entworfen worden ist, sondern von einem Algorithmus.

Grob gesagt werden dabei zufällig generierte Zahlen in ein System aus Formeln geschleust, die bestimmen, wie sich die Spielumgebung verhalten wird. Sie bestimmen die Beschaffenheit von Flora, Fauna, von Geologie und Atmosphäre. Nicht Aminosäuren und Proteine bilden den Grundstein der Evolution in "No Man's Sky". Sondern Mathematik. Die Entwicklung ist aber nicht purem Zufall unterworfen - auf einem Sumpfplaneten wird die Tierwelt mit ziemlicher Sicherheit amphibisch sein -, und sie wiederholt sich dank einer exponentiell großen Anzahl an Wahlmöglichkeiten auch nach dem x-ten Planeten nicht.

Selbst wenn sie es wollten, die Entwickler könnten nicht vorhersagen, was die Spieler genau erwartet. Wird der nächste Planet, den man besucht, ein Felsbrocken mit erdrückender Schwerkraft sein? Ein radioaktives Fegefeuer? Oder doch ein einladendes Gartenparadies? Man muss es selbst herausfinden. Während der Entwicklung von "No Man's Sky" programmierte der Artdirector virtuelle Fotosonden. Sie wurden in den digitalen Kosmos hinausgeschickt, flogen Planeten an, nahmen Kurzvideos auf und schickten sie an die Entwickler zurück. Die mussten schließlich wissen, was die Formeln mit dem Aussehen der Umwelt anstellen und ob ihre Kreationen halbwegs glaubwürdig sind.

Der Weltraum, unendliche Weiten

"No Man's Sky" ist, wenn man so will, ein Computerspiel, das sich hauptsächlich selbst programmiert hat. Die Generierung des Kosmos passiert dabei in Echtzeit. Außerdem sorgt die prozedurale Technologie dafür, dass das Spiel mit ein paar Tausend Zeilen Programmcode auskommt - ein Bruchteil dessen, was jedes noch so banale Mini-Spiel auf dem Smartphone benötigt.

Was stellt man also an in dieser digitalen Unendlichkeit? Mehr oder weniger das, was die Menschen schon immer gemacht haben. Nämlich sich die Erde, pardon die Galaxie, Untertan. Virtuelle Ressourcen abbauen, Felsen schmelzen, Flora und Fauna kartieren, die Welt nach ihrem Willen formen. Vielleicht ein Zeichen setzen, indem man gerade erkundete Himmelskörper und Spezies nach geliebten Menschen benennt, auf dass sie in einer galaktischen Datenbank auf ewig gespeichert sind; in der Hoffnung, dass sie irgendwann von einem anderen Spieler betreten werden.

Sehr wahrscheinlich ist das freilich nicht. Selbst wenn man pro Sekunde einen neuen Planeten besuchen würde, so rechnet Sean Murray stolz vor, würde man ein paar Milliarden Jahre brauchen, um das gesamte Spiel zu durchmessen.

Friedlich, farbenfroh und kein bisschen Endzeitstimmung

Es ist eine friedliche, farbenfrohe Version des Universums, die der Spieler erkundet. Sie unterscheidet sich dramatisch von der Szenerie, die man üblicherweise in Computerspielen präsentiert bekommt. Wo man sonst meist auf matschbraune Endzeitatmosphäre trifft, erinnert "No Man's Sky" eher an die Cover von Science-Fiction-Romanen aus den Siebzigerjahren.

Damals bebilderten Illustratoren wie Chris Foss die Romane von Isaac Asimov, Arthur C. Clarke oder Frank Herbert und evozierten beim - zumeist - jungen Publikum eine Sehnsucht nach der Weite des Alls. Ganz so auch im Videospiel: Geheimnisvolle Obelisken und andere Alien-Artefakte ragen empor. Behäbige Dinosaurierkreaturen zermalmen violettes Steppengras zwischen ihren Kiefern. Ein riesiger marmorierter Mond steht über dem Horizont, biolumineszente Kristallhöhlen laden ein, sich in ihnen zu verirren.

Im akademischen Diskurs über Videospiele, der sogenannten Ludologie, unterscheidet man gerne zwischen regelgeleitetem (game) und freiem Spiel (play). "No Man's Sky" fällt definitiv in letztere Kategorie, denn es ähnelt eher kindlichen Improvisationsexperimenten als einem strengen Wettkampf. Das digitale Universum ist ein riesengroßer Sandkasten.

"Was soll das?", fragen frustrierte Spieler

Kein Wunder also, dass seit der Veröffentlichung nicht wenige Spieler ihrer Enttäuschung im Netz Ausdruck verleihen: "Was soll das?", lautet der Tenor. Was, so fragen sie, sei der Sinn darin, einen Planeten zu erkunden, zu dem man wohl nie mehr zurückkehren und den wohl nie ein anderer Spieler entdecken wird? Angesichts der endlosen Weiten scheinen die eigenen Handlungen bedeutungslos. Unerhört im sonst so deterministischen Medium Computerspiel.

So ist man auf sich selbst zurückgeworfen. Es gibt keine Missionen, keine Bösewichte zu bekämpfen, keine Trophäen oder hyperkompetitive Multiplayer-Arenen, in denen die Spieler sich ihrer eigenen Fähigkeiten versichern können. Ja, es gibt nicht einmal ein Narrativ, das erklärt, warum man hier ist und was man tun soll, außer eben die eigene Existenz zu sichern.

Was also ist "No Man's Sky"? Vielleicht nicht das beste Videospiel aller Zeiten, dafür aber nicht mehr und nicht weniger als eine clevere Technikparabel auf den Kosmos an sich. Sean Murray hat ein gesamtes Universum geschaffen, bestehend aus Einsen und Nullen, gepresst auf eine Silberscheibe. Den Sinn darin muss jeder für sich selbst entdecken.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: