Süddeutsche Zeitung

Neues Portal von Ex-Wikileaks-Mitarbeitern:So funktioniert Openleaks

In dieser Woche starten ehemalige Wikileaks-Mitarbeiter mit Openleaks eine eigene Enthüllungsplattform. Mitgründer Herbert Snorrason erklärt die Ziele des Portals und die Unterschiede zur bekannten Whistleblower-Seite.

Janek Schmidt

Die Enthüllungsplattform Wikileaks befindet sich in einer schwierigen Phase. In der vergangenen Woche stellte sich ihr Chef Julian Assange, 39, der britischen Polizei. Assange wird in Schweden vorgeworfen, zwei Frauen sexuell belästigt und vergewaltigt zu haben.

Zugleich stellten mehrere Finanzdienstleister - Visa, Mastercard, Paypal - ihre Zusammenarbeit mit Wikileaks ein und machen es der Organisation schwer, Spenden einzusammeln. Wikileaks-Anhänger reagierten mit Hacker-Angriffen auf die Portale von Finanzunternehmen. Welche Zukunft aber hat Wikileaks, sollte sich das Spendenaufkommen verringern und Assange möglicherweise für längere Zeit inhaftiert oder sogar in die USA ausgewiesen werde?

Assange hatte zuletzt auch intern große Probleme. Viele enge Mitstreiter warfen ihm vor, selbstherrlich zu führen und Wikileaks als sein privates Vermögen zu betrachten. Frühere Vertraute wie der deutsche Wikileaks-Sprecher Daniel Domscheit-Berg, 32, oder der Verwalter eines gesicherten internen Chat-Rooms, Herbert Snorrason, verließen die Gruppe und gründeten jetzt eine alternative Organisation, Openleaks. Openleaks startet in dieser Woche.

Der 25-jährige Isländer Snorrason ist wie Domscheit-Berg Sprecher von Openleaks. Snorrason hat ein Bachelor in Geschichte und studierte Internationale Beziehungen in Reykjavik. Mit Openleaks will Snorrason nicht weniger, als "die Welt ein bisschen besser" machen.

SZ: Herr Snorrason, in dieser Woche startet Openleaks. Wie oft haben Sie in den zurückliegenden Tagen geschlafen?

Herbert Snorrason: Am schlimmsten ist es für unsere Programmierer. Auch bei mir gab es Nächte, in denen ich kein Auge zugemacht habe.

SZ: Fürchten Sie wie Julian Assange, dass Ihnen Geheimagenten nachstellen?

Snorrason: Der isländische Geheimdienst besteht nur aus drei Leuten, es ist eine Unterabteilung der Polizei. Und die USA haben derzeit keinen Grund, mir nachzustellen. Also sind meine Sorgen nicht so groß. Außerdem treffen wir gute Vorkehrungen.

SZ: Welche?

Snorrason: Es gibt Regeln: Heikle Pläne bespricht man nicht über Telefon oder in einer E-Mail, das lässt sich zu schwer verschlüsseln. Stattdessen haben wir einen verschlüsselten Internet-Chat, der kann nicht überwacht werden.

SZ: Seit wann nutzen Sie solche Codes für die Kommunikation?

Snorrason: Seit ein paar Jahren. Bis zu meinem Ausstieg im September haben wir sie bei Wikileaks oft benutzt.

SZ: Warum sind Sie bei Wikileaks ausgestiegen?

Snorrason: Ich hatte Julian Assange, unter anderem vorgeworfen, dass er zu viel allein entscheidet. Er hat mir geantwortet: "Verpiss dich, wenn du ein Problem mit mir hast!" Mir wurde klar, bei Wikileaks wird es keine Strukturreform geben und bin gegangen.

SZ: Und haben gleich eine neue Organisation gegründet.

Snorrason: Es sind ja mehrere von uns ausgestiegen, auch Daniel Domscheit-Berg, der frühere Wikileaks-Sprecher in Deutschland. Wir glauben alle an die Idee, dass Informationen öffentlich gemacht werden sollen, weil das zu einer transparenteren Regierungsarbeit und somit zu einer besseren Gesellschaft führt. Nur sollen bei Openleaks einige Dinge anders laufen als bei Wikileaks.

SZ: Was soll anders laufen?

Snorrason: Der wichtigste Unterschied ist, dass wir selbst nichts veröffentlichen, nicht einmal Dokumente empfangen. Wir bauen nur ein sicheres Computer-Netzwerk, eine Art elektronischer Briefkasten. In den kann jeder brisante Dokumente werfen und selbst bestimmen, wer die Papiere bekommen soll.

SZ: Wo steht der Briefkasten?

Snorrason: Auf den Internetseiten der Organisationen, mit denen wir zusammenarbeiten. Eine Zeitung kann so ein Partner sein: Auf der Homepage des Blattes wird ein Knopf abgebildet. Wenn man auf den Knopf klickt, bekommt man Anweisungen, um seine Dokumente direkt an diese Zeitung zu schicken.

SZ: Man könnte der Redaktion auch gleich eine E-Mail schicken?

Snorrason: Der Absender einer E-Mail lässt sich leicht zurückverfolgen. Das heißt, wer geheime Dokumente in einer E-Mail verbreitet, kann schnell enttarnt werden.

SZ: Ihr System ist sicher?

Snorrason: Ja. Es basiert auf einem großen Netzwerk mit Servern in etwa zehn Ländern. Das Netz bauen wir weiter aus. Je mehr Knotenpunkte darin sind, desto weiter kann man Informationen verstreuen, und desto schwieriger ist es, von außen nachzuvollziehen, was das Netzwerk gerade macht und woher bestimmte Dokumente stammen.

SZ: Wie viel kostet Openleaks?

Snorrason: Im ersten Jahr wahrscheinlich schon mehr als 100.000 Euro, wenn das Netzwerk wächst, wird es teurer.

SZ: Verdienen Sie damit Geld?

Snorrason: Erst einmal nicht, aber wir hoffen, dass unsere Einnahmen auf lange Sicht auch für Gehälter der Mitarbeiter reichen. Die wären aber nicht hoch, und wir würden sie öffentlich machen.

SZ: Ihr Geschäftsmodell ist wie bei Wikileaks die Spende?

Snorrason: Ja, Spenden und Beiträge, der Organisationen, mit denen wir zusammenarbeiten.

SZ: Was muss ein Kooperationspartner bezahlen?

Snorrason: Zwischen 200 und 500 Euro im Monat, je nachdem, wie groß und finanzkräftig er ist.

SZ: Welche Organisationen können sich mit Ihnen verbinden?

Snorrason: Jede: Zeitungen, Menschenrechtsgruppen, Gewerkschaften, aber auch Regierungen.

SZ: Regierungen?

Snorrason: Beamte könnten innerhalb ihrer Behörde Papiere hochladen, um auf Missstände aufmerksam zu machen. In unserer Alpha-Testphase bis April haben wir die Teilnehmer aber auf höchstens fünf Organisationen beschränkt, zu denen wir schon enge Kontakte pflegten. Danach wollen wir ein Netz aus einigen Dutzend Partnern aufbauen, aus möglichst vielen verschiedenen Ländern und Branchen. Informationen, die vielleicht auch nur auf lokaler Ebene für die Öffentlichkeit wichtig sind, sollen bekannt werden. So wollen wir dazu beitragen, dass sich unsere Welt verbessert.

Ergänzung am 16.12.: Openleaks weist darauf hin, dass Partner-Organisationen ihre Beiträge nicht in bar, sondern in Form von Rechenleistung auf Servern bereitstellen. Damit wird das Netzwerk im Interesse aller Partner leistungsfähiger, und es erleichtert eine Mischkalkulation von Openleaks, die es später auch kleineren Organisationen ermöglicht, sich ohne jegliche Beiträge an dem Projekt zu beteiligen. Demnach geht es Openleaks auch nicht darum, mit ihrem Modell möglichst viel Geld zu verdienen.

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Quelle:
SZ vom 13.12.2010/joku
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