Neues Computerspiel von Blizzard:Melodien für Milliarden

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Orks und andere Fantasy-Gestalten in dem Klassiker "World of Warcraft". (Foto: Blizzard)

Der Videospiel-Hersteller Blizzard wagt sich nach "World of Warcraft" an ein neues Game: "Overwatch". Die Protagonisten sehen aus, als wären sie einem Animationsfilm wie "Toy Story" entnommen, tragen jedoch gefährliche Waffen. Ein Ballerspiel für die ganze Familie.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es gibt diese wunderbare Vorstellung, dass John Lennon, Michael Jackson, Elvis Presley und Frank Sinatra da oben im Himmel auf einer Wolke sitzen und gemeinsam an einem Lied basteln. Geradezu ungehörig ist der Gedanke, dass dieser Song derart schrecklich sein könnte, dass sich die Engel die Ohren zuhalten. Dabei wäre das durchaus möglich, schließlich ergeben vier hochgradig begabte Künstler noch keine brauchbare Kapelle.

Ähnlich erging es zuletzt dem Videospiel-Hersteller Blizzard, der das laut Vizepräsident Chris Metzen "ambitionierteste Spiel aller Zeiten" erschaffen wollte: "Es waren fast sechs Computerspiele in einem." Nur: Es funktionierte nicht, das "Projekt Titan" wurde im September nach sieben Jahren Entwicklungszeit eingestellt. "Es war, als hätten wir ein Lied komponieren wollen, deren einzelne Melodien grandios klingen - aber die Harmonie einfach nicht stimmt", sagt Metzen. Für die Entwickler von Blizzard ist dies ungewöhnlich, schließlich gelten ihre Produkte mit zu den besten Spielen, die die Branche in den vergangenen 20 Jahren hervorgebracht hat.

Die Verantwortlichen waren nun dennoch bestens gelaunt auf der Blizzcon im kalifornischen Anaheim. Die hauseigene Messe ist eine Mischung aus Comic-Con und Keynote von Apple: Die Fans der Produkte "Warcraft", "Diablo" und "Starcraft" erscheinen in liebevoll gestalteten Kostümen, sie unterhalten sich über die Phantasiewelten, zudem trat die Rockband Metallica auf. Vor allem aber geht es um die Frage: Welche Neuigkeiten gibt es, was könnte das nächste große Ding der Videospiel-Industrie sein?

Tatsächlich präsentierte Blizzard zum ersten Mal seit 17 Jahren ein ganz neues Spiel, bei dem es sich nicht nur um eine Fortsetzung oder Variation handelt: "Overwatch" heißt das Projekt, das im kommenden Jahr spielbar sein soll. Es ist ein futuristischer Shooter, bei dem Superhelden-Teams in verschiedenen Arenen gegeneinander antreten. Die Protagonisten sehen aus, als wären sie einem Animationsfilm wie "The Incredibles" oder "Toy Story" entnommen, sie tragen jedoch gefährliche Waffen. Ein Ballerspiel für die ganze Familie sozusagen, und nicht wenige fragen sich: Was soll das denn? Ein Comic-Shooter von Blizzard - das ist, als würde Elvis bei Metallica anheuern.

"Es war schon immer die Stärke von Blizzard, jene Projekte auszuführen, von denen die Entwickler begeistert sind in der Hoffnung, dass daraus etwas Cooles entsteht", sagt Designer Jeff Kaplan im Gespräch mit der SZ. Er weiß, wovon er spricht: Er war maßgeblich an der Entwicklung von "World Of Warcraft" beteiligt, bei dem vor der Veröffentlichung vor zehn Jahren ebenfalls viele Fans fragten: Was soll das denn? Das Online-Rollenspiel im Universum der Strategiespiel-Reihe namens "Warcraft" gilt als eines der erfolgreichsten Videospiele in der Geschichte und hat nicht nur die Branche entscheidend geprägt, sondern gilt auch als revolutionär für die gesellschaftliche Relevanz von Computerspielen.

Es gab mit Titeln wie "Everquest" oder "Anarchy Online" zwar schon davor vergleichbare Spiele, doch sie erreichten gemeinsam nicht einmal ein Zehntel der zwischenzeitlich zwölf Millionen zahlenden Abonnenten von Blizzards Erfolgsprodukt. "Wir hatten wenig Erfahrung, doch das hat uns erlaubt, Dinge zu versuchen, die inakzeptabel in diesem Genre galten", sagt Kaplan: "Es war knifflig und manchmal auch furchterregend, doch in gewisser Weise hat unsere Unschuld dazu geführt, dass wir "World of Warcraft" so gemacht haben, wie es nun ist."

Superhelden wie aus einem Animationsfilm im neuen Computerspiel "Overwatch": Spielehersteller Blizzard will möglichst viele Zielgruppen ansprechen. (Foto: Blizzard)

Natürlich braucht Blizzard ein neues Konzept, eine neue Idee - in diesem Punkt unterscheidet sich das Unternehmen kaum von Apple. Kürzlich vermeldete der Mutterkonzern Activision Blizzard einen Anstieg der Quartalseinnahmen auf 753 Millionen US-Dollar. Verantwortlich dafür waren Blizzard-Klassiker wie "Diablo" oder "Warcraft", aber eben auch die neue Entwicklung der Sparte Activision: "Destiny", ein Online-Shooter, spielte bereits am ersten Verkaufstag Anfang September dreistellige Millionenbeträge ein, mittlerweile gibt es 9,5 Millionen registrierte Spieler. Dazu präsentierte Activision eine Fortsetzung der "Call of Duty"-Reihe mit Kevin Spacey als Protagonist, von der es heißt, dass die Einnahmen daraus bei mehr als einer Milliarde Dollar liegen dürften. Melodien für Milliarden - das ist der Maßstab, in dem die Verantwortlichen der Videospielbranche mittlerweile denken.

"Overwatch" spielt in einem Genre, das sich für gewöhnlich hauptsächlich an die Hardcore-Zocker richtet. Blizzards große Qualität ist es aber, Spielkonzepte so intuitiv umzusetzen, dass sie auch Gelegenheitsspieler begeistern. "Wir konzentrieren uns derzeit auf das Gameplay und weniger auf die Geschichte", sagt Kaplan. Sechs Superhelden treten in verschiedenen Arenen gegen sechs Superhelden an - doch warum? Gibt es einen Bösewicht, einen Grund für all diese Kämpfe, eine Einbettung in eine bedeutsame Handlung?

Das Projekt "Titan" ist gestorben, weil das Konzept nicht funktioniert hat

Kaplan versichert zwar, dass es eine übergeordnete Geschichte geben wird. Die vagen Andeutungen jedoch lassen den Schluss zu, dass "Overwatch" weniger eine eigenständige Idee war, sondern vielmehr aus den Trümmern von "Titan" entstanden ist. Schließlich hat das Unternehmen Branchenexperten zufolge etwa 100 Millionen Dollar in dessen Entwicklung gesteckt. Zu viel, um nicht wenigstens ein paar Ideen daraus für andere Projekte zu übernehmen. Oder womöglich ein komplett neues Spiel daraus zu entwickeln.

Sie haben das gewaltige Projekt "Titan" sterben lassen, weil das Zusammenspiel der einzelnen Faktoren nicht funktionierte. Das ist nach einer derart langen Entwicklungszeit eine mutige Entscheidung von Blizzard - und es ist keineswegs verwerflich, aus einer unstimmigen Komposition nur einen einfacheren, einprägsamen Song zu kreieren. Den Fans in Anaheim jedenfalls schien diese erste Version zu gefallen. Die Besucher saßen derart andächtig vor den rund 600 "Overwatch"-Teststationen, als hätte John Lennon ein neues Lied vom Himmel geschickt.

© SZ vom 14.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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