Süddeutsche Zeitung

Neues Betriebssystem:Was Windows jetzt können muss

Was muss das neue Microsoft-Betriebssystem haben, damit es bei den Nutzern besser ankommt als das kachelige Windows 8? Der Pforzheimer Design-Professor Wolfgang Henseler über gutes Design, mentale Trampelpfade und die Vorteile von Apple.

Von Mirjam Hauck

Microsoft steht im Ruf, keine schönen, aber immerhin praktische Produkte zu machen. Mit Windows 8 wagte das Unternehmen einen radikalen Umbau beim Design. Doch Schönheit reicht auch nicht. Die Nutzer müssen die attraktive Oberfläche auch verstehen.

SZ: Microsoft hat die grafische Benutzeroberfläche mit vielen Icons und Fenstern nicht erfunden, aber mit Windows populär gemacht. Was ist das Erfolgsgeheimnis dieses Designs?

Wolfgang Henseler: Grafische Benutzeroberflächen sind einfacher zu bedienen als Befehlsoberflächen á la MS-DOS, bei denen ein Computernutzer die Befehle wenig natürlich per Hand in eine Kommandozeile eintippen musste. Die Fenster waren ein Fortschritt, weil die Bedienung des Computers wesentlich benutzungsfreundlicher wurde.

Mit Windows 8 hat MS auf eine flache Kacheloptik umgestellt. Damit kamen viele Nutzer nicht zurecht. Welche Fehler hat Microsoft gemacht?

Die moderne Kacheloptik von Windows 8 ist grundsätzlich ein Weg in die richtige Richtung. Die visuelle Ordnungsstruktur der Quadrate erlaubt eine schnelle und gute Wahrnehmbarkeit für die Nutzer und der formale Aufbau entspricht in seinen Ansätzen der nächsten Generation an Benutzeroberflächen, den sogenannten Natural User Interfaces - intuitiv zu bedienenden Oberflächen. Allerdings hat Microsoft bei den Details viele Usability-Fehler begangen. So zum Beispiel die 360-Grad-Drehung der Kacheln, wenn der Nutzer sie antippt. Diese Effekthascherei nervt schnell. Auch ist bei den neuen flachen Icons nicht sofort erkennbar, ob sie überhaupt angeklickt werden können.

Und dann gab es plötzlich keinen Startbutton mehr.

Ja, das ist immer dann Problem, wenn man etwas verändert, es aber dadurch nicht verbessert. Der Start-Button dient den Nutzern zur Orientierung und zur Navigation, wenn ich den einfach wegnehme, fehlt beides und es gibt Verwirrung. Besonders eklatant war das, weil genügend Nutzer bei Tests im Vorfeld darauf hingewiesen hatten und Microsoft es einfach ignoriert hat. Das wird dann am Ende des Tages auch dem Vorstand zum wirtschaftlichen Verhängnis, wie der Abgang von Steve Ballmer beweist.

Mit dem Update Windows 8.1 hat Microsoft auf die Proteste reagiert und den Startbutton wieder eingeführt. Lässt sich Nutzern kein neues Design aufzwingen?

Gute Interaktionssysteme und gutes Design funktionieren immer dann, wenn sie Spaß machen und einfach zu bedienen sind. Wenn es intuitiv ist und der Nutzer nicht darüber nachdenken muss, wie etwas funktioniert. Microsoft hat mit Windows 8 eigentlich das beste Betriebssystem, aber es gelingt dem Unternehmen einfach nicht, seine PS auf die Straße zu bringen.

Woran liegt das?

Microsoft hatte es jahrelang einfach nicht nötig, auf die Bedürfnisse der Nutzer eingehen zu müssen. Windows und die entsprechenden Office-Programme hatten sich vor allem in Unternehmen eine derartige Marktmacht aufgebaut, dass die Mitarbeiter genötigt waren, sie nutzen zu müssen. Und damit sie damit zurecht kamen, gab es eben Schulungen und dicke Handbücher. Mittlerweile bringen die Mitarbeiter aber, vom Vorstandsvorsitzenden bis zum Fließbandarbeiter, ihre eigenen smarten Geräte wie iPhones und iPads mit. Und ihre Erwartungshaltung ist, dass die Rechner im Büro genauso einfach zu bedienen sind wie die Apple-Geräte.

Konkurrent Apple hat den Ruf, schöne und einfach zu bedienende Produkte zu entwickeln. Was macht das Unternehmen besser?

Apple macht nicht so viele Fehler. So hat Apple mit der Trennung von Mac OS und iOS die Betriebssysteme für Laptops und Computer auf der einen Seite und Smartphones und Tablets auf der anderen Seite konsequent getrennt. Das funktioniert besser, weil hier das alte grafisch basierte Betriebssystem nicht mit der neuen Benutzeroberfläche vermischt wird. Bei seiner neuen Uhr geht Apple sogar noch einen elementaren Schritt weiter. Hier wird das Verhalten der Benutzeroberfläche wichtiger als deren Aussehen und damit das System noch wirkungsvoller als wir es von iPhones und iPads gewohnt sind.

Alle wollen intuitiv zu bedienende Produkte, warum klappt das nicht sofort?

Weil sie natürlich zunächst wissen müssen, ab wann etwas intuitiv zu bedienen ist. Erst wenn sie dieses Grundverständnis haben, können sie damit beginnen, intuitiv zu bedienende Produkte zu gestalten. Da müssen sie schon ein wenig über den Tellerrand hinaus schauen und vor allem anders denken. Also nicht mehr in Inhalten, sondern Diensten, nicht mehr in Nutzung, sondern in deren Wirkung, nicht mehr in Aussehen, sondern in Verhalten.

Welche Produkte können das besonders gut?

Die Apple-Produkte wie das iPhone oder iPad sind hier schon recht gut. Ihre Benutzeroberfläche ist zwar noch nicht wirklich intuitiv, aber schon sehr benutzungsfreundlich. Viele Produkte der deutschen Firma Braun zeichnen sich ebenfalls durch eine gute Bedienbarkeit aus. Apple orientiert sich heute noch an den Richtlinien des ehemaligen Braun-Chefdesigners Dieter Rams. Dass Produkte beispielsweise verständlich und unaufdringlich sein müssen. Klassisch intuitive Produkte sind Dinge wie Türklinken und Salzstreuer, also Produkte, bei denen ich nicht über deren Handhabung nachdenken muss, sondern sie direkt nutzen kann.

In Deutschland steht man Neuerungen oft skeptisch gegenüber. Das ist aber kein rein deutsches Problem oder?

Jede Veränderung bedeutet für uns Menschen, dass wir uns neu orientieren müssen. Nur wenn die Veränderung mir signifikante Vorteile bringt, werde ich sie gerne und schnell akzeptieren. Ein gutes Beispiel ist das iPhone. Zu Beginn von vielen belächelt, sogar von Steve Ballmer, weil es keine echten Tasten hatte und eher wie eine schwarze Glasscheibe als wie ein Telefon aussah. Diejenigen, die damals ihre mentalen Grenzen nicht überwinden konnten und denen es an der Vorstellung fehlte, was dieses kleine Gerät bewegen wird, lachen heute nicht mehr darüber. Es sind eben häufig die Veränderungen im Denken, die den Unterschied ausmachen.

Was muss das neue Windows können, um Erfolg zu haben?

Microsoft muss erkennen, dass die erfolgreichen Geräte von heute keine Arbeitsgeräte mehr sind, sondern längst zu reinen Lebensgeräten mit eigenem Eco-System mutiert sind. Private Kontakte, soziale Interaktionen, Tracking-Daten vom Joggen, Gesundheitsinformationen und Haussteuerung, auf all das will der Nutzer heutzutage schnell und einfach zugreifen können. Das neue Betriebssystem muss das leisten können, dem Nutzer intuitiv anzeigen, was für ihn gerade relevant ist, darum geht es.

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Quelle:
SZ vom 01.10.2014/rus
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