Süddeutsche Zeitung

Neue Zugriffsrechte für Geheimdienste:Großbritannien plant Ausweitung der Schnüffelzone

Die britische Regierung will dem Geheimdienst ermöglichen, das Kommunikationsverhalten der Bürger stärker zu überwachen: Die Behörden sollen Informationen über E-Mails, angesurfte Webseiten, Anrufe und SMS in Echtzeit erhalten - auch ohne richterliche Genehmigung.

Es könnte das bislang umfassendste Gesetz zur Internet-Überwachung werden, das ein EU-Land eingeführt hat: Wie verschiedene Medien berichten, plant die britische Regierung, die Zugriffsrechte des Geheimdienstes auf die Kommunikation der Bürger massiv auszudehnen.

Künftig müssten Internetprovider und Telekomanbieter der Regierungsbehörde Government Communications Headquarters (GCHQ) demnach in Echtzeit Zugriffe auf Kommunikationsdaten geben. Dazu gehören E-Mails, SMS, besuchte Webseiten und Telefongespräche.

Die Regelung, die angeblich in der von der Queen vorzutragenden Regierungserklärung am 9. Mai verkündet werden soll, beinhaltet allerdings offenbar nicht den Zugriff auf Inhalte von Unterhaltungen. Vielmehr soll so feststellbar sein, wer mit wem zu welchem Zeitpunkt in Kontakt steht.

"Es ist lebensnotwendig, dass Polizei und Sicherheitsdienste unter bestimmten Umständen Zugriff auf Kommunikationsdaten erhalten, um schwere Verbrechen und Fälle von Terrorismus zu untersuchen und die Öffentlichkeit zu schützen", zitiert die BBC einen Sprecher des Innenministeriums.

Datenschützer und Internet-Aktivisten kritisieren das geplante Gesetz heftig: So soll für den Zugriff selbst keine richterliche Verfügung notwendig sein. Nur wenn die Behörden auch die Inhalte einsehen wollen, brauchen sie wie bisher eine richterliche Genehmigung. Kritiker argumentieren, dass sich aber auch ohne inhaltliche Auswertung aussagekräftige Kommunikationsprofile von einzelnen Bürgern erstellen ließen.

Nick Pickles, Direktor der Aktivistengruppe Big Brother Watch, sprach in der BBC von einem "bislang beispiellosen Schritt, mit dem Großbritannien die Art von Überwachung einführt, auf die auch Iran und China zurückgreifen". Mit dem Vorstoß geht die aktuelle Regierung über die Speicherpflichten hinaus, die in der umstrittenen EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung vorgesehen sind.

Die Idee ist per se nicht neu: Bereits 2006 hatte die damalige Labour-Regierung ein ähnliches Gesetz geplant. In einer Datenbank sollten Telefonate, SMS, E-Mails und besuchte Webseiten gespeichert und für die Ermittler zugänglich gemacht werden. Schon bald rückte man nach heftigen Debatten von der Idee ab, da Internet-Provider und Mobilfunkanbieter die Machbarkeit bezweifelt und über mögliche hohe Kosten geklagt hatten.

Auch die aktuelle Initiative stößt bei den Providern auf wenig Gegenliebe. Die sogenannte "Deep-Packet-Inspection" einzuführen, die versendete Datenpakete auswertet und dabei Sender, Empfänger und Zeitpunkt der Übertragung speichert, sei technisch schwierig und würde zu kaum kalkulierbaren Ausgaben führen. Zudem gebe es "moralische und legale Fragen, ob und wie dies umgesetzt werden sollte", zitiert der Guardian einen nichtgenannten Mitarbeiter eines Internet-Providers.

Konservative und Liberale hatten noch 2006 gegen die Überwachungs-Idee der Labour-Regierung protestiert. In ihrem Koalitionsvertrag hatten die Parteien festgelegt, "unnötige Datenspeicherung zu beenden". Entsprechend desillusioniert äußern sich nun Internet-Aktivisten. "Man hat das Gefühl, das Imperium schlägt zurück, egal wen man wählt," sagt Shami Chakrabarti von der Gruppe "Liberty".

Beobachter rechnen damit, dass das Gesetz nicht ohne weiteres die parlamentarischen Hürden nimmt. Als einer der ersten Kritiker aus den eigenen Reihen meldete sich der konservative Abgeordnete David Davis zu Wort, einst Schatten-Innenminister und bekannter Kritiker der Antiterror-Gesetze der damaligen Labour-Regierung. "Das Gesetz betrifft nicht Kriminelle oder Terroristen, es betrifft alle Bürger", erklärte er. "Wir brauchen es nicht, um uns zu schützen. Es erweitert unnötigerweise die Möglichkeit des Staates, normale, unschuldige Menschen in großer Zahl auszuschnüffeln. Der Staat sollte diese Möglichkeit einfach nicht haben".

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