Neue Unternehmenspolitik:Twitter schockt Nutzer mit Zensur-Ankündigung

Ist dies das Ende der Twitter-Revolution? Der Web-Dienst hat angekündigt, Mitteilungen in einzelnen Ländern auszublenden, wenn diese dortige Gesetze verletzen. Die Nutzer sind empört - doch es gibt Möglichkeiten, die Zensur zu umgehen.

Kilian Haller und Johannes Kuhn

"Die Tweets müssen weiter fließen" - so titelt Twitter einen Blogbeitrag zur Änderung seiner Unternehmenspolitik. Klingt gut, der Inhalt ist es aber weniger: Der Mikrobloggingdienst kündigt an, sich künftig der Selbstzensur auszusetzen.

Neue Unternehmenspolitik: Der Mikroblogging-Dienst Twitter will künftig bestimmte Botschaften in einzelnen Ländern ausblenden. Allerdings ist unklar, wo Twitter die Grenze ziehen möchte.

Der Mikroblogging-Dienst Twitter will künftig bestimmte Botschaften in einzelnen Ländern ausblenden. Allerdings ist unklar, wo Twitter die Grenze ziehen möchte. 

(Foto: AP)

Konkret will Twitter einzelne Tweets in bestimmten Ländern ausblenden, wenn diese dort gegen das Gesetz verstoßen. Als Beispiel nennt das Unternehmen Deutschland und Frankreich, in denen die Holocaust-Leugnung unter Strafe steht. Leugnet ein US-Amerikaner den Holocaust in einem Tweet, wird dieser künftig für Nutzer in Frankreich und Deutschland ausgeblendet, anderswo aber noch zu sehen sein.

Allerdings ist unklar, wo Twitter die Grenze ziehen möchte. Da der Mikrobloggingdienst gerade für die Revolution im arabischen Raum eine große Rolle spielte, befürchten viele Nutzer Schlimmes: Was, wenn nun ein autoritäres Regime Twitter zwar zulässt, aber regierungskritische Äußerungen blockieren lässt? "Eine Twitter-Revolution wird es nicht mehr geben", prognostiziert Jannis Kucharz vom Netzfeuilleton deshalb düster.

"Das ist Zensur, da gibt es keine Ausrede"

Auch auf Twitter kritisieren die Nutzer den Schritt heftig, das Hashtag #TwitterCensored tauchte zeitweise in der Liste mit den beliebtesten Themen auf. Viele drohen, dem Kurznachrichtendienst den Rücken zu kehren, wie Abdul Rahman: "Okay Twitter. Ihr fangt an, uns zu zensieren, und wir gehen einfach zu einem anderen Dienst. So einfach ist das."

"Das ist Zensur, da gibt es keine Ausrede", schreibt auch Jillian C. York von der Internet-Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation in einem Blogeintrag, schränkt aber ein: "Twitter steht eben nicht über dem Gesetz."

Auch Suchmaschinen-Betreiber wie Google müssen beispielsweise in Deutschland Links auf bestimmte rechtsradikale Seiten aus dem Index nehmen. Twitter hat jüngst angekündigt, zu expandieren - und könnte mit den Filtern Büros und Mitarbeiter im Ausland vor rechtlichen Konsequenzen schützen, aber auch Komplett-Blockaden des Dienstes in bestimmten Ländern verhindern. Das Unternehmen hat angekündigt, transparent mit den zensierten Botschaften umzugehen und diese auf der Seite Chillingeffects.org zu veröffentlichen. Auch bei Anfragen von Behörden, Daten von Nutzern herauszugeben, hatte das Unternehmen in der Vergangenheit transparenter als andere US-Firmen agiert.

Ob Twitter mit der Zensurmöglichkeit auch den Weg für einen Einstieg in den chinesischen Markt vorbereitet, ist unklar. Dort florieren die Weibos genannten Mikroblogging-Dienste und haben inzwischen mehr als 300 Millionen Nutzer, während Twitter selbst geblockt ist.

Tür nach China? Oder Hintertür für Nutzer?

Im Blogeintrag ist von einigen Ländern die Rede, "deren Vorstellung so unterschiedlich ist, dass wir dort nicht existierten können". Twitter-Gründer Jack Dorsey erklärte vor einigen Tagen in einem Gespräch mit Süddeutsche.de, das Unternehmen sei in Kontakt mit den chinesischen Behörden, sehe aber im Moment die Regierung am Zug, die Blockade aufzuheben.

Dennoch wirft der neue Schritt viele Fragen auf, Forbes-Autor Mark Gibbs nennt ihn sogar einen "epischen Fehler". Er weist darauf hin, dass Twitter-Botschaften kontextgebunden oder ironisch konnotiert - und deshalb schwer zu bewerten seien. Zudem verbreiten sich die Tweets oft in rasender Geschwindigkeit: Die Löschung einer Originalnachricht dürfte nicht verhindern können, dass Retweets oder zumindest modifizierte Retweets noch zu sehen sind. Einer Studie aus dem Jahr 2009 zufolge (Seite 9 des pdf-Dokuments) findet ein Drittel aller Retweets bereits innerhalb zehn Minuten nach Veröffentlichung des Originals statt.

Das Internetportal The Next Web rät seinen Nutzern, im Falle von zensierten Tweets oder Themen künftig in den persönlichen Einstellungen einfach ein anderes Land oder "weltweit" zu wählen. Da Twitter die Blockierung nicht über die IP-Adresse, sondern über die Angabe des Standorts im Profil vornimmt, bleibt den Nutzern so eine Hintertür offen.

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