Digitale Kartografie:Die totale Vermessung der Welt hat begonnen

Labyrinth

Sind Menschen im Labyrinth, wie kommt man am schnellsten raus - Fragen wie diese können Computer inzwischen durch Bildanalysen beantworten.

(Foto: Patrick Pleul/dpa)
  • Ein Münchener Start-up will Computern anhand von Satellitenbildern das selbstständige Erkennen von Gegenständen und Lebewesen beibringen.
  • Kunden nutzen das System bereits, um die städtische Infrastruktur genau zu verorten.
  • Die Technik soll große Teile der traditionellen Kartografie ersetzen.

Von Sophie Burfeind

Manuela Rasthofer beugt sich über ihren Laptop und öffnet ein Luftbild der Stadt Regensburg. Sie gibt ein, was der Computer erkennen soll. Auf welchen Dächern sind Glasfenster? Wo Solarzellen? Wie breit ist die Straße in der Kirchgasse? Wo stehen Straßenschilder? Der Computer markiert all das mit roten Quadraten.

Ein Mensch, der vor einem Baum steht, erkennt, dass er vor einem Baum steht. Er erkennt auch, was ihm die grünen und blauen Flecken einer Landkarte sagen wollen. Maschinen konnten das lange nicht. Doch das ändert sich. Vor eineinhalb Jahren hat Rasthofer das Start-up Terraloupe in München gegründet. Mithilfe ihrer Technologie, die auf künstliche Intelligenz setzt, analysieren Computer Geo-Bilder.

Computer sollen lernen, Gegenstände zu erkennen - wie Kinder

Ein Spätnachmittag in Schwabing, Rasthofer, 34, sitzt an einem dunklen Küchentisch und erzählt von den Umwegen, über die sie zu dem Thema gekommen ist. Erst studiert sie Elektrotechnik in München, dann arbeitet sie für ein Rüstungsunternehmen, kümmert sich um die Erstellung virtueller Welten für Simulationen. "Es gibt genügend Bilder von der Außenwelt, aber das Problem war, dass die Maschine nicht erkannt hat, was auf ihnen zu sehen ist." Weil es in der Natur nie gleich aussieht, konnten Algorithmen mit Karten wie Google Maps nichts anfangen.

Rasthofer denkt, dass es doch nicht so schwer sein kann, eine Technik zu entwickeln, mit der ein System dazu in der Lage ist. Sie kündigt, ein paar Monate später gründet sie das Start-up.

Das Konzept kann man sich so vorstellen: Terraloupe arbeitet mit hochaufgelösten Luftbildaufnahmen von Flugzeugen, die es vom ganzen Land gibt. "Seit 30 Jahren wird Deutschland regelmäßig von Vermessungsämtern überflogen", sagt Rasthofer, von fast allen Großstädten gebe es detaillierte Aufnahmen. Sie verwendet Luftbilder, weil sie eine höhere Auflösung haben als Satellitenbilder. Auf ihnen erkennt man auch Straßenschilder und kleine Details an Gebäuden.

Die Bilder lassen Programmierer dann über ein künstliches neuronales Netz laufen, je nachdem, was der Computer erkennen soll. "Die funktionieren so, wie wir es als Kinder gelernt haben", erklärt Rasthofer. "Wir zeigen dem Computer anhand von Tausenden von Beispielen, was eine Kuh ist. Der Computer muss so oft neue Kühe sehen und erkennen, bis er alle Varianten erkennt."

Das System merkt, wo in der Stadt welche Infrastruktur steht

Noch soll der Computer allerdings keine Tiere erkennen, sondern alles, was mit Straßen und der Stadt zusammenhängt. Dinge wie Glasfenster, Solarzellen, Straßenschilder oder Satellitenschüsseln. Was genau, das geben die Kunden in Auftrag. "Sie kommen im Moment vor allem aus dem Bereich autonomes Fahren und Versicherungen", sagt Rasthofer. Denn: Ein selbstfahrendes Auto muss auf die Umwelt um sich herum reagieren können, für eine Versicherung ist es interessant zu wissen, wie viele Wintergärten es im Falle eines Hagelschadens in einer Stadt gibt. Oder um zu überprüfen, ob die Angaben, die ihre Versicherten zu Wintergärten gemacht haben, überhaupt stimmen.

Auch die Bahn wollte kürzlich wissen, wo sie überall Gleise und Masten stehen hat, sagt Rasthofer. "Das Problem ist, dass sie diese Informationen nur in Papierform besitzt. Eine zusammenhängende digitale Information fehlt." Verwendet wird die Technik auch für den Breitbandausbau - so kann vorab ermittelt werden, wo Stromkästen stehen. An interessierten Unternehmen, sagt Rasthofer, mangele es nicht.

Die traditionelle Kartografie hat ausgedient

Im Gegenteil, Unternehmen wie das Münchner Start-up Terraloupe sind derzeit so gefragt wie nie, denn die Digitalisierung des Planeten hat längst begonnen. Und sie findet natürlich nicht nur in München statt: Einer Studie des Europäischen Instituts für Weltraumpolitik zufolge gibt es momentan an die 450 Unternehmen in 35 Staaten, die meisten in Europa, die mit Erdbeobachtungssatelliten arbeiten.

In Deutschland gibt es Start-ups, die Bauvorhaben mit Satellitenbildern analysieren und sortieren, Baumbestände oder Gewässer beobachten, in den USA werden Schädlinge im Getreide per Drohnen erkannt. Befördert wird diese Entwicklung außerdem dadurch, dass neben der wachsenden Zahl an Satelliten im All in den USA immer mehr Unternehmen entstehen, die eigene Flugkörper entwickeln. Das Unternehmen Planet Labs beispielsweise hat langfristig das Ziel, die Erde einmal täglich komplett zu scannen.

Bei der Digitalisierung des Planeten geht es um Big Data, auch bei Terraloupe. "Allein wenn wir eine mittelgroße Stadt nehmen wie Regensburg, haben wir schon drei Terabyte an Daten", sagt Rasthofer weiter. Bis vor einigen Jahren wäre der Umgang mit solchen Datenmengen gar nicht möglich gewesen. Terraloupe anonymisiert die Daten. Auf den Bildern, die es den Unternehmen zur Verfügung stellt, sieht man weder Menschen noch Autos. Rasthofer sagt, dass sie ihre Technologie langfristig auch im sozialen Bereich verwenden will - für Tier- und Pflanzenschutz, oder um die Situation von Flüchtlingscamps zu erfassen.

Schon jetzt aber zeigt das Start-up aus München eines: wie sehr sich Branchen durch die Digitalisierung verändern. Vor gar nicht allzu langer Zeit zeichnete sich die Kartografie noch dadurch aus, dass die komplexe Umwelt so abstrakt und reduziert wie möglich dargestellt wurde. Jetzt geschieht genau das Gegenteil - es geht um riesige Datenmengen und um das Detail.

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