Süddeutsche Zeitung

Neue Netzpolitik für Deutschland:Der Staat muss gläsern werden

Die Bürger dürfen im Internet nicht mehr gläsern sein. Der Staat dagegen muss es werden: Die Politik muss auf die Nerds zugehen - und sollte jetzt beim Kongress des Chaos Computer Clubs genau zuhören. Eine Skizze für eine moderne deutsche Netzpolitik.

Ein Kommentar von Johannes Boie

Die neue Regierung muss eine Regierung sein, die das Internet ernst nimmt. Wenn sie klug ist, nützt sie das Netz zur Erklärung ihrer Politik. In jedem Fall aber muss sie die vielen Missstände bekämpfen, die das Netz verlangsamen und sein Wachstum derzeit behindern, gerade in Deutschland.

Der Aufgabenberg fängt mit dem dauer- und massenhaften Abhören und Ausspionieren deutscher Bürger durch ausländische und wohl auch deutsche Geheimdienste an. Bei diesem Thema liegt besonders viel im Argen. Die Deutschen sind weder beim Online-Einkauf noch beim profanen E-Mailen vor den neugierigen Blicken der Agenten geschützt.

Es mangelt darüber hinaus an Aufklärung darüber, wie wertvoll Daten in der digitalen Welt sind, wo sie überall hinterlassen werden und wie man sich davor schützen kann, zu viele Geheimnisse der eigenen Person preiszugeben. Diese Probleme sollten im Schulunterricht zum Thema werden.

Und es mangelt außerdem an klaren Regeln für die Behörden, die im Netz zwar gegen Verdächtige ermitteln, aber nicht Unschuldige überwachen sollen. Eine Vorratsdatenspeicherung ohne jeden konkreten Anlass, wie die große Koalition sie plant, zieht genau diese Grenze nicht mehr. Sie ist deshalb der falsche Weg, um mehr Sicherheit zu gewährleisten. Zu einer klugen Netzpolitik gehört deshalb auch, dass sich der Staat auch mal aus dem Netz heraushält: weniger speichern, weniger mitlesen, weniger Vorschriften machen. Der Bürger darf nicht gläsern werden.

Schneller heißt vor allem konkurrenzfähiger

Der Staat dagegen muss gläsern sein. Dazu gehören Investitionen in staatliche Big-Data-Strategien. Das heißt: Die großen Datenmengen, die der Staat erhebt und kennt, müssen den Bürgern zugänglich gemacht werden. Wo sind viele Deutsche krank? Wie viele Autos sind auf den Straßen? Wo wird für was Steuergeld ausgegeben? Erste Schritte sind mit der Webseite govdata.de gemacht, auf der genau solche Daten öffentlich einsehbar sind. Sie muss ergänzt und verbessert werden.

Der Ausbau des Netzes ist in Deutschland lange verschlafen worden. Weit ärmere Länder haben bessere, schnellere Verbindungen. Dabei geht es längst nicht mehr um ruckelfreie Youtube-Videos nach Feierabend. Ein Land mit langsamem Netz ist schlicht nicht länger konkurrenzfähig und unattraktiv für viele Arbeitgeber.

Für den Ausbau des Netzes hat die Regierung einen Minister ernannt, Alexander Dobrindt (CSU), der bislang nicht durch besonders große Kompetenz in Sachen Internet auffiel. Ihm wie dem gesamten Kabinett würde es helfen, wenn die Stimmen der Nerds in der Politik mehr Gehör finden würden.

Circa 8000 der Computer-Versteher tagen gerade beim Jahrestreffen des Chaos-Computer Clubs, das sind mehr Besucher als je zuvor. Und der Kongress ist politischer als je zuvor. Als Gast per Videokonferenz spricht Glenn Greenwald, der Vertraute von Edward Snowden. Wer verstehen will, was die Politik für das Netz tun kann, sollte dort zuhören.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1851968
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 28.12.2013/resi
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.