Neue Internetgesetze:Regeln für die vernetzte Welt von morgen

Die Debatte um Google Street View trug hysterische Züge. Dennoch ist es richtig, dass die Regierung nicht einem blinden Fortschrittsglauben verfällt.

Daniela Kuhr

Was war das für eine Aufregung im Sommer, als bekannt wurde, dass der Straßenbilderdienst Google Street View in Deutschland an den Start gehen will.

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Google-Tragetaschen: Schöne vernetzte Welt.

(Foto: AFP)

Bürger fürchteten, man könne ihnen künftig ins Wohnzimmer schauen und prüfen, wie sie sich einrichten und ob sie gerade zu Hause seien. Jetzt stehen die Häuseransichten der zwanzig größten deutschen Städte seit wenigen Wochen im Netz - und was stellt man fest? Die Sorgen waren unbegründet.

Google Street View ermöglicht keinerlei neue Einblicke in die Privatsphäre. Im Internet ist nur zu sehen, was jeder Passant von der Straße aus auch sehen kann, und das noch nicht einmal live. Die Bilder sind Monate alt. Zudem ist der Dienst sogar hilfreich. Er erleichtert die Wohnungssuche, er erleichtert die Urlaubsplanung, er erleichtert Verabredungen.

War die ganze Debatte also unsinnig, gar hysterisch, wie manche meinen? Nein, das war sie nicht. Dass die Telekommunikations- und Internetbranche jetzt, nur wenige Monate später, einen Datenschutz-Kodex vorgelegt hat, mit dem sie sich strenge Regeln auferlegt, liegt ausschließlich an dieser aufgeregten Debatte.

Genauso wie die Tatsache, dass Bundesinnenminister Thomas de Maizière zugleich ein Gesetz vorschlägt, das schwere Persönlichkeitsverletzungen im Internet in Zukunft unterbinden soll.

Ilse Aigner ließ nicht locker

Das ist der Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner zu verdanken. Weil sie nicht lockergelassen, weil sie ständig gemahnt hat, deshalb ist das Thema Datenschutz - trotz anderer Großbaustellen wie Hartz IV oder der EU-Finanzkrise - ganz oben auf die politische Tagesordnung gekommen.

Da gehört der Datenschutz hin: nicht nur wegen eher harmloser Dienste wie Google Street View. Es gibt im Internet und in der IT-Branche eine Menge anderer Entwicklungen, die zwar ebenfalls nützlich sind, die einem aber bei näherer Betrachtung gehörig Angst einjagen können: Weil der Mensch gläsern wird - und dabei noch nicht einmal genau weiß, für wen.

Natürlich will kaum jemand den technologischen Fortschritt missen. Es ist praktisch, dass man heute jederzeit und überall per Handy erreichbar ist, dass es Navigationshilfen gibt, dass man mit Kreditkarte bezahlen kann, dass das Internet mobil nutzbar ist und dass sich Heizung und Waschmaschine programmieren lassen.

All das macht das Leben leichter, aber es hat auch eine Kehrseite: Es verrät demjenigen, der diese Dienste anbietet, sehr viel über die Gewohnheiten und Vorlieben des Nutzers - und damit über dessen Persönlichkeit.

Warum ein freiwilliger Kodex nicht genügt

Wer sich heute auf die Straße begibt, kann nicht mehr sicher sein, was seine Umgebung über ihn weiß. Videokameras können ihn identifizieren, und die Verkäuferin im Laden erfährt womöglich gleich beim Durchziehen der Kreditkarte anhand eines blinkenden Lämpchens, ob es sich um einen "wichtigen Kunden" oder einen "Querulanten" handelt. Technisch möglich ist das. Genauso wie es technisch möglich ist, anhand der Spuren, die Nutzer im Internet hinterlassen, ein Persönlichkeitsprofil zu erstellen.

Schon heute informieren sich viele mittels Google vor dem ersten Treffen über ihre Gesprächspartner. Doch was wäre, wenn man sich nicht mehr durch alle Treffer klicken müsste, sondern per Knopfdruck ein Dossier erhielte, das anhand der Suchergebnisse automatisch erstellt wurde? Etwa so: "XY ging in Gummersdorf zur Schule, hat sich in der Schülerzeitung kritisch über die Kirche geäußert, ist für die jüngste Niederlage seiner Fußballmannschaft verantwortlich. Und übrigens: Da wohnt er und so sieht er aus." Fotos werden gleich beigelegt.

Das ist technisch möglich. Aber ist es auch erlaubt? Darauf gibt das heutige Datenschutzrecht keine Antwort. Wie auch, stammt es doch aus einer Zeit, in der an das Internet nicht einmal gedacht wurde.

Das ist die Aufgabe, der de Maizière sich jetzt stellen muss. Der freiwillige Kodex, den die Branche vorgelegt hat, genügt in keinem Fall. Zwar ist es gut, dass Nutzer nun der Verwendung ihrer Daten leichter widersprechen können und dass ein Bußgeld fällig wird, wenn Unternehmen sich nicht daran halten. Doch der Kodex befasst sich allein mit Panoramabilder-Diensten wie Google Street View.

Wer weiß etwas über mich?

Weiter geht der Gesetzesvorschlag, den de Maizière selbst am Mittwoch gemacht hat. Der Minister will eine gezielte Verbreitung von Persönlichkeitsprofilen verbieten, weil er darin die Überschreitung einer "roten Linie" sieht. Außerdem hat er angekündigt, in den kommenden Wochen auch über Gesichtserkennungsdienste und Ortungssysteme diskutieren zu wollen. Nach anfänglichem Zögern nimmt de Maizière das Thema Datenschutz im Internet endlich ernst.

Das muss er auch. Im "Volkszählungsurteil" von 1983 hat das Bundesverfassungsgericht verlangt, für jeden Menschen müsse erkennbar sein, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über ihn weiß. Damals gab es noch kein Internet.

Und es ist fraglich, ob sich dieser Grundsatz so aufrecht erhalten lässt. Doch deshalb einfach nichts zu tun und die Mahner als hysterisch abzuqualifizieren, wie de Maiziere es anfangs getan hat, das wäre den Verfassungsrichtern mit Sicherheit zu wenig. Das, was der Staat tun kann, um die Rechte seiner Bürger zu schützen, muss er auch tun.

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