Süddeutsche Zeitung

Neue Funktion "Graph Search":Facebook baut die Milliarden-Menschen-Suchmaschine

Ehemalige Arbeitskollegen, flüchtige Partybekanntschaften, vergessene Grundschulfreunde: Mit diesen Menschen ist der Durchschnittsnutzer auf Facebook befreundet. Mark Zuckerberg hat jetzt eine neue Suchmaschine vorgestellt. Sie soll die Karteileichen in Kooperation mit Microsoft zum Leben erwecken - und könnte den Dienst grundlegend verändern.

Von Pascal Paukner

Die Wände des Präsentationsraums sind voll mit Motivations-Postern. "Versage härter", "Erledigt ist besser als perfekt" und "Menschen über Pixel", ist dort zu lesen. Sie sind dort natürlich nicht zufällig von Facebooks Mitarbeitern aufgehängt worden. Sie sind das Motto der Pressekonferenz, die das größte soziale Netzwerk der Welt am Dienstagmorgen (Ortszeit) in seiner Firmenzentrale in Menlo Park abgehalten hat.

In den vergangenen 24 Stunden war viel darüber spekuliert worden, was Facebook wohl vorstellen würde. Ein eigenes Smartphone? Neue Apps für Tablets und Smartphones? Ein externes Werbenetzwerk? Alles falsch. Was Facebook-Gründer Mark Zuckerberg der Öffentlichkeit tatsächlich vorstellte, war der grundlegende Umbau der Suchfunktionen.

"Graph Search" heißt die neue Suchfunktion, die das in die Jahre gekommene Suchsystem ablösen und eines der größten Probleme Facebooks lösen soll: das heillose Durcheinander an Beziehungen und Informationen, das sich nach Jahren der sozialen Interaktion in dem Kommunikationsnetzwerk gebildet hat. Ehemalige Arbeitskollegen, flüchtige Partybekanntschaften, vergessene Grundschulfreunde - sie alle gehören zu den Facebook-Freunden des Durchschnittsnutzers. Nur sind sie für diesen oftmals nicht von großer Bedeutung. Mit der neuen Suchfunktion soll sich das ändern. Es gehe darum "neue Bekanntschaften" zu machen, sagte Zuckerberg zu Beginn seiner Präsentation.

Die neue Suchfunktion, die zunächst nur in den USA und dort auch nur für ausgewählte Nutzer freigeschaltet ist, ermöglicht es den Nutzern wesentlich flexibler, den für sie freigegebenen Teil des sozialen Netzwerks zu durchsuchen. Noch ist alles unfertig, aber bald schon könnte sich einiges ändern:

  • Personensuche

Hierbei geht es darum, neue Bekanntschaften zu machen. Künftig soll es möglich sein, Facebook etwa nach Freunden von Freunden, die beispielsweise in München wohnen und den Beziehungsstatus "Single" angeben, zu durchsuchen. Ein Feature, das den Betreibern von Dating-Plattformen nicht gefallen dürfte. Auch für Business-Netzwerke wie Xing oder LinkedIn brechen damit harte Zeiten an. Eine Suche nach Informatikern aus Hamburg, die unter 30 Jahre alt sind und in Berlin studiert haben, ist jetzt auch auf Facebook kein Problem mehr. Unmittelbar nach Bekanntgabe dieser Neuerung ließ die LinkedIn-Aktie deutlich nach.

  • Interessensuche

Wer schon immer mal einen Filmabend mit den Breaking-Bad-Fans unter seinen Freunden machen wollte, der sollte mit der neuen Suche ein gutes Tool zur Verwirklichung dieser Idee haben. Freunde und Bekannte können nach ihren Interessen gefiltert werden. Dabei zeigt Facebook angeblich stets die Personen in den Suchergebnissen an, zu denen der Suchende das engste Verhältnis pflegt und die ihm örtlich am nächsten sind.

  • Ortssuche

Seitdem Smartphones und Tablets für immer mehr Menschen zum Alltag gehören, ist die Suche nach Orten eine der wichtigsten Herausforderungen für Internetfirmen. Facebook war in diesem Bereich bislang kaum in Erscheinung getreten, jetzt soll sich das ändern. Mit der neuen Suchfunktion soll die Möglichkeit geschaffen werden, etwa nach einem indischen Restaurant in der Nähe zu suchen, das häufig von Indern empfohlen wird. Integriert in eine schlanke App, könnte das Facebook im mobilen Web voranbringen.

  • Bildersuche

240 Milliarden Fotos haben Nutzer bislang auf Facebook hochgeladen. Eine gigantische Masse, die sich bislang nicht durchsuchen ließ. Zu geschlossen war Facebooks System. Das soll sich nun ebenfalls ändern. Mit der neuen Suchfunktion soll es etwa möglich sein, sich alle Fotos von Freunden im vergangenen Jahr anzeigen zu lassen. Oder Fotos, die in Berlin im Jahr 1989 aufgenommen wurden.

Facebook gibt den Nutzern damit neue Möglichkeiten, ihr soziales Umfeld zu entdecken. Das war die Botschaft, die Mark Zuckerberg von der Präsentation aussenden wollte. In Wahrheit gehen die Änderungen weiter.

Facebook ermöglicht es dem Nutzer künftig viel stärker, aus dem Dunstkreis des eigenen sozialen Umfelds zu treten. Verbarrikadieren sich Internetnutzer nicht hinter den Datenschutzeinstellungen, die der Konzern anbietet, nimmt die Wahrscheinlichkeit, von Unbekannten aufgefunden zu werden, künftig deutlich zu. Mit anderen Nutzern in Kontakt zu treten, die gleiche Interessen teilen, aber nicht zum sozialen Umfeld gehören, wurde deutlich erleichtert. Es ist ein weiterer Schritt in einer Strategie, die das Unternehmen mit den Seiten und der Abonnier-Funktion schon seit längerem verfolgt und die interessenbasierten Netzwerken wie etwa Twitter zusetzen soll.

Ob sich die Facebook-Nutzer auf diese Konzeptänderung einlassen, bleibt abzuwarten. Gerade in einem datenschutzsensiblen Land wie Deutschland dürfte die neue Sichtbarkeit noch zu einigen Debatten führen. Und überhaupt scheint Facebook zunehmend ein Imageproblem zu haben: Im jüngst vorgestellten amerikanischen Konsumentenzufriedenheitsindex landet Facebook auf dem letzten Platz aller Social-Media-Plattformen. Das Fiasko, das Facebook schon in der Vergangenheit beim Datenschutz angerichtet hat, hinterlässt seine Spuren. Auch trugen die neuen Geschäftsmodelle bislang selten zur Nutzerzufriedenheit bei.

Noch wirkt sich diese Stimmung nicht merklich auf die Nutzungszahlen aus. Eine jüngst unter 13- bis 25-jährigen Amerikanern durchgeführte Umfrage brachte aber ans Licht, dass Facebook in dieser Altersgruppe inzwischen nicht mehr als meistgenutztes soziales Netzwerk wahrgenommen wird. An der Spitze steht nun Tumblr.

Möglicherweise könnte das auch Facebooks Börsen-Comeback gefährden. Zwischenzeitlich lag der Wert der Aktie in den vergangen Tagen wieder bei deutlich über 30 Dollar. Die Hoffnung der Anleger und Investoren war, dass Facebook den Wachstumsmarkt namens Mobile Web nicht länger nachrangig behandelt wird. Diese Hoffnung hat sich mit der Vorstellung der neuen Suche bestätigt. Der Kurs der Aktie gab dennoch um mehr als zwei Prozentpunkte nach. Der Aktienwert des größten Suchanbieters Google hingegen stieg. Und das obwohl Facebook bei der neuen Suchfunktion mit Microsofts Suchmaschine Bing kooperiert. Sie soll helfen, all die Inhalte zu finden, die Facebook noch nicht kennt. Die Anleger scheint das nicht zu beeindrucken.

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