Netzwelt:Wie Internet-Phänomene die Welt erobern

Für gute Memes braucht es Bilder, Filmschnipsel, Flashmobs und auf jeden Fall zwei gute Zeilen.

Von Johannes Boie

Vor 21 Jahren lief Pulp Fiction im Kino. Und jetzt plötzlich ist John Travolta in seiner Rolle als Vincent Vega überall im Netz, in den Facebook-Timelines von Millionen Nutzern, auf Webseiten wie Reddit, 9gag, 4chan, an Orten also, an denen sich Menschen treffen, um Spaß zu haben. Oder zu diskutieren. Oder zu streiten. Es sind Orte des Austausches: Und weil ihre Nutzer über die ganze Welt verteilt sind, lässt der verwirrte Travolta, den ein 16-Jähriger aus Mexiko hochlädt, ein paar Sekunden später eine 60-Jährige aus Japan lachen.

Wie kommt das? John Travolta als Vincent Vega ist zu einem Meme geworden. Das ist ein junges Wort. Der Begriff wurde 1976 zum ersten Mal verwendet, von Richard Dawkins in seinem Buch "Das egoistische Gen". Der britische Biologe schuf das Wort analog zum Begriff Gen (englisch: Gene): eine Art Erbinformation der Kultur, wie ein Begriff, eine Mode, eine Abfolge von Tönen. Die israelische Professorin Limor Shifman führt in ihrem Buch "Meme" zudem einen altgriechische Ursprung an: Er leitete sich demnach auch von "mimema" ab, auf Deutsch bedeutet das "etwas Nachgeahmtes".

Und damit ist ein Meme im Grunde schon recht genau beschrieben. Jede präzisere Eingrenzung wird schwierig, wie auch die Abgrenzung zu Trends und viralen Effekten. Ein Meme kann nämlich vieles sein. Etwa jener Trend, der als "Planking" bekannt wurde und vor ein paar Monaten Millionen Menschen im Netz begeisterte. Damals bestand ein Meme nur aus dem Bild eines einzelnen Nutzers. Es zeigte, wie dieser an einem möglichst seltsamen Ort flach auf einem möglichst seltsamen Gegenstand liegt, etwa auf einem Treppengeländer.

Ist das Bild oder das Video lustig? Überraschend? Erinnert es andere Nutzer an Bekanntes?

Ähnliche Meme, die Aktionen jenseits des Computers einschließen, sind zum Beispiel Flashmobs, bei denen sich Menschen in der Öffentlichkeit verabreden, um für ahnungslose Passanten zum Beispiel plötzlich einen Tanz aufzuführen. Doch auch wenn hier in der Herstellung des Meme Computer nur eine untergeordnete Rolle spielen, würde die "kulturelle Erbinformation" verloren gehen, wenn er nicht früher oder später im Internet landete. Planking, Flashmobs oder auch die Ice-Bucket-Challenge, bei der sich Menschen einen kalten Eimer Wasser (verbunden mit einer Spende für den guten Zweck) über den Kopf schütten, erreichen ihr wahres Publikum erst, wenn die Dokumentation der Aktion im Internet landet.

Dort werden die Meme in einem Prozess, der von Wettbewerb und Selektion gekennzeichnet ist, entweder von Nutzern um die Welt geschickt oder sie versanden früher oder später, ohne dass sehr viele Menschen sie gesehen haben. Maßgeblich für Erfolg oder Misserfolg sind dabei Faktoren, die auch in klassischen Medienumfeldern über die Verbreitung einer Nachricht entscheiden: Ist das Meme lustig? Überraschend? Berührend? Erinnert es den Nutzer, der es verbreiten soll, an etwas, das er schon kennt?

Karriere dank Memes

Netzwelt: Vor 21 Jahren lief Pulp Fiction im Kino. Nun ist John Travolta als Vincent Vega zu einem Meme geworden.

Vor 21 Jahren lief Pulp Fiction im Kino. Nun ist John Travolta als Vincent Vega zu einem Meme geworden.

(Foto: oh)

Gerade weil Nachahmung und Remix Konzepte sind, für die sich viele Menschen sehr begeistern, gehören die beliebtesten Meme zu einer Kategorie, in der Nutzer einzelne Bilder oder kurze Videosequenzen mit einem eigenen Text versehen. Zu diesem Zweck gibt es eigene Webseiten wie zum Beispiel makeameme.org. Hier stehen Tausende Bilder zur Verfügung, die sich mit ein, zwei Zeilen Text als Nachricht präsentieren lassen. Da gibt es ein skeptisch blickendes Kleinkind, ein Mädchen, das vor einem brennenden Haus den Mund verzieht, Ausschnitte aus Filmen wie "Batman" und Serien wie "Game of Thrones".

Eine 24-jährige Texanerin wurde selbst zum Meme - und baute eine Karriere darauf auf

Ein Nutzer, der sein eigenes Meme erstellen möchte, wird nun eine Zeile Text oberhalb und unterhalb des Motivs auf dem Bild platzieren. Dabei ergänzt das Bild die Aussage, es entspricht in der Regel dem Gefühl, dass der Nutzer hatte, als er die Situation durchlebte, die er in seinem Text beschreibt. In besonders gelungenen Memen gibt der zweite Satz oft dem ersten noch eine ganz neue Bedeutung, zum Beispiel, indem er dem Meme eine zweite Ebene hinzufügt. Da funktionieren Meme ähnlich wie deutsche Sätze, bei denen die Endstellung des Verbes über die Bedeutung des Satzes ganz zum Schluss entscheidet. Tatsächlich ist der so verbreitete Humor gelegentlich sehr feinsinnig.

Die zugrunde liegenden Bilder funktionieren als weltweit verständliche Metaphern für Gefühle und Situationen. Da ist Bad Luck Brian, einer, der unverschuldet Pech hat, da ist der Beichte-Bär, dessen trauriges Gesicht Millionen Nutzer im Netz verwenden, um die kleinen Geheimnisse ihres Alltages zu gestehen. Und es gibt die übermäßig anhängliche Freundin, die ihren Freund lieber mit ihr leiden sieht als ohne sie glücklich.

Das Bild des "overly attached girlfriends" ist ein Foto, das eine reale Person zeigt. Laina Morris, eine 24-jährigen Texanerin ist selbst zum Meme geworden. Sie trägt ihr Schicksal nicht nur mit Fassung, sondern versucht sogar, eine Karriere darauf aufzubauen. Ursprünglich hatte sie nur ein Video von sich hochgeladen, Nutzer verbreiteten dann ein Standbild daraus, über das sich immer mehr Menschen amüsierten, bis Morris zum Meme geworden war.

Bei Laina Morris war die große Verbreitung kaum beabsichtigt. Doch längst haben auch Werbeagenturen, Medien und Politikstrategen die Meme entdeckt. Sie eint das Ziel, Inhalte mit möglichst großer Reichweite zu schaffen. Dementsprechend sind sie auf jenen weltweiten, möglicherweise millionenfachen Effekt aus, der dann eintritt, wenn viele Leute gleichzeitig einen Inhalt zum Beispiel auf Facebook und Twitter verbreiten, wenn sich also ein Meme im Auswahlprozess der Nutzer bewährt. Das gelingt nur selten. In vielen Fällen antwortet die Netzgemeinde auf derlei bemühte Versuche mit einem Meme, dessen Text klassischerweise lautet: "Schaut wie sehr mich das interessiert." Es zeigt eine demonstrativ unbekümmert tanzende Blondine vor einem Alpenpanorama.

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