Süddeutsche Zeitung

Netzneutralität:Eine freie Welt im Würgegriff

Eine neue Internet-Überholspur soll bestimmte Inhalte privilegieren. Das freut die Konzerne - doch für den digitalen Fortschritt und unsere Gesellschaft ist es Gift. Es wird Zeit, dass wir unsere Bequemlichkeit abschütteln.

Bernd Graff

Warum sollte ein Kinofilm einmal mehr wert sein als der Debattenbeitrag zu Angeln in Südamerika in einem Forum? Nur, weil irgendjemand Geld für den Film ausgegeben haben wird?

Andererseits: Warum sollte ein Kunde den Klassiker "Taxi Driver" nicht in bester Qualität genießen können, nur weil Abermillionen Katzenbilder den Datenstrom des Films verstopfen?

Das Problem widerstreitender Interessen in der Datenauslieferung und die damit verbundenen Ärgernisse sind so alt wie das World Wide Web. Alle wollen alles, meist zur selben Zeit. That's Netz.

Inzwischen sind aber drei Faktoren immer stärker geworden, die die faktisch praktizierte Netzneutralität, also die Gleichgewichtung aller Daten im Weltstrom, massiv bedrohen:

1. Die wirtschaftlichen Interessen der Dienstleistungsanbieter des Netzes, also der Provider, die gerade Morgenluft wittern. Sie wissen, dass sie ihre Rolle als Türöffner nun noch gewinnbringender einsetzen könnten, denn ohne sie kommt man nicht ins Netz, über ihre Server laufen die Daten.

2. Das Aufkommen neuer Kommunikationsmedien, die ebenfalls auf das Internet zugreifen, etwa Mobil-Dienste für Smartphones. Und damit das Auftreten neuer Provider.

3. Und vor allem: das Entstehen von Internetgroßmächten wie Google und Facebook, die aufgrund der schieren Nutzermassen, die ihre Dienste derzeit kostenlos in Anspruch nehmen, zu Infrastrukturseiten des Webs geworden sind.

Diese drei Faktoren gemeinsam sind Gift für die Netzneutralität, wenn nicht sogar ihr Ende. Wenn Google im Verbund mit Verizon, einem der weltweit größten Provider, gerade die Idee aufbringt, dass Inhalteanbieter im Zusammenspiel mit Providern bestimmte Datenpakete schneller als andere durch das Web leiten könnten, steht die Aufspaltung des Internet in ein Zweiklassennetz an. Die Gefahr dabei: Es würde nicht nur diejenigen ausschließen, die solche Dienste nicht bezahlen können oder keine Smartphones nutzen, es würde vielmehr den digitalen Fortschritt bedrohen.

Das Ende der Innovation

Wäre es so, dass neue, beschleunigt ausgelieferte Google-Angebote, datenintensive HD-Filme etwa, ausschließlich über firmeneigene Bahnen und Server an die Nutzer gebracht würden, dann könnte man sagen: Warum nicht? Es steht ja jedem frei, für mehr Service Geld zu verlangen. Und es steht jedem frei, diesen teuren Zusatz zu nutzen.

So aber beinhaltet das Konzept eine Vorrang- und Vorfahrtsregelung für privilegierte Daten - im alten Netz. Um sie beschleunigt ausliefern zu können, muss der Verkehr der nicht privilegierten Inhalte gedrosselt werden.

Das bedeutet faktisch das Ende von konkurrenzgetriebener Innovation in der Webkommunikation. Denn Google bestimmt dann nicht nur die Geschwindigkeit, es definiert auch die Standards, nach denen Daten verkehren können.

Google kann es recht sein, die Provider verdienen auch daran. Doch alle Nicht-Google-Inhalte würden nur noch gebremst oder gar nicht mehr ihren Weg zu den Nutzern finden. Und das bedeutet nicht nur, dass der südamerikanische Angler nur noch stotternd zu Wort kommt. Und dass Smartphone-Besitzer Verbindungsschwierigkeiten und vorauseilend Datendeckelung in Kauf nehmen müssten.

Es bedeutet auch das Entstehen von Monokulturen, die lediglich von einzelnen Konzernen wie Google und Facebook gedüngt werden. Es ist, als ob eine Stadt nur noch einen Fischmarkt duldet und Metzger verbannt. Dann werden ihre Bewohner wenig Schnitzel bekommen. Und, fatal!, sie werden Schnitzel auch bald nicht mehr wollen. Weil sie nichts anderes als Fisch mehr kennen.

Gefangen im Orbit der Konzern

Gefordert ist jetzt eine überforderte Politik. Überfordert deshalb, weil international auftretende Unternehmen wenig mit lokaler Gesetzgebung zu schaffen haben. Überfordert aber auch, weil sie das Netz entweder immer noch nicht begreift oder aber - im Wortsinn - nicht begreifen kann. Die aktuelle Diskussion um den deutschen Start von Google Street View zeigt das.

Politik kann aber auf die Provider einwirken. Sie kann eine Datendrosselung nicht nur - wie in Frankreich - anordnen, sie kann sie auch verbieten. Und sie kann aufklären und die Unternehmen zu Transparenz verpflichten.

Denn Netzneutralität ist kein abstrakter Begriff von "Alt-Netizens". Netzneutralität ist die Grundlage für eine frei kommunizierende, also freie Welt: wirtschaftlich wie politisch. Und die Nutzer? Sie laufen immer noch in Scharen auf den Fischmarkt.

Die großen Akteure im Netz sind auch die Anbieter von Top-Angeboten. Ja, man muss deren Orbit nicht mehr verlassen, um alle weiteren Dienste zu erreichen. Das ist für die Nutzer noch bequem, sicher. Aber auch prekär. Weil es die Orbits von Konzernen bleiben. Und eben nicht die der freien Welt. Und für die können sich Nutzer frei entscheiden. Noch.

Lesen Sie hierzu Berichte in der Süddeutschen Zeitung.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.988162
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 14./15.08.2010/joku
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.