Netzneutralität:Aktivisten träumen von amerikanischen Verhältnissen

Lesezeit: 2 min

  • In Europa und in Deutschland gibt es noch keine Entscheidung zur Netzneutralität.
  • Das aktuelle Dokument des EU-Rates lässt viel Raum für Spekulationen. So wird die Frage, ob Provider in den Datenverkehr der Kunden in Echtzeit hineinschauen dürfen, ausgeklammert.
  • Aktivisten befürchten, dass die Netzneutralität für ein bisschen Hoffnung auf Breitbandausbau verkauft werde.

Von Johannes Boie

Die Amerikaner haben sich für ein Netz entschieden, in dem niemand dafür zahlen darf, dass Daten schneller oder langsamer befördert werden. Für deutsche Netzaktivisten und Befürworter strikter Netzneutralität ist die amerikanische Regelung ein Traum. Endlich kommt da mal jemand, und dann auch noch von öffentlicher Seite, und zeigt den Netzanbietern mit Macht ihre Grenzen auf. In Europa und in Deutschland ist dieses Szenario dagegen weit entfernt, die Debatte um Netzneutralität wird hier noch lange weitergehen. Entschieden ist nichts.

Dabei hat der Streit schon ein paar Zwischenstationen hinter sich. Alles begann mit einem großen Paket von Vorschlägen, das die EU-Kommission bereits vor mehr als einem Jahr geschnürt hatte. Sie möchte den gesamten Telekommunikationsmarkt regulieren. Es geht also genauso um das Roaming zwischen Handys in verschiedenen Ländern wie um die Netzneutralität.

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Ein ganz besonderer Streitpunkt

Das Parlament hat den Vorschlag der Kommission im April 2014 gebilligt, allerdings mit vielen Änderungen. Der EU-Rat hat dieses Paket nun in kleine Päckchen umgepackt. Dabei hat sich die Netzneutralität als ganz besonderer Streitpunkt zwischen den Mitgliedstaaten herauskristallisiert. Einwände kamen zunächst von der italienischen Regierung, auf deren Kritik wiederum andere Mitgliedstaaten reagierten, darunter auch Deutschland.

Im Moment zeichnet sich eine Lösung ab, die von Aktivisten für einen freien Netzzugang scharf kritisiert wird. Sie sind der Meinung, dass die Idee, über die in Brüssel diskutiert wird, den Telekommunikationsunternehmen viel zu viele Möglichkeiten eröffnet, die Netzneutralität zu verletzen. Tatsächlich ist das Dokument aus dem Rat extrem vage formuliert und lässt viel Raum für Interpretationen.

Würde es zum Gesetz, könnten Unternehmen wie die Telekom von Konzernen wie Google oder Netflix, die besonders viele Daten durchs Netz schicken, extra Geld verlangen. Auch im Vorschlag der deutschen Bundesregierung heißt es deutlich: "Anbietern von Kommunikationsdiensten und Anbietern von Inhalten steht es frei, Endnutzern Spezialdienste anzubieten." Damit wäre die Netzneutralität, wie sie die Amerikaner gerade festlegen, dahin.

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Markus Beckedahl, ein Aktivist von netzpolitik.org, vermutet, dass die Bundesregierung in den europaweiten Diskussionen "die Netzneutralität für ein bisschen Hoffnung auf Breitbandausbau verkauft". Er spielt damit auf die Klagen der Provider an, die stets betonen, dass sie mehr Geld einnehmen müssten, wenn sie den Ausbau der Netze vorantreiben sollen. Dieser sei so teuer, dass er mit ihrem bislang bestehenden Geschäftsmodell nicht zu stemmen sei. Folglich träumen die Provider davon, nicht nur von Endkunden, sondern auch von Anbietern Geld für ihre Dienste verlangen zu können.

Ihnen wird es da sicher gut ins Konzept passen, dass andere wichtige Punkte, die Kritiker dringend gesetzlich verboten sehen wollen, in dem aktuellen EU-Dokument vollständig fehlen. Zum Beispiel wird die Frage, ob Provider in den Datenverkehr der Kunden in Echtzeit gucken dürfen, ausgeklammert.

Massiver Eingriff in die Privatsphäre der Kunden

Entsprechende Technologie würde es den Telekommunikationsfirmen erlauben, Daten langsamer oder schneller zu befördern - je nachdem, wessen und welche Daten sie gerade befördern. Das wäre allerdings auch ein massiver Eingriff in die Privatsphäre der Kunden. Die deutsche Regierung lehnt diese Deep-Packet-Inspection genannte Technik bislang ab.

So ist in Europa die paradoxe Situation eingetreten, dass in der Netzpolitik nun europäische Minister den amerikanischen Weg eher distanziert betrachten, wohingegen Netzaktivisten, denen es im Zeitalter von Edward Snowden tendenziell sonst schwerfällt, positiv über die USA zu urteilen, plötzlich von amerikanischen Verhältnissen träumen.

Doch mit Recht weisen alle Beteiligten, Politiker, Telekommunikationskonzerne und selbst Aktivisten darauf hin, dass der amerikanische und der deutsche Markt nur schwer vergleichbar sind. Während es in Europa und Deutschland zahlreiche Kommunikationsunternehmen gibt, die Breitbandanschlüsse anbieten, sind die Angebote in den USA begrenzt und stark von den großen Kabelnetzbetreibern geprägt. Ob Amerika in der Netzpolitik also ein Vorbild für Europa sein kann, ist damit noch offen.

© SZ vom 27.02.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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