Netzkritik:Google und Facebook dürfen nicht die Welt kontrollieren

Die Silicon-Valley-Firmen glauben zwar, zu wissen, wie sie ihr Geld zum Wohle der Menschheit ausgeben. Aber das System bröckelt bereits.

Von Evgeny Morozov

Entsteht da gerade eine neue Tech-Blase? Oder, wie man im Silicon Valley sagt: Sind die meisten Einhörner in Wahrheit verkleidete Zombies? Die eigene Antwort darauf hängt davon ab, wie man zum allgemeinen Gesundheitszustand der globalen Ökonomie steht. Der berühmte Risikoanleger Peter Thiel etwa behauptet - und er ist damit nicht allein -, dass überhaupt alles, in das man derzeit sein Geld investieren kann, von Börsenunternehmen bis zu Staatsanleihen, bereits überbewertet sei. Folglich hat man die Wahl zwischen "flüssigen" Finanzprodukten mit geringen Renditen, etwa Bargeld - oder man lässt sich auf die längerfristigen, potenziell lukrativeren Investitionen in Technologie-Start-ups ein.

Allerdings nimmt nicht jeder dem Silicon Valley seine Versprechen ab. Seit Monaten zweifelt der exzellente Finanz-Blog Alphaville an dessen Einfluss auf die Wirtschaft. Die Autoren des Blogs beharren darauf, dass die datenintensiven Geschäftsmodelle führender Technologieunternehmen über die Kontrolle der Informationen, die eigentlich zu einer effizienten Verteilung der Ressourcen führen sollten, die Mechanismen der Märkte verzerren.

Wie machen sie das? Weil Daten - der Treibstoff der Werbung - die Quelle des Profits dieser Unternehmen bilden, bieten sie bereitwillig und zum vermeintlichen Freundschaftspreis Dienstleistungen und Produkte an, die jene Daten produzieren. Das mögliche Feld der Angebote ist prinzipiell unbegrenzt: Es ging ursprünglich los mit Suchmaschinen-Diensten und sozialen Netzwerken, aber das Silicon Valley hat auch nichts dagegen, uns beim Sport, beim Essen, im Auto und im Bett unter die Arme zu greifen.

Für diese Unternehmen sind das alles nur Daten - und Daten bedeuten Geld. Die "Freundschaftspreise" erschweren es uns allerdings, den tatsächlichen Preis dieser Produkte und Dienstleistungen zu begreifen. Und während sich die Firmen in unseren Wohnungen, unseren Autos und unseren Körpern breitmachen, haben die dadurch ermöglichten Preisverzerrungen gerade erst begonnen.

Mark Zuckerberg

Was steht bei Facebook wirklich im Vordergrund?

(Foto: Ben Margot/AP)

Google und Facebook glauben, zu wissen, was dem Wohl der Menschheit dient

Izabella Kaminska, eine von Alphavilles wichtigsten Autorinnen, glaubt sogar, dass wir an der Schwelle eines "Gosplan 2.0" stehen - eines Sowjet-ähnlichen Systems technokratischer Eliten, die beide Hände voller Geld von verzweifelten Investoren haben, es nach Gutdünken verteilen und dabei gewisse Gruppen bevorzugen, andere benachteiligen, auf Grundlage rein subjektiver Kriterien. Und zwar, um mit den Gewinnen aus der Werbeindustrie "Moonshot"-Projekte zu finanzieren.

Der Name verweist auf Präsident John F. Kennedys Ankündigung Anfang der Sechzigerjahre, man werde noch vor Ablauf des Jahrzehnts einen Menschen auf den Mond schießen. Ob es bei diesen Moonshot-Projekten allerdings um das Gemeinwohl geht, ist zweifelhaft. Dadurch zerrütten die Technologieunternehmen sowohl Regierungen als auch Märkte. Weil ihre Fühler in sämtliche Bereiche hineinlangen, behaupten Google und Facebook, besser zu wissen, wie man mehr Geld verdienen und wie man es zum Wohle der Menschheit wieder ausgeben kann.

So erscheint es ziemlich wahrscheinlich, dass Google, Facebook und Co. irgendwann die grundlegenden Infrastrukturen kontrollieren werden, auf denen unsere Welt basiert. Sie hätten sicher nichts dagegen - wenn man an die Datenfluten denkt, die dann durch ihre Mühlen gingen. Andere Unternehmen wären gezwungen, sich auf Luxusgüter zu verlegen, ein bisschen wie Apple, weil die Grundbedürfnisse schon von den datenhungrigen Technologieunternehmen bedient würden. Für die globale Ökonomie sind das keine guten Neuigkeiten. Nicht jede Firma kann, oder will, Apple oder Ferrari sein.

Das Silicon Valley hat die Werbung schon immer verachtet

Aber vielleicht ist das dann ohnehin unser geringstes Problem. Gerade auf diesem rudimentären, infrastrukturellen Niveau sehen die Versprechen des Silicon Valley einer glorreichen, werbefinanzierten Zukunft besonders fragwürdig aus. Kaminska warnt davor, dass eine "Verlangsamung im Fortschreiten der Globalisierung, im Welthandel und im Wirtschaftswachstum" schließlich die tatsächlichen Kosten der Dienste, die wir alle nutzen, enthüllen könnte. Und dann gibt es eine noch andere Gefahr: Die Kernschmelze der Werbung - einer Industrie, von der man sich, wie von Gott, Unfehlbarkeit erwartet.

Wenn man sich all das Auseinanderbröckeln um uns herum ansieht, ist es da vernünftig, anzunehmen, dass die Werbung auf immer und ewig der Goldesel bleiben wird, der gratis Internetzugänge nach Indien und Sri Lanka bringt, damit Millionen Menschen dort kostenlos im Netz suchen und E-Mails verschicken können? Wenn Software "die Welt auffrisst", wie das Wall Street Journal jüngst behauptete, dann beinhaltet diese Welt mit Sicherheit auch Autofirmen, Hotels, Banken und Zeitungen. Werden diese dann wirklich noch genug Geld für Werbung haben - die sie überdies auf eben den Plattformen schalten müssten, die sie bei lebendigem Leib auffressen?

Das gilt insbesondere, wenn sogar die technologieaffinsten Investoren-Lieblinge Geld verlieren - BuzzFeed hat jüngst verfehlte Renditenziele bekannt gegeben -, während Plattformen wie Facebook wachsen. Das Silicon Valley hat die Werbung schon immer verachtet. Sie ist zu plump, zu ineffizient, sie erinnert zu deutlich an die Verbindungen zwischen dem Technologiesektor und ganz vulgärem Kapitalismus. Sergey Brin und Larry Page haben schon früh einen akademischen Artikel darüber geschrieben, in dem sie den potenziellen Einfluss der Werbung auf ihre Suchmaschine brandmarkten. Mark Zuckerberg - der Zen-Liebhaber mit einem Schrank voller identischer, grauer T-Shirts - scheint auch kein allzu glühender Verfechter der Werbung zu sein.

Sie war vielleicht ein notwendiges Übel, damit das Schiff Fahrt aufnimmt, aber bald wird es keinen Grund mehr geben, die Werbung nicht doch über Bord zu werfen. Insbesondere, wenn die Konzerne es schaffen, dass sie in keinem Wettbewerb mehr stehen, weil die ganze Welt von ihren Plattformen abhängt - dann wird man doch wieder für alles bezahlen müssen.

Die Wohlfahrts-Attitüde der Daten-Konzerne wird nicht ewig währen

Für E-Mails, den Besuch von Websites, eines Tages sogar für's Atmen und Blinzeln. Die von der Financial Times vorgeschlagene Lösung, "die Mini-Planwirtschaften zu zerschlagen, die über Quersubventionen innerhalb unseres Systems Konglomerate errichten", ist angesichts der heutigen Politik nicht realistisch. Diese "Mini-Planwirtschaften" zentralisieren auch ganz nebenbei staatliche Überwachungsaufgaben. Und über die besagten, viel gescholtenen Quersubventionen - indem man ein Produkt durch die Profite eines anderen vergünstigt - erfüllen sie elementare Funktionen des Sozialstaats. Für den Staat sind sie ein beliebter Juniorpartner geworden, den man die Moonshot-Innovationsprojekte austüfteln lässt, die man selbst nicht finanzieren will. Der Nachteil ist - vom Zusammenbruch der Privatsphäre mal ganz zu schweigen -, dass sie so gut wie keine Steuern bezahlen. Ihre Vorliebe für Moonshot-Projekte lähmt die eigenen Bemühungen des Staats um technologische Innovationen. Nur leider wird die Wohlfahrts-Attitüde der Konzerne sicher nicht ewig währen. Tatsächlich ist es wahrscheinlicher, dass sie in eine hypermoderne Form des Feudalismus münden wird. In ihr wird man für die informationelle Infrastruktur bezahlen müssen, um Zugang zu irgendetwas zu erhalten, das einen Bildschirm oder einen Knopf hat. Es wird genauso unkompliziert sein, wie eine Fahrkarte für die U-Bahn zu kaufen.

Die Financial Times lehnt Gosplan 2.0 ab - angesichts ihrer Liebe für freie Märkte ist das kein Wunder. Es könnte aber noch ein anderes Gosplan 2.0 geben - eines, das all die Sensoren, Algorithmen, Datenbanken und Echtzeitkoordinationssysteme benutzt, um öffentliche Dienstleistungen außerhalb des Preissystems anzubieten.

Die vor uns liegende politische Aufgabe besteht deshalb darin, die Informationsressourcen im Sinne des größtmöglichen Allgemeinwohls zu nutzen, statt uns vom Silicon Valley in eine neue Form des Feudalismus führen zu lassen - denn angesichts derer würden die ungezügelten Privatisierungen der vergangenen Jahrzehnte aussehen wie der reinste Sozialismus.

Der Autor forscht an der Harvard University. Seine Bücher "The Net Delusion" und "Smarte neue Welt" sind Grundlagentexte der Internetkritik. Aus dem Englischen von Philipp Bovermann.

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