Süddeutsche Zeitung

Project Jacquard von Google:Touchscreen am Hemdsärmel

Google hat eine Jeansjacke mitentwickelt, die das Smartphone steuern soll. Ist das der Weg zu subtilerem Technik-Einsatz oder doch nur ein Marketing-Gag?

Von Michael Moorstedt

Joseph-Marie Jacquard war ein früher Pionier der digitalen Technik. Wenn man so will, waren seine Anfang des 19. Jahrhunderts entwickelten über Lochkarten gesteuerten Webstühle die ersten programmierbaren Maschinen der Geschichte. Vergangene Woche hat ihm Google zusammen mit einem namhaften Jeanshersteller ein zweifelhaftes Denkmal gesetzt. Das sogenannte Project Jacquard, eine Jeansjacke, mit der man das eigene Smartphone steuern kann. Ausgestattet ist sie mit der üblichen Technik-Dreifaltigkeit: Akku, Prozessor und Drahtlosmodul. Zudem sind in ihrem Stoff dünne Metallfäden verwoben, die als Sensoren Berührungen der Hand oder einzelner Finger registrieren. Ein Touchscreen am Hemdsärmel also - aber ist das der Weg zu subtilerem Technik-Einsatz oder doch nur ein Marketing-Gag?

Die wie immer leicht begeisterungsfähigen Technikmagazine sprechen schon von der "Jacke der Zukunft", und Vorbilder aus der Rumpelkammern von Hollywood gibt es auch: Da wimmelt es von Handgelenkscomputern und Kommunikationsamuletten oder mit der Matrix verbundenen Stirnbändern. Das sieht in Filmen super aus, aber die Requisiteure müssen sich ja auch keine Gedanken um Usability machen. Die Erfahrung zeigt dagegen, dass sich die Dinge verkomplizieren, wenn eine neue Benutzerschnittstelle eingezogen wird.

"Nahtloserer Umgang mit Technik"

Trotzdem rücken die Geräte auch in der echten Welt immer näher an unsere Körper und unser Leben heran. Die intelligente Jacke ist nur die vorerst letzte Eskalationsstufe. Angefangen hat es mit Googles missglückter Glass-Brille, groß im Kommen sind auch smarte In-Ear-Kopfhörer, die schon längst viel mehr können als nur Musik zu übertragen. Sie dienen auch als Simultanübersetzer und geben die Einflüsterungen digitaler Assistenten an ihre Träger weiter. Project Jacquard ist eine Entwicklung von Googles Abteilung Advanced Technology and Projects, die sozusagen eine Hightech-Spezialeinheit innerhalb des Hightech-Konzerns darstellt. Auch wenn es bei den Erfindungen meist an Alltagstauglichkeit hapert. Project Jacquard ist das erste Produkt, das es überhaupt auf den Markt geschafft hat.

Die Jacke ist nach dem Willen von Projektleiter Ivan Poupyrev sowieso nur ein erster Schritt hin zu einem - Achtung Wortwitz! - "nahtloseren Umgang mit Technik". Man habe wissen wollen, ob es möglich ist, leitfähige Fäden in industriellem Maßstab produzieren und spreche bereits mit vielen weiteren Textilherstellern. Neue Anwendungsmöglichkeiten? Sofakissen mit Verknüpfung an das Heimnetzwerk, Spannbettlaken mit Netflix-Zugang, Dessous mit Tinder-Anbindung. Monsieur Jacquard wäre bestimmt stolz.

Bleibt nur die Frage, was mit der Jacke überhaupt zu steuern sein soll. Ihr Funktionsumfang ist momentan noch ziemlich beschränkt: Der Träger kann durch die Interaktion mit seinem Ärmel Anrufe annehmen oder die Musik-App einen Song weiterklicken, solche Dinge eben. Sie eigne sich sehr gut für Fahrradpendler auf dem Weg zur Arbeit, lassen die Unternehmen verlauten. Spotify auf dem Radlweg? Eine erstaunlich unsanfte Erdung für die Jacke der Zukunft. Da fällt ein weiteres großes "Aber" gar nicht mehr so sehr ins Gewicht: Man kann die Jacke nur circa zehn Mal waschen - dann ist das Hightech-Garn ruiniert.

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SZ vom 02.10.2017/mri
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