Zukunft des Netzes:Der Tod des alten Internets - und wem er nützt

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Der Link, die Webseite, der Artikel - alle bald tot? Facebook, Apple und Twitter bauen an einem neuen Netz, das Nutzer vom freien Web fernhält. Jenem Netz, auf dem das Imperium von Google gründet.

Von Dirk von Gehlen

Es ist ein einfaches, aber verständliches Bild, das Tim Berners-Lee benutzt. Als der britische Informatiker in den Neunzigerjahren an den Strukturen dessen arbeitete, was wir heute als World Wide Web (WWW) kennen, machte er sich Notizen zur neuen Struktur der Kommunikation. Es lohnt sich, diese fast 20 Jahre später noch einmal nachzulesen.

Das Bild, das er im Abschnitt "Schlussfolgerungen über Links" findet, könnte auch ein Kommentar zur aktuellen Debatte sein, ob der Link als zentrales Instrument des Netzes gerade stirbt. Diese These hat der kanadische Journalist Mathew Ingram unlängst als logische Folge des Trends beschrieben, dass Facebook, Twitter und Apple zunehmend versuchen, Inhalte so in ihre Dienste zu integrieren, dass Nutzer diese Dienste gar nicht mehr verlassen müssen. Dass also gar nicht mehr nach draußen - ins freie Netz - verlinkt werden muss.

Vor dem Sprechen eine Tüte über den Kopf ziehen

"Das kann man schon machen", schreibt Berners-Lee in seinen Notizen über dieses Kappen der Verbindung nach draußen. "Das wäre dann aber so als würde man vom Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch machen und sich - bevor man spricht - eine Papiertüte über den Kopf zieht." Mit diesem Bild erklärte er, dass jenes Bürgerrecht im Web eben auch die Möglichkeit der Referenz einschließe: den Link zu anderen Inhalten. Andere sahen damals in Verlinkungen noch einen Angriff auf denjenigen, auf dessen Inhalte verwiesen wurde.

Nicht zuletzt weil Google sein Such- und Werbegeschäftsmodell auf dem Prinzip des Hyperlinks aufgebaut hat, ist die Situation heute umgekehrt. Wer einen Link setzt, führt damit nicht nur Besucher auf eine andere Seite, auf der diese dann womöglich Werbung sehen und so Umsatz generieren. Der Link ist für Google auch zum Ausdruck von Bedeutung geworden: Was von vielen verlinkt wird, kann nicht unwichtig sein.

Dass Berners-Lees Plädoyer auch in einer solchen Welt notwendig bleibt, liegt an der Idee der Fertigartikel, die Facebook seit Kurzem anbietet. Das sind Beiträge, die als Instant Articles bezeichnet werden: Sie werden von Medienhäusern direkt auf Facebook veröffentlicht und sollen vom Leser auch genau dort gelesen werden - ohne dass irgendwer mit dem WWW außerhalb von Facebooks Werbehoheit in Kontakt kommen muss.

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Von heute an kann man bei Facebook vollständige Artikel von vielen großen Medien lesen. In Deutschland machen zum Start zwei Verlage mit. Die Kooperation könnte das Geschäft mit journalistischen Inhalten nachhaltig verändern.

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Webseiten sollen auf Smartphones schneller laden, damit sie weiterhin wichtig bleiben

Als Grund für diese Idee führt Facebook die Tatsache an, dass diese Art von Inhalt schneller lädt als jene, die irgendwo im weiten Web liegen. Gerade auf mobilen Endgeräten führt Verlinken zu Verzögerung. Das will Facebook vermeiden - und bietet an, Erlöse, die mit den Instant Articles erzielt werden, mit den Medienhäusern zu teilen.

Das klingt nach einer schönen Geschichte, in deren jüngster Episode es vermeintlich gute Nachrichten gibt. Der zuständige Produktmanager erzählte vor Kurzem, dass die Fertigartikel viel häufiger in Facebook geteilt würden als Inhalte, die auf fremde Seiten verlinken.

Was er damit sagen will: "Facebook bringt mehr Reichweite für deine Inhalte." Darauf zielen nicht nur Medienhäuser ab, sondern auch Sportler, Stars und Marken, die heute allesamt zu Medien geworden sind. Sie alle werden vom Versprechen der großen Netzwerke gelockt. Auch Twitter will mit seinem Dienst "Moments" in eine ähnliche Richtung gehen. Eine Entwicklung, die aller Voraussicht nach dazu führen wird, dass das Web, wie wir es kennen, sich verändert.

Anzeichen für diesen Prozess sind auch jene Texte, die den Tod oder zumindest des Ende von etwas verkünden: Das kann das "Ende des Links" ( Fortune, Oktober 2015), "das Ende des Artikels" ( New York Times, Oktober 2015) oder das "Ende der Website" ( Wired, Februar 2015) sein - immer geht es darum, dass sich im Netz etwas unwiderruflich ändert.

Drei Jahre gibt Evan Williams diesem Prozess, dann wird sich das Web verändert haben, sagt er. Williams ist jemand, der diese Trends nicht nur beobachtet, sondern auch vorantreibt: In den Nullerjahren hat er den Dienst Blogger aufgebaut, ein Angebot mit dem jede und jeder publizieren kann. Anschließend gründet er Twitter, dessen Chef er bis vor kurzem war.

Sind zentralisierte Seiten die Zukunft des Internets?

In Zukunft will er sich voll und ganz auf seine jüngste Idee namens "Medium" konzentrieren: eine Kombination aus Blogger und Twitter, ein zentralisiertes Angebot, in dem Menschen vernetzt publizieren sollen: "Die Idee einer eigenen Website ist tot. Das interessiert keinen", erklärte Williams vor Kurzem, "es geht doch im Internet nicht darum, dass Milliarden Menschen auf Millionen Webseiten gehen. Es wird um zentralisierte Seiten gehen." Damit würde er sicher keine Zustimmung von Tim Berners-Lee, dem Erfinder des WWW, ernten.

Wenn Williams das sagt, klingt es ein wenig wie die Erfolgsgeschichte der Instant Artcles von Facebook. Die Prognose nützt dem Erzähler. Williams wünscht sich, dass viele Menschen auf Medium schreiben und lesen, Facebook will, dass seine Nutzer die Seite und damit den Geschäftsbereich von Facebook nicht mehr verlassen.

Google will nicht, dass Link und Website sterben

Ob es tatsächlich so kommt, ist noch nicht ausgemacht. Denn in der Vorhersage wird ein wichtiger Aspekt gerne unterschlagen: das so oft als mächtige Datenkrake beschriebene Google hat ein sehr grundlegendes Interesse daran, dass der Link und die (verlinkte) Website als Prinzip nicht sterben. Deshalb hat man unlängst das Programm Accelerated Mobile Pages (AMP) angekündigt, mit dem Webseiten auf Smartphones schneller laden sollen.

Nicht wenige sehen darin eine Antwort Googles auf die Instant Articles von Facebook - mit Links und Webseiten. Denn schließlich basiert das Such- und Werbegeschäft von Google auf diesen grundlegenden Prinzipien des Web. Es ist nicht anzunehmen, dass das Unternehmen sich diese Geldmaschine aus der Hand nehmen lassen wird, nur weil ein paar Artikel ihr den Tod prophezeien.

© SZ vom 06.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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