Netzaktivist Appelbaum:"Mission Tor"

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Was er dabei am schlimmsten findet: Diejenigen, die über Überwachungsmaßnahmen entscheiden, "haben keine Ahnung, wovon sie eigentlich reden". Neulich, erzählt er, "saß ich mit so einem CSU-Politiker auf dem Podium, der davon redete, dass die Leute erst mal einen Internet-Führerschein machen müssten". Da habe er ihn gefragt, wie TCP/IP funktioniere, die Technik also, mit der im Internet Daten übermittelt werden: "Der wusste nichts."

Gegen diese Ignoranz anzugehen, das sieht er als seine Mission. Denn sie behindert ein wichtiges, die Cypherpunks würden sagen: das wichtigste Projekt. Es heißt schlicht Tor, ein Buchstabenwort aus "The Onion Router". Indem Daten verschlüsselt über viele zufällig ausgewählte Relaisstationen des Tor-Netzwerks geleitet werden, ist es so gut wie unmöglich festzustellen, wer zum Beispiel eine Datei hochgeladen hat oder sich bestimmte Informationen angesehen hat. Mit anderen Worten: Man surft weitgehend anonym.

Appelbaum, Dingledine und andere helfen Dissidenten etwa in China oder Iran dabei, ihre Computer entsprechend einzurichten. Das sollten aber auch die Bürger in den westlichen Staaten tun, sagt Appelbaum. Denn die Daten, die heute gesammelt würden, von den Diensten und von Privatfirmen, "sie könnten in Zukunft gegen Sie verwendet werden: Das haben Sie nicht mehr in der Hand, wie das läuft." Die Cypherpunks werben daher darum, dass mehr Menschen, mehr Institutionen sich bereit erklären, selbst bei Tor mitzumachen. Dazu braucht es aber Mut. Und Überzeugungskraft gegenüber der Polizei. Denn die Tor-Server erkennen natürlich nicht, ob es Informationen eines Dissidenten sind, die da über die Leitung gehen, oder die Bilder, die Mitglieder eines Kinderpornorings austauschen.

Appelbaum verabscheut Bilder missbrauchter Kinder, und er ist bedingungslos gegen Gewalt, gegen Terrorismus. Aber als ein Student fragt, ob man so was nicht zensieren müsse, da kommt wieder so ein Peitschenhieb-Satz: "Bist du ein Faschist?", fragt er zurück, äußerlich ruhig. Und als der nicht ganz versteht, wiederholt er noch einmal ganz langsam und deutlich: "Bist. Du. Ein. Faschist?"

Keine Zensur

Tor, erklärt er dann, sei doch bloß ein Werkzeug, "und das muss neutral sein". Man wolle und man dürfe niemanden zensieren. Und man wolle auch den Staaten nicht vorschreiben, in welche Richtung sie sich entwickeln sollten. "Das Einzige, was wir wollen, ist, den Menschen zu ermöglichen, zu kommunizieren, ohne dass sie befürchten müssen, dass man sie belauscht." Nein, man führe keinen Kampf gegen Staaten, "aber die Staaten bekriegen ihre Bürger". Dabei sieht es Appelbaum eher als die Pflicht der Staaten an, für umfassenden Datenschutz zu sorgen.

Der Computerexperte, Sohn eines Künstlers und eigentlich Fotograf, will den Kampf nicht verloren geben. Gerade jetzt nicht, wo die NSA-Affäre zumindest in Deutschland ein großes Echo hervorgerufen hat: "Verzweifelt nicht", ruft er in den Saal, das ganze Ausmaß der Überwachung sei ja erst vor Kurzem bekannt geworden, vor allem in Deutschland werde das noch immer intensiv diskutiert. Ein Plakat bekommt jeder mit, auf dem steht: "Betreibe einen Tor-Knoten. Heute noch!" Für alle, die eine Frage stellen, gibt es ein T-Shirt, ebenfalls mit Werbung für das Projekt. Je mehr Menschen mitmachen, das ist für ihn klar, umso weniger kommt es auf ihn an. Wer weiß schon, wie lange man ihn noch lässt.

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