Netzaktivist Appelbaum:Cypherpunk gegen das System

Jacob Appelbaum ist ein Vertrauter von Wikileaks-Gründer Assange, hatte schon Kontakt zu Snowden, bevor der durch seine NSA-Enthüllungen weltbekannt wurde. Appelbaum und seine Mitstreiter nennen sich Cypherpunks. "Cypher" steht für eine Mischung aus Cyberspace und Verschlüsselung. Denn der Aktivist will das staatliche Datensammeln verhindern - mit einem ganz speziellen Programm.

Von Helmut Martin-Jung

Wäre die Welt nicht, wie sie ist, Jacob Appelbaum würde an diesem Tag vielleicht einen Vortrag an der Münchner Kunstakademie halten; über ein Projekt, das auf ganz verrückte Weise Computertechnik und Fotografie verbindet. Irgendwas Cooles eben. Aber die Welt ist, wie sie ist, und deshalb macht der 30 Jahre alte Amerikaner politisches Kabarett für Nerds.

Nein, macht er natürlich nicht. Es hört sich nur manchmal so an, wenn Appelbaum, schlank, schwarze Designer-Hornbrille, und Roger Dingledine, Nickelbrille, Halbglatze, langes Resthaar, kurze Hose und Wanderschuhe, sich die Bälle zuspielen. Und sie die Menge im Hörsaal an der TU München mit Scherzen zum Lachen bringen, die nur Informatiker verstehen. Bis Appelbaum dann wieder so einen Satz sagt, einen Satz wie ein Peitschenhieb: "Ich komme gerade aus Dachau. Wenn ihr nicht wollt, dass sich so was wiederholt, dann müsst ihr dagegen aufstehen. Tut was, und zwar jetzt, bevor es zu spät ist."

Jacob Appelbaum ist einer der wenigen verbliebenen Vertrauten von Wikileaks-Gründer Julian Assange. Er hatte schon Kontakt zu Edward Snowden, bevor der mit seinen Enthüllungen über die Datensammler beim amerikanischen Geheimdienst NSA an die Öffentlichkeit ging. Er gilt seinem Heimatland seit Jahren als verdächtig; immer wieder hat man ihn bei der Einreise in die USA stundenlang festgehalten, wurden seine Laptops und Handys kontrolliert oder gleich konfisziert.

"Eine fette Lüge"

Also reiste er zuletzt ganz ohne elektronische Geräte. Bis auf einen USB-Stick. Darauf war: eine verschlüsselte Version des Textes der Bill of Rights - die Verfassungszusätze von 1791, die den amerikanischen Bürgern unveräußerliche Grundrechte zusichern. Doch nun, da Snowden an die Öffentlichkeit gegangen ist, möchte Appelbaum vorerst nicht zurück in die Vereinigten Staaten. "Ich fühle mich dort nicht mehr sicher", sagt er, und: "Das, was dort abgeht, Demokratie zu nennen, ist doch eine fette Lüge."

Appelbaum und seine Begleiter, die mit ihm in den Hörsaal gekommen sind, sehen sich als Cypherpunks. "Cypher" steht für eine Mischung aus Cyberspace, dem Internet, und "cipher", Verschlüsselung, und Punk natürlich für den Protest, für Widerstand. Wir gegen DAS SYSTEM. "Was den Stand der Dinge am ehesten trifft", sagt Appelbaum, "ist Zersetzung." Er sagt das Wort mit seinem kalifornischen Akzent auf Deutsch, Tsörsättsung. Nicht bloß, weil er jetzt in Berlin lebt. Er verwendet es, weil er nicht mehr nur repressive Staaten wie China, Iran oder Vietnam, sondern auch den Westen als Stasi-Überwachungsstaaten sieht.

"Damals wurden wir ausgelacht"

"In unserer Regierung" - wieder so ein Satz - "gibt es gesetzlose Elemente. Manche ihrer Mitglieder haben einen faustischen Pakt geschlossen." Der geht den Cypherpunks zufolge so: Die Staaten sammeln alle Daten, die sie kriegen können, auch solche, die sie eigentlich gar nicht kriegen dürften. Die Europäer etwa bekämen von anderen Diensten wie der NSA Daten, die zu sammeln in ihren eigenen Ländern illegal ist, und tauschen dafür Daten ein, an denen die NSA Interesse hat.

Appelbaum und andere Cypherpunks hatten schon vor zehn Jahren vor dieser Entwicklung gewarnt. "Damals wurden wir ausgelacht", sagt er. "Vor fünf Jahren fand man es noch immer merkwürdig, und als ich im vergangenen Dezember in Hamburg sagte, die NSA überwache uns alle, da hieß es: Verschwörungstheorie."

"Mission Tor"

Was er dabei am schlimmsten findet: Diejenigen, die über Überwachungsmaßnahmen entscheiden, "haben keine Ahnung, wovon sie eigentlich reden". Neulich, erzählt er, "saß ich mit so einem CSU-Politiker auf dem Podium, der davon redete, dass die Leute erst mal einen Internet-Führerschein machen müssten". Da habe er ihn gefragt, wie TCP/IP funktioniere, die Technik also, mit der im Internet Daten übermittelt werden: "Der wusste nichts."

Gegen diese Ignoranz anzugehen, das sieht er als seine Mission. Denn sie behindert ein wichtiges, die Cypherpunks würden sagen: das wichtigste Projekt. Es heißt schlicht Tor, ein Buchstabenwort aus "The Onion Router". Indem Daten verschlüsselt über viele zufällig ausgewählte Relaisstationen des Tor-Netzwerks geleitet werden, ist es so gut wie unmöglich festzustellen, wer zum Beispiel eine Datei hochgeladen hat oder sich bestimmte Informationen angesehen hat. Mit anderen Worten: Man surft weitgehend anonym.

Appelbaum, Dingledine und andere helfen Dissidenten etwa in China oder Iran dabei, ihre Computer entsprechend einzurichten. Das sollten aber auch die Bürger in den westlichen Staaten tun, sagt Appelbaum. Denn die Daten, die heute gesammelt würden, von den Diensten und von Privatfirmen, "sie könnten in Zukunft gegen Sie verwendet werden: Das haben Sie nicht mehr in der Hand, wie das läuft." Die Cypherpunks werben daher darum, dass mehr Menschen, mehr Institutionen sich bereit erklären, selbst bei Tor mitzumachen. Dazu braucht es aber Mut. Und Überzeugungskraft gegenüber der Polizei. Denn die Tor-Server erkennen natürlich nicht, ob es Informationen eines Dissidenten sind, die da über die Leitung gehen, oder die Bilder, die Mitglieder eines Kinderpornorings austauschen.

Appelbaum verabscheut Bilder missbrauchter Kinder, und er ist bedingungslos gegen Gewalt, gegen Terrorismus. Aber als ein Student fragt, ob man so was nicht zensieren müsse, da kommt wieder so ein Peitschenhieb-Satz: "Bist du ein Faschist?", fragt er zurück, äußerlich ruhig. Und als der nicht ganz versteht, wiederholt er noch einmal ganz langsam und deutlich: "Bist. Du. Ein. Faschist?"

Keine Zensur

Tor, erklärt er dann, sei doch bloß ein Werkzeug, "und das muss neutral sein". Man wolle und man dürfe niemanden zensieren. Und man wolle auch den Staaten nicht vorschreiben, in welche Richtung sie sich entwickeln sollten. "Das Einzige, was wir wollen, ist, den Menschen zu ermöglichen, zu kommunizieren, ohne dass sie befürchten müssen, dass man sie belauscht." Nein, man führe keinen Kampf gegen Staaten, "aber die Staaten bekriegen ihre Bürger". Dabei sieht es Appelbaum eher als die Pflicht der Staaten an, für umfassenden Datenschutz zu sorgen.

Der Computerexperte, Sohn eines Künstlers und eigentlich Fotograf, will den Kampf nicht verloren geben. Gerade jetzt nicht, wo die NSA-Affäre zumindest in Deutschland ein großes Echo hervorgerufen hat: "Verzweifelt nicht", ruft er in den Saal, das ganze Ausmaß der Überwachung sei ja erst vor Kurzem bekannt geworden, vor allem in Deutschland werde das noch immer intensiv diskutiert. Ein Plakat bekommt jeder mit, auf dem steht: "Betreibe einen Tor-Knoten. Heute noch!" Für alle, die eine Frage stellen, gibt es ein T-Shirt, ebenfalls mit Werbung für das Projekt. Je mehr Menschen mitmachen, das ist für ihn klar, umso weniger kommt es auf ihn an. Wer weiß schon, wie lange man ihn noch lässt.

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