Wäre die Welt nicht, wie sie ist, Jacob Appelbaum würde an diesem Tag vielleicht einen Vortrag an der Münchner Kunstakademie halten; über ein Projekt, das auf ganz verrückte Weise Computertechnik und Fotografie verbindet. Irgendwas Cooles eben. Aber die Welt ist, wie sie ist, und deshalb macht der 30 Jahre alte Amerikaner politisches Kabarett für Nerds.
Nein, macht er natürlich nicht. Es hört sich nur manchmal so an, wenn Appelbaum, schlank, schwarze Designer-Hornbrille, und Roger Dingledine, Nickelbrille, Halbglatze, langes Resthaar, kurze Hose und Wanderschuhe, sich die Bälle zuspielen. Und sie die Menge im Hörsaal an der TU München mit Scherzen zum Lachen bringen, die nur Informatiker verstehen. Bis Appelbaum dann wieder so einen Satz sagt, einen Satz wie ein Peitschenhieb: "Ich komme gerade aus Dachau. Wenn ihr nicht wollt, dass sich so was wiederholt, dann müsst ihr dagegen aufstehen. Tut was, und zwar jetzt, bevor es zu spät ist."
Jacob Appelbaum ist einer der wenigen verbliebenen Vertrauten von Wikileaks-Gründer Julian Assange. Er hatte schon Kontakt zu Edward Snowden, bevor der mit seinen Enthüllungen über die Datensammler beim amerikanischen Geheimdienst NSA an die Öffentlichkeit ging. Er gilt seinem Heimatland seit Jahren als verdächtig; immer wieder hat man ihn bei der Einreise in die USA stundenlang festgehalten, wurden seine Laptops und Handys kontrolliert oder gleich konfisziert.
"Eine fette Lüge"
Also reiste er zuletzt ganz ohne elektronische Geräte. Bis auf einen USB-Stick. Darauf war: eine verschlüsselte Version des Textes der Bill of Rights - die Verfassungszusätze von 1791, die den amerikanischen Bürgern unveräußerliche Grundrechte zusichern. Doch nun, da Snowden an die Öffentlichkeit gegangen ist, möchte Appelbaum vorerst nicht zurück in die Vereinigten Staaten. "Ich fühle mich dort nicht mehr sicher", sagt er, und: "Das, was dort abgeht, Demokratie zu nennen, ist doch eine fette Lüge."
Appelbaum und seine Begleiter, die mit ihm in den Hörsaal gekommen sind, sehen sich als Cypherpunks. "Cypher" steht für eine Mischung aus Cyberspace, dem Internet, und "cipher", Verschlüsselung, und Punk natürlich für den Protest, für Widerstand. Wir gegen DAS SYSTEM. "Was den Stand der Dinge am ehesten trifft", sagt Appelbaum, "ist Zersetzung." Er sagt das Wort mit seinem kalifornischen Akzent auf Deutsch, Tsörsättsung. Nicht bloß, weil er jetzt in Berlin lebt. Er verwendet es, weil er nicht mehr nur repressive Staaten wie China, Iran oder Vietnam, sondern auch den Westen als Stasi-Überwachungsstaaten sieht.
"Damals wurden wir ausgelacht"
"In unserer Regierung" - wieder so ein Satz - "gibt es gesetzlose Elemente. Manche ihrer Mitglieder haben einen faustischen Pakt geschlossen." Der geht den Cypherpunks zufolge so: Die Staaten sammeln alle Daten, die sie kriegen können, auch solche, die sie eigentlich gar nicht kriegen dürften. Die Europäer etwa bekämen von anderen Diensten wie der NSA Daten, die zu sammeln in ihren eigenen Ländern illegal ist, und tauschen dafür Daten ein, an denen die NSA Interesse hat.
Appelbaum und andere Cypherpunks hatten schon vor zehn Jahren vor dieser Entwicklung gewarnt. "Damals wurden wir ausgelacht", sagt er. "Vor fünf Jahren fand man es noch immer merkwürdig, und als ich im vergangenen Dezember in Hamburg sagte, die NSA überwache uns alle, da hieß es: Verschwörungstheorie."