Netscape-Navigator:Der Lotse geht von Bord

Mitte der neunziger Jahre stand er auf seinem Zenit. Wenn jetzt AOL die Unterstützung für den Netscape-Browser aufgibt, endet damit auch ein Stück Internetgeschichte.

Thorsten Riedl

Zum Abschied reichte es dann nicht einmal mehr für eine Pressemitteilung: Das Internetportal AOL stellt die Unterstützung für den Netzbrowser Netscape ein. Die Ausrichtung von AOL auf das Werbegeschäft lasse "wenig Raum für Investitionen, die notwendig wären, um Netscape auf einen Stand zu bringen, den viele Fans erwarten", erklärte AOL-Entwickler Tom Drapeau lediglich in seinem Internettagebuch.

Netscape-Navigator: Ende einer Ära: AOL stellt den Support für den Netscape Navigator ein.

Ende einer Ära: AOL stellt den Support für den Netscape Navigator ein.

(Foto: Foto: AP)

Das Ende war zum 1. Februar geplant, doch der nordamerikanische Internetkonzern ließ sich erweichen und verschob den Termin um vier Wochen. Nun endet am 1. März eine Ära, die das Internet erst massentauglich gemacht hat und damit einen eigenen Wirtschaftszweig mitbegründet hat.

Das Internet als Verbund von Computern gibt es schon seit den späten sechziger Jahren, zunächst als millitärisches Forschungs- und Übungsnetz. Doch erst mit der grafischen Form des Netzes Anfang der neunziger Jahre - dem sogenannten World Wide Web - erreichte das Internet ein Massenpublikum. Dabei war der Netscape Navigator nicht das erste Programm, mit dem sich diese digitale Ursuppe erkunden ließ - aber es war das erste, das für jeden einfach zu nutzen war.

Im Frühjahr vor 15 Jahren fand sich ein Team an der University of Illinois zusammen, um das grafische Internetzugangsprogramm Mosaic zu entwickeln. Es war der erste Browser des World Wide Web, der auf einer Seite neben Texten auch Bilder und Grafiken darstellen konnte. Eine Revolution. Marc Andreessen, einem der Universitätsforscher, brachten die Erfahrungen mit dem neuen Programm dazu, ein eigenes Unternehmen zu gründen: Netscape.

Die Urversion des gleichnamigen Browsers veröffentlichte er Ende 1994. "Netscape ist das erste Internetwerkzeug, dass den Durchschnittsnutzer mit einem 14,4-Kilobit-Modem interaktiv mit dem Netz arbeiten lässt", hieß es damals in der Pressemitteilung zum Start. Für große Euphorie sorgte, dass es das Programm für jedermann umsonst gab.

Es war die Zeit, in der alles möglich schien. Schon im Sommer des Folgejahres brachte Andreessen Netscape an die Börse - und die Investoren waren begeistert. Kaum einer verstand, um was es genau ging, aber die Chancen mussten enorm sein, darin waren sich alle einig. Noch am Tag der Erstnotiz an der US-Technologiebörse Nasdaq verdoppelte sich der Einstandskurs der Netscape-Aktie.

Der Lotse geht von Bord

Plötzlich war das Unternehmen zwei Milliarden Dollar wert - bei einem Umsatz von 20 Millionen Dollar, von Gewinn ganz zu schweigen. Wenige Monate später hatte sich der Kurs vervierfacht. Hunderte Unternehmen folgten dem Beispiel von Netscape: Sie kreierten Luftschlösser, versprachen Gewinne, ließen sich von Börsianern feiern, die ihre Buchgewinne auf rauschenden Festen verschleuderten. Der Kater kam einige Jahre später.

Für Andreessen und Netscape zahlte sich die Euphorie aus. Kurz vor dem Höhepunkt des Überschwangs der Börsianer übernahm das Internetportal AOL im November 1998 das kleine Softwarehaus für 4,2 Milliarden Dollar. Schon damals hatte AOL vor allem das Portalgeschäft von Netscape im Auge. Der übermachtige Rivale Microsoft bündelte sein Zugangsprogramm Internet Explorer gratis mit dem Betriebssystem Windows und eroberte so Marktanteile - im sprichwörtlichen Browserkrieg - im Nu.

Inzwischen hat der Netscape Browser noch einen Anteil von weniger als einem Prozent. Der Internet Explorer von Microsoft beherrscht auch heute noch vier Fünftel des Marktes. Ein knappes Fünftel kommt Firefox zu - der Browser, der in seinen Ursprüngen auf Netscape zurückgeht, und der weltweit von einer Armada freiwilliger Programmierer, koordiniert über das Internet, gemeinsam weiterentwickelt wird. Wenn AOL - inzwischen selbst schon lange nicht mehr eigenständig, sondern ungeliebte Tochter des Medienkonzerns Time Warner - also in Kürze die Unterstützung für Netscape einstellt, endet eine Internetära. Das Programm aber lebt weiter in seinem Ableger.

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