Süddeutsche Zeitung

Nach dem Terror von Toulouse:Sarkozys gestörtes Verhältnis zum Internet

Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy möchte künftig Internet-Nutzer bestrafen, die terrorverherrlichende Videos im Netz konsumieren. Der populistische Vorschlag wäre nur durch Überwachung umzusetzen - und passt bestens zur internetfeindlichen Grundhaltung des Staatsoberhaupts.

Johannes Kuhn

Der Schuldige hinter dem Schuldigen war schnell gefunden: "Jede Person, die regelmäßig im Internet Webseiten konsultiert, die den Terrorismus predigen, die zu Hass und Gewalt aufrufen, wird bestraft", kündigte Frankreichs Staatspräsident nur wenige Stunden nach dem Ende der dramatischen Ereignisse in Toulouse an.

Das Internet also, in dem Mohamed Merah Berichten zufolge dschihadistische Videos konsumiert und auch Bekannten gezeigt hat, soll dieser Logik nach die Tat begünstigt haben. Im Umkehrschluss des französischen Präsidenten muss dessen Nutzung deshalb strenger reguliert werden - in diesem Falle sogar durch Überwachung, denn nur so könnten die Behörden herausfinden, welche Seiten ein französischer Internetnutzer überhaupt aufruft.

Nun mag der Vorschlag der Wahlkampf-Strategie der "beweglichen Ziele" geschuldet sein, ständig neue Gesetzesideen in die Debatte einzubringen. Er zeigt aber auch die tiefe Internet-Skepsis, die Übergriffigkeit in den digitalen Raum, die Sarkozys Amtszeit geprägt haben.

Bereits 2009 nahm in Frankreich die Hadopi-Behörde (Haute Autorité pour la diffusion des œuvres et la protection des droits sur internet) ihre Arbeit auf: Sie verfolgt illegale Downloads, die bei ihr gemeldet werden und kann bei dreimaligem Verstoß theoretisch sogar den Internet-Anschluss eines Filesharers kappen (three strikes). Eine erforderliche richterliche Zustimmung zu einen solchen Schritt wurde erst in das Gesetz eingeführt, nachdem das französische Verfassungsgericht es zwischendurch kassiert hatte. Inzwischen haben 250 Internetnutzer aufgrund der Regelung, die auf großen Druck der französischen Musik- und Filmindustrie zustande kam, Bußgeldbescheide erhalten, vor einer Kappung des Anschlusses schreckten die Behörden allerdings bisher zurück.

Netzsperren über geheime Liste

Noch nicht umgesetzt, aber bereits verabschiedet ist das "Loppsi-2"- Überwachungsgesetz, ein Mammut-Werk mit 142 Punkten. Neben einer Ausdehnung der Videoüberwachung enthält es zahlreiche Paragraphen, die Internet-Aktivisten ein Dorn im Auge sind: So weitet es die Online-Durchsuchung aus und erlaubt es, in einer Online-Durchsuchung auf Computern gefundene Beweismittel auch für Verfahren wegen möglicher anderer Vergehen zu nutzen.

Vor allem aber sieht es Netzsperren gegen kinderpornographische Seiten über eine geheime Liste des Innenministeriums vor - eine richterliche Prüfung der Blockier-Anordnungen sieht das Gesetz nicht vor. Sollte Sarkozy im Amt bleiben, könnten die Liste womöglich gesetzlich um terrorverherrlichende Portale ergänzt werden.

Im Juni 2011 kam zudem eine geplante Rechtsverordnung an die Öffentlichkeit, die es verschiedenen französischen Ministerien ermöglicht hätte, die Sperrung von Seiten zu verfügen, die eine Gefahr für die "Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung" darstellten. Nach starker öffentlicher Kritik an dieser Blankoscheck-Regelung kündigte die Regierung eine Überarbeitung an.

Aus seiner Internet-Skepsis hat Sarkozy nie einen Hehl gemacht: Zu Beginn seiner Amtszeit bezeichnete er das Netz als "wilden Westen" und kündigte an, das Internet zu "zivilisieren". Das "zivilisierte Internet" war auch das Motto des Netz-Gipfels, den Frankreich im vergangenen Mai im Rahmen seiner G-8-Präsidentschaft ausrichtete.

Dort erklärte Sarkozy, das Internet solle von bestimmten Werten geprägt sein - und dass es "ein Widerspruch" sei, Regierungen "von diesem immensen Forum fernzuhalten". Der Dirigismus, also der in Frankreich beliebte staatliche Eingriff in den Markt, scheint in Sarkozys Vorstellungen auch die richtige Methode im Umgang mit dem Internet zu sein.

Spät hat der 57-Jährige das Internet als wichtigen Wirtschaftsfaktor identifiziert. Erst im April 2011 gründete er das "Conseil National du Numérique", einen Internet-Rat zur Förderung des IT-Sektors. Zwar zeigte er sich auf dem Netzgipfel sichtlich stolz mit Silicon-Valley-Prominenten wie Facebook-Gründer Mark Zuckerberg oder umgarnte jüngst Twitter-Gründer Jack Dorsey, die Europazentrale seines Unternehmens nach Frankreich zu verlegen; in der Praxis zeigen Vorschläge wie die jüngst wieder ins Gespräch gebrachte "Google-Steuer" auf Online-Werbung, die auch einheimische Anbieter schwächen dürfte, dass Sarkozys Horizont auch in dieser Richtung begrenzt ist.

Erwartungen an Hollande: Keine

Die Mehrheit der Franzosen nimmt dies offenbar mit einem gewissen Gleichmut hin. Trotz der europäischen Spitzenreiterposition in verbrauchter Bandbreite und täglicher Internetnutzung spielt Netzpolitik in den politischen und gesellschaftlichen Mainstream-Debatten kaum eine Rolle.

Zwar gab es gegen Hadopi und auch Acta Proteste, die von einer gutvernetzten Aktivisten- und Politblogger-Szene unterstützt wurden; netzaffine Themenparteien wie die Piraten spielen jedoch keine Rolle und kommen in Frankreich gerade einmal auf um die 200 Mitglieder.

So verwundert es nicht, dass sich französische Netzaktivisten wenig von einem Sieg von Sarkozys sozialistischem Konkurrenten François Hollande erwarten. Dessen Berater für Internetpolitik hat bereits erklärt, dass es "wichtigere Themen" für Frankreich gebe. Und selbst zum Hadopi-Gesetz fand Hollande keine klare Position: Kurz nachdem der Sarkozy-Herausforderer öffentlich erklärt hatte, es bei einem Wahlsieg zu kassieren, versicherte er in einer Rede vor Vertretern der Unterhaltungsindustrie, es nur "modifizieren" zu wollen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1316640
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
Süddeutsche.de/holz/lala
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.