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MySpace für 35 Millionen Dollar verkauft:Der Untergang des Vorzeige-Netzwerks

Absturz mit Ansage: MySpace galt einst als das soziale Netzwerk der Zukunft. Dann griff Medien-Mogul Rupert Murdoch zu und die Nutzer liefen in Scharen davon. Nun kauft Popstar Justin Timberlake das Unternehmen zum Ramschpreis. Was lief schief?

Mirjam Hauck und Johannes Kuhn

Eine unbekannte britische Schülerband, die plötzlich eine ausverkaufte Tournee spielt. Die Legende besagt, dass die Arctic Monkeys im Jahr 2005 dank ihrer MySpace-Präsenz die Konzertsäle füllten und mit ihrer Single "I Bet You Look Good On The Dance Floor" auf Platz eins der UK-Charts schossen.

MySpace war die Internetseite für alle, die irgendwie einen Ton treffen, eine Gitarre halten oder einfach nur Fan sein und sich mit Gleichgesinnten austauschen wollten. Wer dort nicht präsent war, hörte oder sang entweder Schlager - oder war schon lange tot: 2006, als Facebook gerade einmal sieben Millionen Mitglieder hatte, tummelten sich schon 100 Millionen Nutzer auf MySpace.

Im Sommer jenes Jahres erschien Rupert Murdoch auf dem Titelblatt des US-Technologiemagazins Wired. Ein Jahr zuvor hatte sein Unternehmen Newscorp die aufstrebende Plattform für 580 Millionen Dollar den Gründern abgekauft. "Abenddämmerung für Medienmogule?", schrieb das Magazin, "Nicht für diesen Typen."

Fünf Jahre später ist zumindest für MySpace die Abenddämmerung angebrochen. Murdoch stößt das hochdefizitäre Portal ab, der Verkauf an den Werbekonzern Specific Media und den Popstar Justin Timberlake bringt gerade noch einen Bruchteil ein: 35 Millionen Dollar.

Für den Ruin von MySpace lassen sich im Nachhinein mehrere Gründe finden. Einer liegt schon im frühen Verkauf an Rupert Murdoch. Welcher freiheitsliebende Internetuser tummelt sich gerne auf einer Seite eines autokratischen Medienmoguls?

Es blinkt so bunt

Facebook lebt auch davon, dass die Nutzer mit Mark Zuckerberg ein Gesicht verbinden. MySpace-Gründer Tom Anderson mag zwar der erste Freund sein, den neue Nutzer dort automatisch finden - als Frontmann der Seite taugte er wenig, er trat in der Öffentlichkeit kaum in Erscheinung.

Auch die Unübersichtlichkeit der Seite machte vielen Nutzern zu schaffen: Dass MySpace seinen Nutzern die Möglichkeit gab, ihre gestalterischen Fähigkeiten auszuleben, wurde schnell zum Bumerang: Zittrig blinkende Grafiken, kuriose Farbgebung (besonders beliebt: dunkle Schrift auf schwarzem Grund) und eine Seitenlänge, auf der auch noch das 1000. Lieblingsbuch ans Ende gepackt wird, vertrieben zuerst die Nutzer, dann auch viele Bands und Künstler, die einst die Seite populär gemacht hatten.

Auch der Portal-Gedanke, so zeitgemäß sie 2006 gewesen sein mag, beschleunigte den Niedergang: Während Facebook schnell begann, sich mit dem Rest des Internets zu verbinden und für fremde Inhalte durchlässig zu machen, hingen die MySpace-Verantwortlichen dem Traum nach, ihre Kunden an die eigene Plattform fesseln zu können.

Facebook-Miniprogrammen wie "Mafia Wars" oder "Farmville", aber auch Innovationen wie dem Gefällt-mir-Knopf hatte MySpace nichts entgegenzusetzen, weil es zu sehr mit ständigen personellen Wechseln und Layout-Änderungen zu tun hatte.

Lektionen aus dem Ramsch-Verkauf

2009 hatte MySpace 260 Millionen angemeldete Mitglieder, doch kaum jemand kam noch vorbei. Die Wahrnehmung war gekippt: Facebook war der Ort des Freundeskreises geworden, MySpace längst zur Heimat der Trash-Kultur degradiert. Schon damals suchte Murdoch händeringend nach einem Käufer - seine Kaufpreisforderungen schrumpften proportional zur Mitgliederzahl (aktuell auf 84 Millionen).

Kann Facebook-Chef Mark Zuckerberg aus dem Niedergang des Konkurrenten etwas lernen? Die erste Lektion hat er zumindest bestanden und dem Werben großer Konzerne wie Yahoo und Microsoft nie nachgegeben, sein Unternehmen zu verkaufen. 2012 wird Facebook mit einer Bewertung von bis zu 100 Milliarden Dollar an die Börse gehen.

Allerdings lehrt das MySpace-Schicksal Zuckerberg auch, sich seiner Sache nicht zu sicher zu sein. Die Internet-Mode ändert sich schnell, bald schon könnte Facebook seine Mitglieder langweilen und vom nächsten angesagten Netzwerk abgelöst werden. In fünf Jahren sind wir schlauer.

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