Musikdateien und E-Books:Stillschweigende Enteignung

Ein amerikanischer Richter verbietet den Weiterverkauf von Musikdateien aus iTunes, Amazon löscht ohne Vorwarnung gekaufte E-Books: Besitzer digitaler Bücher und Songs dürfen die Inhalte zwar nutzen - aber nur zu den Bedingungen, die der Anbieter diktiert.

Von Jan Füchtjohann

Vor 20 Jahren wäre es noch eine Performance gewesen, mit 1500 Büchern und 1000 Platten an den Strand zu gehen - im Zeitalter der Kindles und iPods ist es das längst nicht mehr. Und wie es so geht mit wichtigen Entscheidungen, die man im Liegen trifft: Man ist ein bisschen willenlos. Und kauft daher ohne Murren und Nachdenken ganz viele E-Books und Musikdateien im digitalen Laden.

Irgendwann kommt dann das CD-Regal auf den Müll und später vielleicht der Bücherschrank. "Türstopper" nennen die jungen Leute in Gary Shteyngarts Zukunftsroman "Super Sad True Love Story" Bücher - ihrer Ansicht nach sind die alten Dinger klobig und riechen schlecht.

Die Vorteile der Digitalisierung liegen also auf der Hand: Sie macht die Kultur leichter, sowohl beim Erwerb als auch beim Herumtragen. Doch langsam häufen sich auch die schlechten Nachrichten, etwa in Form von Gerichtsentscheiden.

Verkauf untersagt

So untersagte der amerikanische Bundesbezirksrichter Richard Sullivan jüngst den Weiterverkauf von auf der Apple-Plattform iTunes erworbenen Musikdateien. Das Plattenlabel Capitol Records hatten gegen das Start-up-Unternehmen ReDigi geklagt, das eine Art digitalen Flohmarkt für "gebrauchte" iTunes-Musik aufgebaut hatte.

Die Argumentation des Richters klingt seltsam gewunden: Auf dem Server von ReDigi müsse ein neuer "Phonorecord" produziert werden, es handele sich also im engeren Sinne nicht mehr um die gleiche Sache, sondern um eine andere - also um eine Kopie. Kopien dürfe aber natürlich nur das Plattenlabel als Rechteinhaber verkaufen. Ganz unumwunden wurde dabei jedoch noch einmal etwas anderes klar: Was man im Netz legal erworben hat, das gehört einem noch lange nicht.

"Digitale Inhalte werden durch den Anbieter von Inhalten lizensiert, nicht aber verkauft", steht etwa in den Lizenzvereinbarungen von Amazon, Ähnliches findet sich auch bei Apple. Im Grunde sind die Käufer digitaler Videos, Bücher und Songs also eher Mieter als Besitzer: Sie dürfen die Inhalte zwar nutzen - aber nur zu den Bedingungen, die der Vermieter diktiert.

Was das bedeutet, erfuhr Ende vergangenen Jahres eine Norwegerin, deren Amazon-Account ohne Vorwarnung gelöscht wurde - inklusive aller bereits bezahlten E-Books. Erst auf Nachfrage wurde ihr dann vorgeworfen, sie hätte ein zweites Konto besessen und damit gegen die Nutzungsbedingungen verstoßen: "Wir hoffen, dass Sie einen anderen Anbieter finden, der Ihren Bedürfnissen besser entspricht."

Still und leise gelöscht

Oder die Sache mit George Orwell. 2009 bemerkten Kindle-Besitzer in den USA, dass ausgerechnet "1984" von ihren Lesegeräten verschwunden war - Orwells berühmtes Buch über einen totalen Überwachungsstaat. Ein Drittanbieter hatte es in den Amazon-Katalog gestellt, ohne die erforderlichen Rechte zu besitzen. Der geschädigte Verlag klagte, und Amazon löschte still und leise über sein "Whispernet" alle Kopien und erstattete den Kaufpreis zurück. Genau wie im Fall der Norwegerin gab es erst nach großer Aufregung in den Medien eine verdruckste Entschuldigung.

Oder die Sache mit dem Motherfucker. Für 25 Euro im Jahr bietet Apple einen Service an ("iTunes Match"), mit dem man Inhalte auf sämtlichen Apple-Geräten nutzen kann, die man besitzt. Einen Rap-Song, den man eigentlich nur auf dem Computer hat, kann man via Cloud also auch auf seinem iPhone hören. Allerdings werden dabei die nicht jugendfreien Stellen entschärft: "Wo vorher ein ,Motherfucker' zu hören war", schrieb David Pfeifer im vergangenen Jahr auf Süddeutsche.de, "wurde nun ausgeblendet oder überpiept."

Und nun das Verbot des Weiterverkaufs. Oder genauer: Das Verbot des Weiterverkaufs auf fremden Plattformen. Anfang März haben nämlich sowohl Amazon als auch Apple Patente angemeldet, um eigene Zweitmärkte für "gebrauchte" Inhalte zu eröffnen. Beide wollen dabei festlegen, wann, wie oft und wie teuer man digitale Waren verkaufen darf, außerdem werden wohl auch beide eine Gebühr verlangen - an der dann auch die Rechteinhaber beteiligt werden sollen.

Auf diese Weise wäre es dann zum Beispiel möglich zu verhindern, dass ein neuer Bestseller sofort und zu schnell sinkenden Preisen auf den digitalen "Flohmärkten" verramscht wird. Diese Eingriffs- und Profitmöglichkeiten gefallen sicher auch den Verlagen und Plattenlabels, deren Interessen sich diesmal weitgehend mit denen der Netzriesen decken. Wen wundert's, dass eine kleine Start-up-Firma gegen diese geballte Marktmacht auch juristisch keine Chance hatte?

An dem schönen kommunistischen Versprechen des Internets, demzufolge bald jeder Zugang zu allem hat, dafür aber niemandem mehr etwas gehört, wurden also einige wichtige Korrekturen vorgenommen. Tatsächlich haben immer mehr Menschen immer mehr Zugang zu immer mehr Inhalten - die ihnen immer weniger gehören. Die Nutzer sind also endlich befreit: vom Ballast ihrer CD-Regale, ihrem Besitz und ihren Rechten. Aus einem Tal im sonnigen Kalifornien hört man ein sattes, zufriedenes Lachen

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