Süddeutsche Zeitung

Internet-Konferenz DLD:Idealismus nach Art des Silicon Valley

Bei der DLD-Konferenz in München diskutieren Macher aus der internationalen IT-Branche und Internet-Aktivisten über die digitale Zukunft, doch viele Antworten bleiben vage.

Johannes Kuhn

Daniel Domscheit-Berg wirkt an diesem Nachmittag fast wie ein Relikt aus einer längst vergangenen Zeit. Das liegt nicht daran, dass er Wikileaks verlassen hat, bevor aus Julian Assange ein Popstar und moderner Dr. Kimble wurde. Auch sein Vollbart, der in der Menge der frisch gestylten Figuren aus der Medien- und IT-Branche aus dem Rahmen fällt, macht an diesem Tag nicht den entscheidenden Unterschied zum Großteil der Teilnehmer der Digital - Life - Design (DLD) aus: Es ist vielmehr die Aura des verblassten Idealismus, die er ausstrahlt.

Der DLD ist eigentlich kein Ort für Utopisten. Bei der Konferenz, für die Verleger Hubert Burda jedes Jahr kurz vor dem World Economic Forum in Davos Manager aus dem Silicon Valley, Internet-Gelehrte und Medienmacher einfliegen lässt, geht es ums Geschäft. Besser gesagt um die Frage: Was bringt die digitale Zukunft?

Längst wird die Zukunft dabei in Markterwartungen, Umsatzprognosen, Wachstumsraten gemessen. Und nun sitzt Domscheit-Berg auf dem Podium und erklärt die Ziele seines neuen Whistleblower-Portals OpenLeaks bescheiden: "Wir wollen kein politischer Akteur sein, sondern ein Werkzeug für Transparenz." Eine Debatte über Ethik möchte er anstoßen, eine Stiftung für Transparenz und Whistleblowing einrichten. Mit Hilfe des Internets die Gesellschaft verbessern helfen.

Das klingt ein bisschen nach dem Idealismus der Computer-Nerds des vergangenen Jahrhunderts, dessen Geist heute noch durch das Internet weht und der sich am ehesten in der Bewegung des Hacktivismus wiederfindet. Irgendwann vereinigte sich dieser Idealismus jedoch mit dem verführerischen Kapitalismus, das Internet wurde erwachsen und tauschte seine symbolische Heimstatt: Statt auf dem Campus kalifornischer Universitäten pochte der Pulsschlag der digitalen Veränderung nun im Silicon Valley.

Das Silicon Valley ist nicht nur der Sitz von Unternehmen wie Google oder Apple, sondern in Zeiten des wirtschaftlichen Niedergangs des Landes vielleicht einer der letzten Orte, an denen der amerikanische Traum lebt und vibriert. Der Mythos Silicon Valley besagt, dass es mit der richtigen Idee jeder vom Hobby-Programmierer zum Millionär schaffen kann.

Sogar wenn er in Chicago lebt. Wenige Stunden nach Domscheit-Berg heißt es Vorhang auf für Andrew Mason, das diesjährige Wunderkind des DLD. Sein Chicagoer Unternehmen Groupon vermarktet lokal Online-Gutscheine von Händlern oder Restaurants und wächst damit schneller als jede andere IT-Firma der vergangenen Jahre. Der 31-Jährige lehnte jüngst sogar ein Sechs-Milliarden-Dollar-Übernahmeangebot von Google ab und will sein Unternehmen bald an die Börse bringen.

Nun wirkt auch er auf dem Podium etwas deplatziert, mit seiner schlaffen Sitzhaltung und dem karierten Hemd unterscheidet er sich schon phänotypisch von den jungen Anzugträgern im Publikum. Mit Hacktivismus hat er wenig zu tun, im Unternehmensgründer-Sinne dürfte allerdings auch Mason ein Idealist sein: Das, was heute Amazon für den Online-Handel sei, sagt er, wolle er in ein paar Jahren mit Groupon für lokale Internet-Rabatte sein. Wie denn die Verhandlungen mit Google gewesen seien? Erst windet er sich und will keinen Kommentar abgeben, dann platzt es aus Mason heraus: "Ich habe mir eigentlich geschworen, nie mit solchen Phrasen zu reden", sagt er. Doch solche Verhandlungen seien etwas sehr Intimes, "zwei Unternehmen erkunden sich". Da könne er nun einmal nichts öffentlich dazu sagen.

Die Veteranen der Branche machen vor, wie man öffentlich etwas sagt, ohne wirklich etwas zu meinen. "Sie wechseln nur ihre Rollen", sagt Google-Vorstand Marissa Mayer zum spektakulären Wechsel an der Google-Spitze. "Möglicherweise" entpuppt sich als Lieblingsantwort von Facebook-Vizepräsident Dan Rose auf Fragen über mögliche Pläne und neue Geschäftsfelder.

"Facebook führt dazu, dass wir als Individuum transparenter werden und unsere Privatsphäre zurücklassen", sagt Daniel Domscheit-Berg, "Außer, dass wir besser kommunizieren können, hat es keinen zusätzlichen Wert für die Gesellschaft." Schon lange geht das Internet mit zwei Utopien schwanger: Auf der einen Seite das Ideal einer besseren Gesellschaft, die Menschen grenzenlos kommunizieren und kollaborieren lässt; auf der anderen Seite der Traum, von dem Erwachen dieser digitalen Gesellschaft auch finanziell zu profitieren.

Die Frage, ob nun Internet-Aktivist Domscheit-Berg ein besserer Netizen als Groupon-Gründer Mason ist, dürfte schwer zu beantworten sein. Dass beide auf dem DLD Platz finden, ist den Machern trotz einer Veranstaltung mit jeder Menge heißer Luft hoch anzurechnen. Es wäre der Spannung jedoch zuträglich, würden die unterschiedlichen Internet-Utopien auf einem der Diskussionspodien auch einmal kollidieren.

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