Mobilität von morgen:Alles auf Autopilot

Google's own self-driving cars, no steering wheel

Das Auto der Zukunft? Zumindest das erste selbstfahrende Auto von Google.

(Foto: AFP)

Die Autoindustrie arbeitet mit Vollgas an ihrer Zukunft: In Kalifornien können nun selbstfahrende Autos auf öffentlichen Straßen getestet werden. Doch die neue Ära des Fahrens wirft ein ethisches Dilemma auf.

Von Thomas Fromm und Johannes Kuhn, San Francisco

Autos, die alleine fahren können, sind schon ziemlich besondere Autos. Sie sollen irgendwann all das können, was auch der Mensch kann, nur eben viel besser. Andererseits aber sind Autos Maschinen und keine Menschen. Das ist ein großer Unterschied.

Das mache die Sache ja gerade so viel einfacher, sagen die, die so schnell wie möglich den Fahrer ablösen wollen, um das Fahren ganz dem Auto zu überlassen. So ein Auto ist nie übermüdet, hat keinen Beziehungsstress und säuft keinen Rotwein. Über eine Million Menschen kommen jährlich weltweit ums Leben, auch weil sie nicht aufpassen oder abgelenkt sind, weil sie mit dem Beifahrer diskutieren oder im CD-Fach herumkramen, statt auf die Straße zu schauen.

Das selbstfahrende Auto ist da wesentlich disziplinierter und hat alles unter Kontrolle: mit Kameras, Radar, Laserscannern. So viele Augen hat der Mensch nicht. Also ist das Auto selbst der perfekte Autofahrer.

Wie entscheidet der Mensch, und wie der Bordcomputer?

Das kann man natürlich auch ganz anders sehen. Eine Maschine kann niemals den Menschen ersetzen, sagen die, denen beim Gedanken an selbstfahrende Autos ein Schauer über den Rücken läuft. Was zum Beispiel macht denn so ein Auto in Notsituationen, die kein Bordcomputer dieser Welt als Szenario gespeichert hat, auch weil ja jeder Notfall anders ist?

Es gibt Momente im Leben, die nennen Wissenschaftler "Dilemma-Situationen". Situationen, in denen es schwer ist, die richtige Entscheidung zu treffen. Zum Beispiel die hier: Ein Auto kommt an eine Straßenkreuzung, von der Seite kommt eine Mutter mit Kind, das Kind reißt sich los, zum Bremsen ist es zu spät, und beim Ausweichen muss man in einen heranrollenden Lkw oder ein auf der Kreuzung stehendes Motorrad fahren.

Wie entscheidet da der Mensch? Und wie entscheidet der Bordcomputer des selbstfahrenden Autos? Das selbstfahrende Auto denkt und lenkt mit Hilfe von Elektronikscheiben und Lasergeräten. Nur fühlen, das kann es nicht.

Menschen gehorchen (in der Regel) ihrem Gefühl, die kleinen Autocomputer gehorchen Algorithmen. Die Frage ist: Wollen wir bei der elektronischen Vernetzung des Autos wirklich alles kleinen Elektronikteilchen überlassen? Dürfen die über Fragen wie Leben und Tod entscheiden?

Die Hamburger Verkehrsanwältin Daniela Mielchen sieht viele offene Fragen, zum Beispiel die nach dem Datenschutz oder dem Haftungsrecht. Ganz vorne stünden "ethische Fragen, die zurzeit so gut wie gar nicht diskutiert werden", sagt sie. "Wie verhält sich ein selbstfahrendes Auto in schwierigen Situationen? Soll der Zufallsgenerator entscheiden, ob es beim notwendigen Ausweichmanöver eher in Richtung LKW oder in Richtung Motorrad ausweicht? Oder soll dafür eine Logik festgelegt werden? Und wie soll die aussehen?" Es sind Fragen nicht nur für Ingenieure.

Wer zahlt bei einem Crash?

Im Verborgenen bereitet die Autoindustrie die Zukunft mit selbstfahrenden Autos vor, und zwar mit Vollgas - am liebsten würde sie schon um das Jahr 2020 herum loslegen. Audi, Daimler, BMW - alle haben eine ungefähre Vorstellung davon, wie das technisch laufen soll. Nur weiß keiner so genau, wie das rechtlich eigentlich funktioniert. Wer zahlt, wenn ein selbstfahrendes Auto in einen Stau crasht, weil das System ausfällt? Die Versicherung? Der Hersteller?

Und was ist, wenn ein solches System gehackt wird, wie neulich, als es chinesischen Studenten gelang, ein Elektroauto von Tesla von außen zu kapern und per Fernbedienung Schiebedach und Fenster zu manipulieren? Wer mit dem Schiebedach herumspielen kann, der kann wahrscheinlich auch das Bremssystem blockieren - der perfekte Mord sozusagen.

Google kann es und Google will es

Zurzeit geht es der Branche noch um Einparkhilfen, Spurwechsel-Assistenten oder eine Stau-Automatik. Bei geringer Geschwindigkeit durch den Stau rollen, das Auto alleine auf den Parkplatz fahren lassen, das sind die Ziele für die nächsten Jahre. Aber das alles sind nur Vorbereitungen für den ganz großen Autopiloten.

Die Zeit drängt. Seit Google neulich sein erstes selbstfahrendes Auto auf einem Parkplatz in Kalifornien präsentiert hat, wissen die traditionellen Autohersteller, dass Google es auch kann. Dann hat Google auch noch den früheren Ford-Chef Alan Mulally, einen der großen alten Männer im Auto-Business, in seinen Verwaltungsrat geholt. Nun ist klar: Die Google-Leute können es nicht nur - sie wollen es jetzt auch!

Es geht Google ja nicht nur um selbstfahrende Autos, sondern vor allem um das Geschäft auf dem Rücksitz. Wer nicht fahren muss, hat Zeit für andere Dinge. Zum Beispiel im Internet herumsurfen, einkaufen, Datendienste herunterladen. Und wer sein Auto mit persönlichen Daten füttert, bekommt - aus dem Cockpit natürlich - maßgeschneiderte Angebote. Für Restaurants, Kinos, Supermärkte und Online-Dienste. Milliardengeschäfte, ganz nebenbei gemacht - so lässt sich selbst die Zeit im Auto kommerziell nutzen.

Die IT-Firmen haben das erkannt, lange vor den Autokonzernen. Die sind nun in Alarmbereitschaft: Kalifornien mag zwar das Land der IT-Buden und Kreativ-Garagen sein. Aber Autoland ist immer noch Deutschland, sagen die Ingenieure in Stuttgart, München, Ingolstadt. Was soll bloß werden, wenn die jetzt auch hier noch mitmischen? Die USA seien "da in mancher Hinsicht voraus", sagt VW-Chef Martin Winterkorn. Und es sei "schwer abzuschätzen, wie sich das auf den Automobilstandort Deutschland" auswirke.

Mobilität von morgen: Illustration: Bene Rohlmann

Illustration: Bene Rohlmann

In ihrer Not haben sich die großen Autokonzerne längst mit Google und Apple zu großen Kooperationen zusammengetan. Aber reicht das? Die Amerikaner voran, die Deutschen hinterher. Staunend schauen sie zu, wie schnell sich die Dinge in den USA entwickeln. Dort, in Kalifornien, beginnt das neue automobile Zeitalter in diesen Tagen. Von nächstem Dienstag an dürfen auf allen öffentlichen Straßen in dem Bundesstaat selbstfahrende Autos getestet werden - für die Branche ist das ein großer Schritt und Bernard Soriano ist der Stolz deutlich anzumerken.

"Ab Januar 2015 dürfen selbstfahrende Autos in Kalifornien dann ganz legal verkauft werden", sagt der 51-Jährige, der für die kalifornische Kraftfahrzeugbehörde, das Department of Motor Vehicles (DMV), arbeitet. Natürlich ist kaum zu erwarten, dass sich auf den Höfen der Autohändler an Neujahr plötzlich die Google-Autos stapeln, doch, und das ist die Botschaft an die Welt: Im Westen der USA will man die Zukunft in die eigene Hand nehmen. Kalifornien gilt neben Nevada als Vorreiter, wenn es um autonome Fahrzeuge geht. Nun setzt es als erster Bundesstaat detaillierte Regelungen um, die den Autos auch offiziell den Weg ebnen.

Schießen auf bewegliche Zielscheiben

In Kalifornien sind schon längst selbstfahrende Autos unterwegs, denn was nicht reguliert ist, gilt im Automobilbereich nach amerikanischem Recht grundsätzlich als erlaubt. Doch es waren die Autohersteller selbst, die auf Rechtssicherheit drängten. Im Mai 2012 beschloss das kalifornische Parlament, dass bis Anfang 2015 fixe Regeln gelten müssen.

Nur wie lässt sich eine Technologie gesetzlich regulieren, die sich noch mitten in der ersten Entwicklungsphase befindet? "Es ist ein bisschen so, als würden Sie auf eine bewegliche Zielscheibe schießen", erklärt Soriano lachend. "Es gibt keine Vorschriften auf Bundesebene, dafür ziemlich unterschiedliche Vorstellungen, was ein autonomes Fahrzeug überhaupt ist."

Wie umgehen mit einem Auto, das so anders ist als alles, was vorher auf den Straßen herumfuhr? In Deutschland hat man das getan, was man gerne tut, wenn die Sache kompliziert wird: Man hat einen Runden Tisch zum autonomen Fahren gegründet, auf Initiative des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur. Die erste Sitzung fand im November 2013 statt.

Bei den Autonomen mit dabei, unter anderem: Vertreter der deutschen Autoindustrie, der Verbraucherzentralen, des TÜV, von Forschungseinrichtungen - und die Lobbyisten vom Automobilverband VDA. Worum es geht, kann man in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage vom 28. Juli 2014 nachlesen. Dort heißt es, "mit der Einführung des automatisierten Fahrens" sei "die Erwartung verbunden, dass die Unfallhäufigkeit" abnehme.

Allerdings: "Wie auch für einen Fahrer nicht auszuschließen ist, dass er in eine Unfallsituation gerät - der Runde Tisch bezeichnet dies als so genannte Dilemmasituation, so müssen diese Situationen auch bei automatisierten Systemen in Betracht gezogen werden." Dann der Zusatz: "Die Diskussion hierzu dauert an."

"Wenn wir alle Gesetze ändern wollen, sind wir bis 2030 nicht fertig."

Sie dürfte noch ziemlich lange dauern, denn auch wenn die Industrie schnelle Ergebnisse haben möchte: Fragen wie die nach der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, der künftigen Rolle und Verantwortung des Fahrers oder Änderungen der heute üblichen Haftungsregelungen sind nicht trivial. "Beim autonomen Fahren entstehen viele Daten", sagt die Verkehrsrechtlerin Mielchen.

"Noch ist aber überhaupt nicht geklärt, was mit diesen Daten geschehen soll und wer Zugriff auf sie hat. Ich weiß auch nicht, wie man diese schwierigen Fragen in den kommenden Jahren juristisch lösen will - wenn wir alle Gesetze ändern wollen, sind wir bis 2030 nicht fertig." Statt Gesetze zu verändern werde man wohl versuchen, diese neu zu interpretieren - jetzt bloß keine grundsätzlichen Debatten, die nur unnötig dauern. Denn solange die Gesetzgebung nicht mitzieht, nützen einem die schönsten Technologien nichts - da kann man noch so viel Geld in das Autofahren von morgen stecken.

In den USA geht das so: Vom 16. September an müssen für Prototypen-Fahrten Lizenzen erworben werden, ausreichender Versicherungsschutz und Eignungsnachweis von Testfahrern sind dafür die Voraussetzung. Auch beim Design macht Kalifornien Vorschriften: Anders als der vor einiger Zeit vorgestellte Google-Wagen müssen die autonomen Autos Lenkrad und Pedale besitzen. Das bedeutet allerdings nicht, dass dies auch für jene Fahrzeuge gelten wird, die am Ende in den Handel kommen, glaubt Bernard Soriano von der kalifornischen Kraftfahrzeugbehörde.

Visionäre versus Realisten

Derzeit stimmt sein Amt die letzten Details für die Vorschriften ab, die ab Januar für den Verkauf und die Zulassung autonomer Autos gelten. Sicher ist beispielsweise, dass die Fahrzeuge ein besonderes Nummernschild erhalten, um besser erkennbar zu sein. Für mögliche selbstfahrende Busse, Lkws und andere Kraftfahrzeuge wiederum gelten die neuen Regeln noch nicht, sie sollen erst später einen gesetzlichen Rahmen erhalten.

An der Frage, wie unabhängig ein Auto wirklich von seinem Fahrer agieren darf, knabbern derzeit aber noch alle. Die nationale US-Fahrzeugbehörde hat vier unterschiedliche Automatisierungsgrade festgelegt, in die Fahrzeuge einzuteilen sind. Die ersten beiden Stufen sind bereits heute mit Funktionen wie Spurhalteassistenten und automatischen Bremsen Alltag.

In der dritten Stufe kann der Fahrer trotz Autopilot noch die Kontrolle übernehmen, in der vierten bleibt ihm keine Möglichkeit zum Eingreifen mehr. "Die Diskussion ist noch nicht zu Ende geführt", sagt Sven Beiker vom Center for Automotive Research an der Universität Stanford (CARS). "Es gibt auf dem Gebiet die Gruppe der Visionäre und die der Realisten. Und die Realisten sind in der Regel aus der klassischen Autoindustrie", erzählt er.

"Ein eigener Pkw ist künftig Luxus"

Die Lager lassen sich klar unterscheiden. Die Realisten wollen dem Bordcomputer noch nicht komplett das Steuer überlassen. Es ist kein Geheimnis, dass die deutschen Hersteller mit ihrem Augenmerk auf das Fahrerlebnis eher dieses Szenario bevorzugen - und damit ihre bisherigen Käufer- Zielgruppen im Visier haben. Für Newcomer wie Google hingegen ist das Auto nur ein Werkzeug, um Mobilität zu ermöglichen, entsprechend ist kein Fahrer im klassischen Sinne mehr vorgesehen.

Fahrerlose Fahrzeuge, so die Vision, könnten - digital koordiniert - auf Abruf bereit stehen und so den Bedarf an Autos in einer Stadt senken. "Ein eigener Pkw ist künftig Luxus", so der typische Slogan der IT-Visionäre. Konsequent zu Ende gedacht: Sich selbst ans Steuer zu setzen könnte sogar irgendwann einmal verboten sein, weil in einer Welt der vernetzten Autopiloten der Mensch ein zu großer Risikofaktor wäre. Ob überhaupt und wann diese Utopie Realität wird, weiß kein Mensch.

Ebenfalls völlig unklar ist, was aus der digitalen Infrastruktur für die Kommunikation der Autos untereinander wird, bei der der Straßenverkehr überwacht werden soll - ähnlich wie heute der Flugverkehr. Die Investitionen dürften beträchtlich sein. Zurzeit sind die USA schon damit überfordert, ihre Straßen und Brücken instand zu halten. Nicht zu vergessen: Staaten wie Kalifornien und Nevada sind technologische und rechtliche Inseln. Auf nationaler Ebene ist man längst nicht so weit.

Die amerikanische Automobilindustrie, traditionell in der Auto-Metropole Detroit ansässig, hat sich gerade deshalb in den vergangenen Jahren mit neuen Büros im Silicon Valley breit gemacht. Nähe ist wichtig in diesem Business. Dazu kommen Startups wie der Sensorenhersteller Velodyne, das Autopiloten-Lkw-Start-up Peloton Tech oder Cruise Automation, das herkömmliche Autos für 10 000 Dollar mit automatischer Steuerung ausstatten möchte. Die Industrie drängelt, auch wenn viele Fragen ungeklärt bleiben.

Zuletzt wurde das Wiener Weltabkommen über den Straßenverkehr von 1968, wonach Fahrer jederzeit die Kontrolle über ihr Fahrzeug haben müssen, abgeändert. Autonomes Fahren ist nun möglich, wenn es jederzeit vom Fahrer abgeschaltet werden kann. Aber die grundsätzliche Frage bleibt: Dürfen Maschinen Menschen ersetzen? Auch in Situationen, in denen eigentlich sehr menschliche Eigenschaften gefragt sind?

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: