Nathan Wright hat möglicherweise eine große Karriere als Architekt vor sich. Der 25-jährige Architekturstudent hat noch nicht einmal einen Abschluss, aber bereits das höchste Gebäude der Welt gebaut. Wer das nicht glauben mag, muss nur eben schnell vorbeifliegen - in Microsofts neuem Flugsimulator.
Als Startpunkt bietet sich der Essendon Fields Flughafen im Norden von Melbourne an. Nach nur wenigen Meilen Flugsimulator-Flug kommt der Koloss ins Blickfeld. Ein Turm, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat. 212 Stockwerke hoch, jedes bewohnbar, schnurgerade. Unmöglich, das in der realen Welt hinzubekommen. Zu viel Wind. Nur, wie kommt ein solches Ungetüm in ein Programm, das sich damit rühmt, eine extrem detailgetreue Abbildung der Wirklichkeit zu sein? Thomas Skowron kennt die Antwort. Der Kölner baut beruflich Karten und das meist mithilfe von Open Street Map (OSM), einer Art Wikipedia für Karten.
14 Jahre nach der letzten Version hat Microsoft eine neue Flugsimulatorenwelt geschaffen, die noch detailreicher sein soll als alles bisher Dagewesene. Die Grundlage dafür stammt aus dem Kartendienst Bing, Microsofts Konkurrenzprodukt zu Google Maps. Um die Bing-Karten zu erstellen, nutzt Microsoft viele Daten von anderen Anbietern. Häufig auch von Open Street Map, erzählt Skowron am Telefon: "Australien zum Beispiel basiert komplett auf Daten von uns." "Uns", damit meint Skowron eine weltweite Community von Helfern, die in ihrer Freizeit Daten über Gelände und Gebäude in die Datenbank von OSM einpflegen. Im Fall des Monolithen von Melbourne ist dabei etwas schiefgelaufen.
Architekturstudent Nathan Wright nahm es bei einem Uniprojekt etwas zu wenig genau und versah gleich drei Gebäude in einem Vorort von Melbourne mit ziemlich unrealistischen Werten. Ein Einfamilienhaus in der Nähe machte Wright über 1000 Stockwerke hoch. Dem australischen Ableger der Webseite Gizmodo gab Wright ein Interview, in dem er wenig Schuldbewusstsein offenbarte. "Wir sollten Daten über Vororte in OSM eingeben, es war fürchterlich langweilig, und ich habe ein paar Fehler gemacht, aber ich dachte mir: ,Scheiß drauf, mir egal.'"
In Microsofts Flugsimulator zu sehen ist allerdings nur einer dieser Fehler: der Monolith von Melbourne. "Meist definiert man eine Grenze für akzeptable Werte, 200 Stockwerke, das kann es geben", sagt Thomas Skowron, "500 eher nicht." Der höchste tatsächlich existierende Wohnturm der Welt steht in Dubai, das Burj Kahlifa ist 800 Meter hoch, hat aber aus statischen Gründen nur rund 160 nutzbare Etagen. Auch der gerade im Bau befindliche mehr als ein Kilometer hohe Jeddah Tower wird in seinen höchsten Etagen nicht bewohnbar sein.
Und so steht das Haus mit den meisten Stockwerken der Welt gerade in Fawkner, Melbourne, zumindest digital - und bis Microsoft seinen Datensatz bereinigt. Bis dahin kann man Fans auf der ganzen Welt dabei zusehen, wie sie das Kunststück versuchen, auf dem Dach des Monolithen zu landen.