Süddeutsche Zeitung

Soziale Medien:Söder hätte auf Tiktok keine Chance

Viele Politiker profitieren von der Selbstinszenierung auf Instagram. Doch auf Tiktok werden sie zum Spielball viraler Trends.

Von Philipp Bovermann

Zum Beispiel die Stadt Augsburg. Sie wäre gern cool, aber sie ist halt die Stadt Augsburg. Was also macht die Stadt auf Tiktok? Sie lässt erst mal eine junge Frau belästigen. Der Typ, der sich zu ihr auf den Steinblock setzt und sie zu berühren versucht, trägt schwarze Klamotten, eine schwarze Skimaske und ein Coronavirus-Pappschild vor der Brust. Das Virus geht um, soll das bedeuten. 222 Likes. Nächstes Video: Die Taucher der Augsburger Feuerwehr machen eine Übung am Flussbett des Lech mit einer Unterwasserkamera. Ein ganz schöner Aufwand. 59 Likes. Wie viel leichter ist doch das Leben auf Instagram! Einfach ein Foto aus dem Botanischen Garten in Augsburg ("Bei jeder Jahreszeit ein Traum") posten, schon kriegt die Stadt mehr als 1100 Likes dafür. Und sie hat sich außerdem als schöne Stadt präsentiert - nicht als eine, in der man tauchen und sich mit Covid anstecken kann.

Zugegeben, der Vergleich der Like-Zahlen ist nicht ganz fair, denn Tiktok ist gegenüber Instagram immer noch ein vergleichsweise kleines Netzwerk. Aber er deutet trotzdem an, warum Politiker sich auf Instagram so wohlfühlen - im schnell wachsenden Neuland Tiktok hingegen, wo die U-30-Generation ihre Zeit totschlägt, keinen Fuß auf den Boden bekommen. Das liegt auch an den Mechanismen der beiden Plattformen. Was bedeutet das für die politischen Debatten der Gegenwart? Was für die der Zukunft?

Auch viele Politiker machen Identitätspolitik

Mit Instagram steht derzeit eine bestimmte diskursive Kultur in voller Blüte, die seit Jahren die Welt verändert. Die App entwickelte sich mit zunehmender Verbreitung davon weg, nur als ein repräsentatives Fotoalbum für die Nutzer zu dienen. Sie wurde zu einem Umschlagplatz für Popkultur - und weil Pop stets mit politischen Ideen spielt, wurde auch Instagram politischer. Immer mehr Menschen begannen, in die fotografischen Inszenierungen ihres Lebens politische Symbole und Codes einzubauen - oder umgekehrt Attribute, die sie ohnehin auszeichnen, als politisch codiert wahrzunehmen. Etwa Körperformen, Geschlechtsmerkmale oder Hautfarben. Diese Entwicklung konnte man auf verschiedenen sozialen Netzwerken beobachten, aber keines verschrieb sich so konsequent wie Instagram der souveränen Inszenierung des Ich. Sich ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Stigmata zu zeigen als das, was man ist, stolz darauf zu sein und es gemeinsam mit anderen zu feiern, die auch so sind, hat seither eine ungeheure politische Kraft entwickelt. Sie ist ein wichtiger Zufluss für das, was heute oft abfällig als "Identitätspolitik" bezeichnet wird. Aber nicht nur gesellschaftliche Randgruppen profitieren von ihr, sondern auch jene Politiker, die geschickt Identitätspolitik zu machen verstehen, ohne diesbezüglich Verdacht zu erwecken, weil die Identität, die sie inszenatorisch mit ihrer Person verknüpfen, die der Mehrheitsgesellschaft ist.

Markus Söder etwa. Er lässt auf seinem Instagram-Account auch mal die bayerische Natur für ihn sprechen. Wer Söder sieht, der sieht die Heimat. Das image wuchert mit etwas Urwüchsigem zu, das nicht in seinem Amt oder seinen Verdiensten, sondern in der verbindenden Kraft gemeinsamer Symbole wurzelt: das Kreuz, der weiß-blaue Himmel über Bayern, der Brotzeitteller. Vor ihrer erhabenen Schönheit ist auch ein Markus Söder nur ein Mann mit einem albernen Fahrradhelm - das ist der Trick, der Unterschied zu Propagandakitsch alter Schule. Er macht sich klein, um in etwas Größerem aufzugehen, aus dem ihm aber eine angeblich natürliche Autorität zufließt, nämlich die der radelnden, biertrinkenden Mehrheitsgesellschaft.

Auf Armin Laschets Instagram-Account hingegen ist ganz viel Armin Laschet abgebildet, meistens bei Reden vor einem Pult oder am Schreibtisch. Man sieht einen Mann, der redet - die ästhetisch reine Erscheinungsform eines Repräsentanten. Sein Ich tritt hinter seiner Funktion zurück, wodurch sich wahlweise jeder und niemand von seinem Auftreten gemeint fühlen darf. Laschets Identitätsangebot ist seine Politik. Er tut, Söder ist. Laschet: rund 63 500 Follower. Söder: rund 285 000.

Viele Politiker haben diesen ästhetischen Populismus verstanden und wissen ihn für sich zu nutzen. Welche Erfolgsrezepte sich herausbilden werden, um auf Tiktok als Politiker an seinem öffentlichen Bild zu feilen, ist dagegen noch völlig offen. Die Bundestagsfraktionen der großen Parteien wagen sich erst allmählich mit "Das war natürlich nur Spaß"-Videos und "Da simmer dabei"-Content auf Tiktok vor. Tobias Hans (CDU) hatte als erster Ministerpräsident einen Account, inzwischen hat er ihn aber schon wieder deaktiviert. Einige Abgeordnete auf Bundes- und Länderebene trauen sich. Aber viele sind es nicht. Dabei finden politische Diskussionen auf der Plattform durchaus statt - nur eben weitgehend ohne Politiker.

Floskeln zu Europahymnen-Gedudel sind nicht die Antwort

Die Duett-Funktion spielt dabei eine wichtige Rolle, wie Wissenschaftler der Technischen Universität München in einer Studie herausgearbeitet haben. Sie erlaubt es Nutzern, ihr Video neben ein anderes zu posten und es bei geteiltem Bildschirm simultan zu kommentieren - so ähnlich funktionieren Retweets auf Twitter, der wahrscheinlich politischsten sozialen Plattform. Dadurch ist Tiktok deutlich interaktiver als etwa Youtube, Snapchat oder vor allem Instagram. Es geht nicht so sehr um den sich inszenierenden Einzelnen, sondern um Dialoge zwischen den Nutzern. Weniger um das Sein als um das Tun.

Wie man es nicht machen sollte, kann man bei Dorothee Bär besichtigen. Die Staatsministerin für Digitales ist im Herzen eine Instagram-Nutzerin, das merkt man gleich. Widerstand ist zwecklos gegen all die schönen Dinge, die sie sich auf der Foto-App zur Seite stellt - größtenteils ungefragt, weil sie sich nicht wehren können: unter anderem den Feminismus, die "Sendung mit der Maus", den bayerischen Wald, Gott, das Bravo-Magazin und, ach ja, Armin Laschet. Auf Tiktok hingegen berichtet sie anlässlich der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, wie wichtig sie es finde, "dass wir uns verstärkt um die Digitalisierung kümmern", während im Hintergrund die Europahymne dudelt. Spätestens als sie ankündigt, "Fragen des neuen europäischen Zusammenhalts" diskutieren zu wollen, beginnt es im Weiterwisch-Finger erheblich zu jucken. Plötzlich ist auch sie nur eine Politikerin, die redet.

Besser macht es Lilly Blaudszun, die 19-jährige Social-Media-Allzweckwaffe der SPD. Ihr Video besteht aus folgender Botschaft: "Sag mir, dass du aus Mecklenburg-Vorpommern kommst, ohne zu sagen, dass du aus Mecklenburg-Vorpommern kommst." Sie zum Beispiel, sagt sie, habe als Nachbarn Enten. Haha, funny. Zu ihrer Unterstützung ruft sie keine identitätsstiftenden Symbole auf wie auf Instagram - sondern alle anderen Nutzer des Netzwerks. Sie startet einen viralen Mitmachtrend, lädt zur Interaktion ein. Und bekommt dafür rund 175 000 Likes (Bär mit ihrem Europavideo: 75).

Was hat die Politikerin von ihren Erfolgen als Influencerin?

Es gibt dabei allerdings ein Problem. Denn was hat Blaudszun als Politikerin eigentlich davon, virale Trends - sogenannte Memes - anzustoßen und bei ihnen mitzumachen? Was hat die CDU-Fraktion im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern davon, halb lustige, weil bitteschön immer noch staatstragende Bastelfilmchen ins Netz zu stellen? Memes verbreiten sich spontan, wenn sie lustig sind und Spaß machen, und vergehen dann wieder. Für all jene, die das Meme nicht kennen, haben sie keine Bedeutung. Klar kann man als Politiker ein Seemannslied singen, wenn das gerade ein großer Trend auf Tiktok ist, man wird damit die Herzen all jener brechen, die gerade voll auf der Sea-Shanty-Welle reiten, aber alle anderen wundern sich nur, was der Unsinn soll.

Symbole und Kodizes auf Tiktok sind daher ständig im Wandel und haben nur in temporären Blasen Bedeutung. Man kann sie sich nicht nehmen und beliebig sein Ich damit ausstaffieren. Deshalb funktioniert auf der Plattform Identitätspolitik für Mehrheiten, entsprechenden Versuchen wie Lilly Blaudszuns Mecklenburg-Vorpommern-Memes zum Trotz, nicht besonders gut. Deshalb funktionieren Politiker auf der Plattform nicht besonders gut. Politik hingegen sehr wohl. Die Nutzer lästern über Politiker oder beklatschen sie, beschweren sich über soziale Probleme, kontern Argumente, checken Fakten oder präsentieren die Nachrichten. Dazu Popmusik und Kribbel, was als nächstes kommt. Nur die Algorithmen von Tiktok, die Memes anheizen und Unbekannte über Nacht auf die Handys von Hunderten Millionen Fremden spülen, wissen es. Alles geschieht viral. Von außerhalb des digitalen Maschinenraums betrachtet: chaotisch.

Was wird daraus entstehen? Vielleicht eine Art politische Fankultur - als selbstbewusstes Gegenstück zur Ästhetisierung der Politik, die in Instagram ihren möglicherweise finalen Ausdruck fand. Fankulturen können groß und mächtig werden, zumal im Internet. Sie können das Objekt ihrer Begeisterung verschlingen, wenn es sich nicht dagegen wehrt - so wie es bereits Philipp Amthor (CDU) widerfährt, der als Meme eine sich immer mehr verselbständigende, geisterhafte Zweitexistenz im Internet führt. Ob die Fans dieses Memes den realen Politiker nun toll finden oder ihn doch veräppeln, lässt sich in vielen Fällen gar nicht sagen. Vielleicht beklatschen sie so lange ein überzeichnetes, verfremdetes Bild Amthors, bis der echte Politiker sich ihm annähert. Auch Donald Trump funktioniert wegen seiner cartoonartigen Persönlichkeit hervorragend als Meme.

Die Politiker, die sich auf Instagram inszenieren, benutzen Symbole und Codes. Ein Politiker hingegen, der zum Meme geworden ist, hat sich selbst in ein Symbol verwandelt - in eine Projektionsfläche für algorithmisch kuratierte Ideenströme. Das könnte unvorhersehbare Konsequenzen haben. Aber auch sehr lustig werden.

Wie verzerrt ist Instagram? Um mehr über Politik und Politiker auf Instagram herauszufinden, hat die SZ mit dem gemeinnützigen Recherchekollektiv Algorithm Watch das Projekt #Wahlfilter gestartet. Gemeinsam mit Ihnen wollen wir in einer großen Datenrecherche in die Blackbox des Instagram-Algorithmus blicken und freuen uns über Datenspenden. Hier können Sie mitmachen: sz.de/wahlfilter - vielen Dank!

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5291829
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.