"Max Payne 3":Schmerzensmann mit deutlichem Bauchansatz

Lesezeit: 3 min

"Max Payne 3" ist ein als Spielfilm verkleideter Third-Person-Shooter. Doch trotz altbekannter Ballerei hat das Spiel eine Botschaft, die für Videospielverhältnisse neu ist.

Michael Moorstedt

Im Jahr 2001 hatte Max Payne, Bulle, schlecht rasiert, in der gleichnamigen Videospielserie seinen ersten Einsatz. Im Spieluniversum hat er sich seitdem einige Jahre in düsteren Rattenlöchern in Jersey City das Gedächtnis weggesoffen und eine Menge Pillen eingeschmissen. Max Payne ist ein wahrer Schmerzensmann, der Typ Cop, der immer mehr Schaden anrichtet, als er verhindert. Ein klassisch-gebrochener Neo-Noir-Held, seine Schutzbefohlenen - Ehefrau, Tochter, Geliebte - sterben ihm unter den Händen weg, stattdessen hat er jetzt den Whiskey-Tumbler in Reichweite, dazu ein paar Vicodin und die Schwarz-Weiß-Fotos der geliebten Toten.

Lasst den armen Kerl doch bitte einmal ausreden, bitte! Max Payne (Foto: Rockstar Games)

Sobald man die ersten Minuten des kürzlich erschienenen dritten Teils der Max-Payne-Trilogie hinter sich hat, denkt man unweigerlich an Bruce Willis als John McLane in "Stirb langsam" oder Mel Gibsons Martin Riggs aus "Lethal Weapon". An die stringente Ahnenreihe unaufgeräumter Actionhelden.

Schließlich verschwimmen die Grenzen zwischen aktivem Video-Spieler und passivem Zuschauer immer mehr. Gerade in den Produktionen von Rockstar Games. Das liegt wohl daran, dass das Brüderpaar Dan und Sam Houser, die kreativen Köpfe des Studios, notorische Filmfanatiker sind. Außerdem lieben es die Gebrüder Houser, gute alte amerikanische Mythen zu zerfleddern.

Zynische Version

Zeigten sie in der "Grad-Theft-Auto"-Reihe zunächst nur die zynische Version des amerikanischen Traums, also das, was aus ihm wird, wenn ihn kriminelle Migranten oder Ghettokids träumen, wird die Kritik mit der Zeit diverser: Der grandiose Digital-Western "Red Dead Redemption" erzählte eben nicht nur die traurige Geschichte eines knorrigen Cowboys, sondern machte deutlich, dass Fortschritt immer auch mit der Zerstörung des Status quo einhergeht. Und das James-Ellroy-Gedächtnis-Spiel "L.A. Noire" bewies, dass einmal aufgeladene Schuld nicht durch ein paar gute Taten gesühnt werden kann.

Was ist also die Botschaft von Max Payne? Genau wie McLane und Riggs ist er bis zum Ende nicht im Bilde über die Verschwörung, in deren Mitte er sich befindet. Der Held schrumpft in den Augen der Housers zu einem, der nur reagiert, der genau wie die beiden Achtziger-Jahre-Helden erst schießt und dann die Fragen stellt, der nie die Fäden in den Händen hält. Kein Prinz, der mit dem Ziel auszieht, seine Geliebte aus einem Turm zu befreien, sondern ein Getriebener, der erst im allerletzten Moment die graue Eminenz erkennt, die seine Schritte lenkt. Es ist die Kritik des Action-Helden selbst, die zumindest für Videospielverhältnisse bislang ungehört war.

Anders als das Gros der bisherigen Rockstar-Titel ist "Max Payne 3" kein Open-World-Spiel, sondern ein relativ stringenter sogenannter Third-Person-Shooter, der sich als Spielfilm verkleidet. Oder andersherum. "Ludonarrative Dissonanz", so beschrieb der preisgekrönte Spiele-Designer Clint Hocking jenen Effekt, der entsteht, wenn Spiel und Erzählung zu weit auseinanderdriften.

Im Fall von "Max Payne 3" bedeutet diese Dissonanz, dass man auf die spielbaren Sequenzen, die natürlich intuitiv zu steuern und auf der Höhe der Zeit programmiert sind, beinahe verzichten kann. Denn sie wirken wie Fremdkörper, die den Rhythmus des lakonischen Ich-Erzählers Payne immer wieder stören. Doch um dessen Geschichte sollte es doch eigentlich gehen. Die Ballerei, mag sie auch noch so ästhetisiert sein, ist altbekannt.

Lasst den guten Mann doch einmal ausreden", denkt man sich also, wenn die Kamera wieder einmal in die Action-Perspektive schräg über die Schulter des Protagonisten schwenkt. Doch es spricht nur noch der Finger des Spielers. Und der streichelt den virtuellen Abzug. Keine drei Minuten nachdem Payne sich mal wieder in Selbstmitleid suhlt und sich mal wieder selbst vorhält, ein inkompetenter Versager zu sein, schießt er sich durch Favelas, glitzernde Bürotürme, Bordelle oder Abwasserkanäle und mäht im Alleingang Horden von schwer gepanzerten Feinden nieder.

Merkwürdige Dissonanz

Die Diskrepanz schlägt sich auch in der Physiognomie des Charakters nieder. In den Zwischensequenzen ist Max Payne ein kaum noch funktionierender Alkoholiker mit deutlichem Bauchansatz. Wenn man ihn steuert, springt er durchtrainiert wie ein Navy Seal durch die Level und mutiert zu einer der begabtesten Killermaschinen in der gesamten Videospielgeschichte. Das ist mindestens irritierend.

Wie man diesem großen Graben zwischen Gameplay und Plot beikommen kann, darauf haben die Entwicklungsstudios noch keine Antwort gefunden. Der innovative Digital-Thriller "Heavy Rain" versuchte es mit einer kontextabhängigen Steuerung, in der die Belegung der Knöpfe nicht standardisiert ist. Der Spieler lässt vielmehr seine Pixel-Marionette unterschiedliche Aktionen durchführen, je nachdem, ob die Figur gerade um ihr Leben kämpft oder sich nur ein Mikrowellengericht zubereitet. So richtig überzeugen konnte diese Lösung aber auch nicht. Gestengesteuerte Videospiele hätten ein gewisses Potenzial, doch bislang führen sie eher zu einer Verflachung der Geschichten.

Und so symbolisiert "Max Payne 3" trotz oder vielleicht gerade wegen all seiner Perfektion das wohl drängendste Problem der Kunstform Videospiel. Während der kompletten zwölfeinhalb Stunden Spieldauer ist da immer diese merkwürdige Dissonanz, so als wären Action und Narration ein langjährig verheiratetes Ehepaar, das eines morgens aufwacht und feststellt, dass es sich nichts mehr zu sagen hat. Und sich stattdessen mit Porzellangeschirr bewirft.

© SZ vom 21.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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